Autofreie Innenstadt? Prag kündigt erste Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung an

Kleinseite in Prag

Im Prager Zentrum mit dem Auto unterwegs zu sein, macht keinen Spaß. Vor allem das Smetanaufer – also die Strecke vom Nationaltheater, an der Karlsbrücke vorbei bis hin zum Rudolfinum – und die Durchfahrt der Kleinseite sind tagsüber verstopft. Deswegen wird schon länger über Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung diskutiert. Im Gespräch sind Gebühren für Nicht-Anwohner oder sogar Sperrungen. Letzteres bringt die Emotionen besonders zum Kochen.

Zdeněk Hřib | Foto: Magistrat der Hauptstadt Prag

Pläne zur Verkehrsberuhigung im historischen Zentrum Prags gibt es schon seit Längerem. Entsprechende Vorhaben finden sich im Hauptstadtplan für nachhaltige Mobilität von 2019. Passiert ist seitdem kaum etwas. Nun wird die Diskussion aber von Zdeněk Hřib (Piraten) wieder angekurbelt. Er war bis Februar dieses Jahres Oberbürgermeister von Prag und ist nun als stellvertretender Oberbürgermeister zuständig für Verkehrsfragen. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sprach er sich für eine Einschränkung des Verkehrs auf beiden Seiten des Moldauufers aus und zeigte sich auch einem kompletten Autoverbot nicht abgeneigt:

„Die Bewohner im ersten Prager Stadtbezirk sind nicht nur bereit dafür, sondern wollen dies auch. 73 Prozent der Anwohner sind unzufrieden mit dem Transitverkehr. Und die Angelegenheit ist ja nicht neu. Der jetzige Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda sagte in seiner ersten Amtszeit 2012, dass gleich nach Inbetriebnahme des Blanka-Tunnels alle Autos vom Smetanaufer verschwinden sollten.“

Tunnel Blanka | Foto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk

Der fünfeinhalb Kilometer lange Tunnelkomplex Blanka gehört zum Stadtring, der bisher noch nicht fertiggestellt wurde. Der Tunnel führt von Nordosten nach Südwesten durch Prag. Seit seiner Eröffnung 2015 habe die Verkehrsbelastung weder auf dem Smetanaufer am Rande der Altstadt noch auf der Kleinseite nachgelassen, kritisiert Hřib:

„Der Blanka-Tunnel war eine Investition für mehr als 40 Milliarden Kronen (1,7 Milliarden Euro, Anm. d. Red.). Er kostete also wirklich viel Geld. Gebaut wurde er mit der Vision, dass damit der Durchgangsverkehr auf der Kleinseite eingeschränkt wird. Dies war eines der Hauptargumente. Der Blanka-Komplex ist nun seit mehreren Jahren geöffnet, zufällig fiel dies in die Zeit der Ano-Regierung. Seitdem gab es nicht den Mut, weitere Schritte zu unternehmen. Und das obwohl alle vorhergehenden Oberbürgermeister versprochen haben, dass dies der Wendepunkt sein werde.“

Tunnelkomplex Blanka | Foto: Tschechischer Rundfunk

Man muss an dieser Stelle daran erinnern, dass Hřib selbst von 2018 bis 2023 an der Spitze der Stadtregierung stand.

Die Gegner von Durchfahrtssperren im Zentrum wollen vor allem warten, bis die Stadtumfahrung vollständig möglich ist. Dieses Argument bringt auch Ondřej Prokop vor. Er ist Stadtabgeordneter für die Oppositionspartei Ano und Mitglied im Aufsichtsrat der Prager Verkehrsbetriebe (DPP):

„Jetzt ist nicht die richtige Zeit dafür. Denn zuerst muss der innere Stadtring fertiggebaut werden. Bisher besteht nur eine Nord-Süd-Verbindung, und das ist die Magistrale. Wenn auf dieser gebaut wird und sie verstopft ist, dann bleiben den Autofahrern nur noch die Uferpromenaden.“

Ondřej Prokop | Foto: Magistrat der Hauptstadt Prag

Das meint die Kleinseite und das Smetanaufer, und diese könne man derzeit also nicht schließen, so Prokop.

