Ausblick 2002

Ein Jahr, in dem die Bürger dreimal an die Wahlurnen gebeten werden, in dem es zum Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union kommen soll und in dem sich die Wirtschaft zwar nicht rasant, aber doch solide entwickeln soll - dies ist das Jahr, das gerade begonnen hat. Ein Ausblick von Rudi Hermann, es liest Jörn Nuber.

Im Frühsommer Parlamentswahlen, darauf die Suche nach einer Regierungskoalition, im Herbst dann eine Ersatzwahl in den Senat und Wahlen in die Kommunalbehörden - auf politischer Ebene wird 2002 zu einem anspruchsvollen und arbeitsreichen Jahr nicht nur für die Politiker, sondern auch die Bevölkerung. Umso mehr, als gleich zu Beginn von 2003 auch noch Präsidentenwahlen anstehen. Von diesen weis zwar noch niemand, ob sie nur, wie bisher, die beiden Parlamentskammern betreffen werden oder aber die ganze Bevölkerung, und ebenso weis noch niemand, wer nach dem bisherigen Präsidenten Vaclav Havel kommen soll, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren wird, der dem Amt aber so sehr seinen Stempel aufgedrückt hat, dass die Suche nach einem Nachfolger gewiss schon in dieses Jahr ausstrahlen wird. In der politischen Landschaft ist eine neue Konstellation gegenüber früher zu erwarten, indem die zwei Großparteien, die gegenwärtig in Minderheit regierenden Sozialdemokraten sowie die Bürgerlichen, die die Sozialdemokraten an der Macht halten, Konkurrenz erhalten haben durch die sogenannte Viererkoalition, einen Mitte-Rechts-Verbund aus den Christlichdemokraten, der liberalen Freiheitsunion, der konservativen Demokratischen Union und der liberalen Demokratischen Bürgerallianz. Nach der auf Jahresbeginn erfolgten Fusion von Freiheitsunion und Demokratischer Union ist zwar aus der Vierer- de facto eine Dreierkoalition geworden, was seinen Grund nicht zuletzt im Wahlgesetz hat, das für eine Koalition von vier Parteien eine hohe Sperrklausel von 20% vorsieht. Das Abschneiden der Viererkoalition wird mit Spannung erwartet, denn durch die Feuertaufe von Parlamentswahlen ist sie noch nicht gegangen. Gewinnt sie die Wahlen, wie es möglich scheint, wird sich die politische Landschaft in jedem Fall verändern; erzielt sie hingegen ein Resultat unter ihren Erwartungen, könnte sich die Dominanz von Bürgerlichen und Sozialdemokraten zementieren. Für die Wirtschaft erwarten die Analytiker keine Umwälzungen, sondern eine kontinuierliche Fortsetzung des Aufwärtstrends, der im vergangenen Jahr der Tschechischen Republik ein Wirtschaftswachstum beschert hat, das deutlich über dem EU-Durchschnitt lag. Die Konstellation für dieses Jahr hängt indes wesentlich von zwei Faktoren ab, deren Entwicklung noch nicht klar abzusehen ist: vom Konjunkturverlauf in den USA und in der Europäischen Union. Für die tschechische Wirtschaft ist die EU der wichtigste Handelspartner, doch für die EU wiederum ist die Entwicklung in den USA entscheidend. Deshalb ist die Kernfrage, wann es in diesen beiden Zonen nach dem durch die Ereignisse des 11. September ausgelösten Einbruch wieder zu Wachstum kommen wird. Ondrej Schneider, Ökonom bei der einflussreichen Finanzgesellschaft Patria Finance, sieht das Einsetzen von Wachstum in Europa eher im Herbst als schon im Frühling. Je früher dabei dieses Wachstum einsetzt, desto kleiner ist für die tschechischen Exportunternehmen die Gefahr, Volumen und Marktanteile in ihren wichtigsten Absatzgebieten zu verlieren. Die Arbeitslosigkeit dürfte auch in diesem Jahr zwischen 8 und 9 Prozent oszillieren. Eine markante Erhöhung ist auf Grund der Wirtschaftsentwicklung nicht zu erwarten, aber auch nicht eine grundsätzliche Reduktion. Aus sozialpolitischer Sicht könnte damit zu einem gewissen Problem werden, dass sich vor allem die Zahl der Langzeitarbeitslosen vergrößert und dies auf die Staatskasse schlägt. Diejenigen, die Arbeit haben, dürften hingegen mehr Geld in ihrer Lohntüte finden. Nominal wird das Lohnwachstum auf rund 7 % veranschlagt, inflationsbereinigt sollte dabei ein Reallohnwachstum in ähnlicher Höhe wie vergangenes Jahr herauskommen, also etwa 3-4 %. Wichtige wirtschaftspolitische Daten in diesem Jahr sind der Januar, in dem der Schlussentscheid über die Privatisierung der Elektroenergetik zu erwarten ist, der März, in dem Gleiches für die Telefongesellschaft Cesky Telecom eintreffen dürfte, und dann der April, in dem das Schuldenregister der Banken zu funktionieren beginnen sollte, das das Verheimlichen von Schulden verunmöglichen wird. Die tschechische Währung dürfte das Jahr über relativ stark bleiben, denn weiterhin wird mit relativ umfangreichen Devisenzuflüssen vor allem aus den Großprivatisierungen gerechnet, die die Nachfrage nach tschechischen Kronen hochhalten. Umgewöhnen werden sich allerdings die Bürger müssen, wenn sie den Kurs der Krone an ausländischen Währungen messen. Denn die wichtigste Vergleichsgröße, die D-Mark, ist mit dem Jahresbeginn dem Euro gewichen, und an diese Einheit werden sich die Tschechen wie alle Europäer zuerst gewöhnen müssen.

Autor: Jörn Nuber
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