Begegnungen ohne Obdach

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Deutsch-tschechischer Schüler- und Studentenaustausch gehört allmählich zum Alltag. Dass sich aber Obdachlose aus Tschechien und Deutschland getroffen haben, ist ungewöhnlich, um eine Premiere handelte es sich dabei aber nicht. Oder doch? Denn im Januar ging bereits das zweite internationale Obdachlosentheaterfest im Prager Klub Roxy über die Bühne: "Hic sunt leones 2006". Bara Prochazkova hat die Begegnungen zwischen tschechischen und deutschen Obdachlosen genauer betrachtet.

Alle haben etwas gemeinsam - sie sind oder waren obdachlos, befinden sich in einer schwierigen sozialen Lage und vermissen ihre Familie. Und doch sind sie unterschiedlich. Außer der unterschiedlichen Muttersprache trennen sie auch die staatlichen Rahmenbedingungen. In Deutschland sei die Situation für Obdachlose leichter, man könne zum Beispiel schneller eine kleine Sozialwohnung bekommen, sagte der Dramaturg des tschechischen Obdachlosentheaters "Jezek a Cizek", Petr Sourek. Diesen Unterschied haben auch die Obdachlosen selber schnell bemerkt, gibt Radek Riha zu, der seid fünf Jahren auf der Straße lebt. Unbefriedigende familiäre Verhältnisse waren der Grund, warum er mit 18 den Eltern den Rücken kehrte. Dies ist die Hauptursache für die Obdachlosigkeit, bestätigt Sourek. Radek Riha hat viel Spaß am gemeinsamen Theaterspielen, nur die Gegensätze müssten nicht so markant sein, sagt er:

"Es gefällt mir, aber gleichzeitig sehe ich, dass die Deutschen auf einem höheren Lebensniveau sind und dieser Unterschied macht mich fertig. Ich muss schon sagen, dass ich neidisch bin, weil ich mich teilweise erniedrigt fühle. Ich glaube, dass man diese beiden Welten nicht verbinden kann."

Der Regisseur und Vorsitzende des Berliner Vereins "Ratten 07", Gunter Seidler, sieht jedoch auch Vorteile in der gegenseitigen Konfrontation:

"Das kann gefährlich sein, darüber haben wir noch nicht nachgedacht. Ich versuche in unserer Berliner Gruppe eine Sensibilität zu finden, dass die Gruppe auf einem anderen Level lebt und dass man nicht vergessen sollte, dass es auch andere gibt. Die Erfahrungen der Prager Obdachlosen können die Berliner anregen darüber nachzudenken, dass sie sich schon von dem entfernt haben, was sie früher gemacht haben."

In den deutschen Theatergruppen ist kaum jemand ohne Obdach, dieser Zustand sei mittlerweile Vergangenheit für die Schauspieler. Auch dank der Schauspielerei konnten sie sich wieder in gesellschaftliche Prozesse eingliedern. Da die deutschen Theatergruppen - "Obdach-Fertig-Los" aus Hamburg sowie "Ratten 07" aus Berlin - bereits seit elf beziehungsweise seit 13 Jahren bestehen, konnten sie den Pragern jede Menge Erfahrung vermitteln. Das Theater sei für die Obdachlosen einer der wenigen festen Punkte im Leben, sagte der Leiter des tschechischen Theaters, Jakub Balaban. Die beteiligten Schauspieler bestätigen dies:

"Ich bin hier ständig mit Leuten zusammen, die ich auch regelmäßig in Sozialeinrichtungen treffe. Es macht mir deshalb Spaß, weil wir alle in einer ähnlichen Situation sind. Wir gehen uns auf die Nerven, wir streiten uns, aber wenn ich zu jemanden komme, weil ich etwas von ihm brauche, dann sind sie immer für mich da."

"Ich stehe auch dazu und sage es immer wieder: Der Tag, als ich zu Obdach-Fertig-Los kam, war für mich der Moment, wo ich mir gesagt habe, dass es im Leben noch etwas anderes außer der Mönckeberg- oder der Spitalerstraße in Hamburg gibt. Und jetzt versuche ich mein Leben auch mal zu ändern."

"Man fühlt sich manchmal alleine. So trifft man Freunde, spricht mit ihnen und kann ein bisschen Theater spielen. Jede Berührung mit einem nahen Menschen freut einen."