Hřib hingegen will nicht warten. Seine jetzige Initiative belegt er mit den Erfahrungen und gesammelten Daten aus einer mehrwöchigen Komplettsperrung des Hauptverkehrsweges für Autos auf der Kleinseite. Weil die Straßenbahnschienen erneuert wurden, war die Strecke von der Straße Újezd über den Kleinseitner Ring bis zur U-Bahn-Station Malostranská im Februar und März nicht befahrbar. Diese Zeit habe gezeigt, dass es schon jetzt genügend Umfahrungsmöglichkeiten gebe, so der Stadtrat:

„Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, dies wird auch durch harte Fakten belegt. Jetzt haben wir die Zahlen aus der Zeit der Vollsperrung der Kleinseite. Es gibt zudem Daten aus vorhergehenden Straßensperrungen wegen Bauarbeiten, sei es auf der Kleinseite oder am Smetanaufer. Bei keinem dieser Anlässe ist eine Verkehrsapokalypse eingetreten.“

Foto: geralt,  Pixabay,  Pixabay License

Dies muss auch Prokop anerkennen. Über die Sperrungen in den letzten Jahren sei öffentlich gut informiert worden, lobt der Ano-Stadtverordnete:

„Es gab überall in Prag viele Hinweisschilder zu der Sperrung, damit die Leute die Umfahrungen nutzen. Aber in den Spitzenzeiten war am Smetanaufer eine höhere Belastung als gewöhnlich erkennbar. Wenn wir also die Kleinseite sperren, dann bedeutet dies lediglich, dass wir das Smetanaufer noch weiter belasten und die Straßenbahnen dort mit noch mehr Verspätung fahren werden.“

Denn es sind nicht nur Autos, die in der Innenstadt nur sehr langsam vorankommen. Auch Straßenbahnen werden dadurch ausgebremst und fahren auf zentralen Strecken unregelmäßig.

80 Prozent Durchgangsverkehr

Smetanaufer in Prag | Foto: AutoMat

Zdeněk Hřib betont immer wieder, er würde seine Verkehrspolitik an fundierten Daten ausrichten. Diese würden im Prager Zentrum seit 2019 systematisch erhoben und ausgewertet, unter anderem vom Institut für Stadtplanung und -entwicklung (IPR):

„Man muss das wirklich rational betrachten. Die Daten belegen: Der Großteil des Transports – auf der Kleinseite und auch am Smetanaufer – verläuft zu Fuß oder per Rad, das sind 52 Prozent. 33 Prozent nimmt der ÖPNV ein und nur 15 Prozent das Auto. Am Smetanaufer besteht das Problem, dass der Tramverkehr durch Autos ausgebremst wird. Die bisherigen Straßensperrungen haben die Annahme bestätigt, dass die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer durch eine Minderheit eingeschränkt wird.“

Foto: geralt,  Pixabay,  Pixabay License

Dem hält Oppositionsvertreter Ondřej Prokop eine Studie der Technischen Universität ČVUT anlässlich der jüngsten Sperrung der Kleinseite entgegen:

„Die Daten der Experten der Verkehrsfakultät besagen, dass bei Normalverkehr 6700 bis 7000 Autos pro Tag dem Transit zugerechnet werden. Als es die Straßensperrung gab, sind auch etwa 6000 Autos täglich gezählt worden. Das heißt, trotz der Polizeisperrungen haben die meisten Autos doch die Kleinseite durchfahren.“

In der Diskussion herrschten offenbar unterschiedliche Auffassungen darüber vor, was genau als Durchgangsverkehr zählt, fährt Prokop fort. Er selbst würde Autonutzer, die ins Zentrum zur Arbeit fahren oder ihre Kinder dort zur Schule bringen, nicht dem Transit zuordnen. Hřib hingegen spricht bezüglich der Anwohner nur von jenen Autos, deren Kennzeichen auf eine Meldeadresse in den betreffenden Stadtteilen verweisen. Die entsprechende Überprüfung der Nummernschilder aller die Kleinseite nutzenden Autos habe ergeben, dass der Durchgangsverkehr 80 Prozent ausmache, berichtet der Stadtrat. Diesen verbieten zu wollen, hält Prokop jedoch für falsch:

„Ich befürchte, wir würden einigen Schaden anrichten für die ansässigen Unternehmer. Denn auf der Kleinseite befindet sich eine ganze Reihe von Restaurants, Hotels und Firmen. Es stellt sich die Frage, ob wir den Besuch dieser Einrichtungen verbieten wollen. Wir müssen bedenken, dass nicht alle Menschen in der Lage sind, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Rad zu fahren. Auf der Kleinseite befinden sich außerdem das Konservatorium, eine Reihe von Schulen und Kindergärten, das Krankenhaus ‚Pod Petřínem‘ oder Hotels.“