Foto: CTK
Genauso wie Laco Rapan, der ursprünglich aus Nordmähren kommt, werden manche Obdachlose durch dieses Projekt resozialisiert, viele bekommen einen neuen Lebensrhythmus. Über 200 Schauspieler haben in den vergangenen fünf Jahren in der Theatergruppe "Jezek a Cizek" mitgemacht.

Für die Auftritte bekommen die tschechischen Schauspieler zur Motivation 100,- Kronen, das sind etwa drei Euro, die Proben werden nicht vergütet, erzählt Jakub Balaban, Leiter der Prager Gruppe:

"Manchmal braucht man Geduld, bis die Schauspieler etwas lernen, denn sie sind keine geschulten Profis. Einmal ist die Vorstellung perfekt, ein anderes Mal kann man das erreichte Niveau nicht halten. Weiter muss man bedenken, dass die Fluktuation der Schauspieler sehr hoch ist, deshalb muss man damit schon von vorneherein rechnen und in Alternation proben."

Die Stücke drehen sich oft um Arbeitslosigkeit - auch für die Hamburger Theatergruppe "Obdach-Fertig-Los" ein zentrales Thema, bestätigt Thomas Dominik, ein ehemaliger Obdachloser, der für die Hamburger Theaterstücke schreibt:

"Wir beschönigen nichts in unseren Stücken, wir sagen alles wie es ist. Es wird auch gesoffen oder gebettelt und alles Mögliche weitere wird gemacht."

Seit 2004 gibt es einen Austausch zwischen tschechischen und deutschen Obdachlosentheatergruppen, die Tschechen von "Jezek a Cizek" waren mittlerweile in Hamburg und in Köln. Eine intensive Zusammenarbeit soll nun zwischen Prag und Berlin entstehen, sagte Gunter Seidler. Nicht nur Austausch von Erfahrungen mit der Obdachlosigkeit, sondern auch ein Austausch von Schauspielern sei geplant - bereits im Frühjahr nämlich soll ein gemeinsames Theaterstück entstehen, das sich am Werk von Maxim Gorki orientiert.

Wie die Atmosphäre bei den Proben aussieht, beschreibt der Leiter der Hamburger Truppe, Gerhard Arland:

"Wenn wir zusammenkommen, dann essen wir erstmal etwas und dann geht so eine Plastikente herum und jeder erzählt, was in der letzten Woche Schlechtes oder Gutes passiert ist. Wir geben uns gegenseitig Tipps und dann wird erst geprobt. Wir kennen also unsere Probleme, wissen, dass der eine Ärger mit dem Sozialamt und der andere immer noch keine Wohnung hat. Es ist fast wie eine kleine Ersatzfamilie."

In Hamburg wird das Obdachlosentheater als soziales Projekt von der Heilsarmee unterstützt, entstanden ist es vor elf Jahren jedoch spontan. Der Verein "Ratten 07" in Berlin wird dagegen teils von Stadtteilmitteln und teils von Eintrittsgeldern finanziert. Bei den Tschechen gibt die Hauptstadt Prag auch Gelder dazu, zum Beispiel für die Reisekosten ins Ausland oder Theaterschlafsäcke für die Reise, eine Halle zum Übernachten wird meistens vom Partner gestellt. Keiner muss also Angst haben, dass er bei einer Theatertour obdachlos bleibt.

Die Schauspieler kommen auf drei Wegen zum Projekt: Streetworker gehen an Plätze, wo sich Obdachlose befinden, und sprechen sie an, oder soziale Einrichtungen stellen das Theater vor. Das Wichtigste sei jedoch die Mundpropaganda, sagt der Dramaturg Petr Sourek, der im Theater auch mitspielt, denn:

Foto: CTK
"Normalerweise spielen wir mit unseren Obdachlosen gemeinsam. Aber in einer Aufführung spielt nur einer mit, der führt, leitet oder aufheitert. Eine Hälfte der Obdachlosen hat bereits eine Bleibe, die andere Hälfte lebt noch wirklich auf der Straße."

Beim Spielen und Zuschauen hatten in Prag alle viel Spaß, auf dem Programm stand unter anderem in zwei verschiedenen Aufführungen das Stück "Die Weber" von Gerhard Hauptmann, gespielt von "Jezek a Cizek" sowie von "Ratten 07". Die Hamburger brachten ein thematisches Obdachlosen-Stück aus der eigenen Produktion: "Abwärts zu den Sternen".