Foto: geralt,  Pixabay,  Pixabay License

Daraufhin berichtet Hřib von Erfahrungen aus der Region Westböhmen:

„Man kann das Beispiel Karlovy Vary anführen, wo die Partei Ano regiert. Dort ist das Zentrum verkehrsberuhigt und die Zufahrt in die Bäderzone eingeschränkt. Auch dort gibt es viele Hotels, was Herrn Prokop zufolge ein Hindernis darstellt – aber in Karlovy Vary ist dies gar kein Problem. Es gibt also eine Lösung, und diese wurde in einer Kreisstadt erprobt, die auch ein sehr touristisches Zentrum hat. Ich sehe also wirklich keinen Grund zu warten.“

Die Opposition hat allerdings Bedenken, dass die Gegner einer Verkehrsberuhigung und auch Anlieger im historischen Zentrum von der jetzigen Magistrats-Initiative überrollt werden. Wenn es jetzt zu Einschränkungen oder sogar Sperrungen auf der Kleinseite komme, wären bald danach auch andere wichtige Straßen an der Reihe, befürchtet Prokop:

„Danach wird das Smetanaufer gesperrt, was dann schon ein großes Problem für Prag darstellt, so lange es keinen Ring gibt. Das Ufer lässt sich zwar über die kleinen Parallelstraßen umfahren. Es hat sich bei der kurzzeitigen Sperrung aber gezeigt, welchen Kollaps das erzeugt hat und welche Unannehmlichkeiten dies für die Anwohner mit sich brachte. Denn unter ihren Fenstern standen den ganzen Tag Autos. Ich glaube nicht, dass diese Salamitaktik ein guter Weg ist.“

Salamitaktik befürchtet

Dichter Straßenverkehr in Prag | Foto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk

Verkehrsstadtrat Hřib verwehrt sich gegen das Szenario eines Kollapses und verspricht, eine komplexe Lösung zu finden. Es solle sich eben nicht um eine übereilte Aktion handeln, sondern alles gut durchdacht sein:

„Die Sperrung des Smetanaufers vor drei Jahren hat vor allem gezeigt, dass bei diesen Angelegenheiten mit einer klaren Einigkeit der politischen Vertreter vorgegangen werden muss. Ich tausche mich dazu mit der Stadtteilführung von Prag 1 intensiv aus. Im Übrigen ist der dortige Verkehrsstadtrat auch von der Partei Ano. Dieser Dialog läuft also, und die Inspiration kommt aus Karlovy Vary, wo auch Ano regiert.“

Bei den Planungen würden auch die Forderungen der Anwohner berücksichtigt, versichert Hřib. Zudem müsse die Debatte auch noch im Magistrat geführt werden. Dort werde dann genau definiert, was unter Durchgangsverkehr zu verstehen sei und mit welchen Maßnahmen dieser eingedämmt werden solle. Es seien nämlich verschiedene Varianten im Spiel, so der stellvertretende Oberbürgermeister. Möglich seien nicht nur Durchfahrtsverbote, sondern etwa auch eine kostenpflichtige Straßennutzung.

Foto: RichardsDrawings,  Pixabay,  Pixabay License

Tatsächlich wurde vor zwei Wochen vermeldet, dass der Magistrat in Absprache mit dem ersten Prager Stadtbezirk eine Gebühr für die Durchfahrung des historischen Zentrums erheben will. Hřib habe sich darauf mit Stadtteilbürgermeisterin Terezie Radoměřská (Top 09) geeinigt, so die Mitteilung an die Öffentlichkeit. In Kraft treten solle diese Regelung, die Zustimmung des Stadtparlaments vorausgesetzt, zu Beginn des kommenden Jahres.

Komplett autofrei wird das Zentrum von Prag in naher Zukunft also keineswegs werden. Mit dieser ersten „weicheren“ Lösung, wie Zdeněk Hřib die Gebührenerhebung nennt, könne dann aber auch die Opposition leben, sagt Ondřej Prokop:

„Die Gebührenvariante steht für uns schon eher zur Debatte. Denn wenn sie eine vernünftige Dimension hat, wird dies auch die unternehmerische Sphäre schützen, die wir nicht einschränken wollen. Wenn die Menschen also in die Büros im Zentrum oder zu Arbeitstreffen mit dem Auto fahren wollen und bereit sind, dafür zu zahlen, wäre dies ein möglicher Weg.“

Stau | Foto: staboslaw,  Pixabay,  Pixabay License
Autoren: Daniela Honigmann , Karolina Koubová
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