Behinderte in der tschechischen Gesellschaft

Jedlicka-Institut

Integration von Behinderten in das Arbeitsleben: Das ist das vorrangige Ziel des traditionsreichen Prager Jedlicka-Instituts. Als es 1913 gegründet wurde, hieß die Devise: aus bettelnden Invaliden arbeitende Steuerzahler machen. Heute werden am Jedlicka-Institut ca. 180 Schüler zwischen sechs und 25 Jahren ausgebildet. Unter anderem von Vojtech Civak, der selber stark sehbehindert ist. Silja Schultheis hat mit ihm gesprochen.

Herr Civak, Sie arbeiten seit 1993 hier im Jedlicka-Institut, unter anderem als Deutschlehrer. Vor 1989 sind Sie in eine Schule für Sehbehinderte gegangen. Wie kann man sich so eine Einrichtung vorstellen? Was für eine Atmosphäre herrschte dort während des Kommunismus?

"Na ja, wir waren damals Kinder und haben die Atmosphäre als nicht so tragisch wahrgenommen. Aber wenn ich jetzt daran zurückdenke, so muss ich sagen: Alle Kinder mussten dasselbe machen, dasselbe mögen, dasselbe sagen und gleich wie die anderen denken. Wie kann man das erreichen? Nur mit einem strengen Regime."

Ziel der Kommunisten war es ja auch, behinderte systematisch von der Öffentlichkeit fernzuhalten und sie in Anstalten regelrecht wegzusperren. Das Jedlicka-Institut ist dafür ein sehr anschauliches Beispiel. Es befindet sich in der Nähe des damaligen Kulturpalastes, und wenn die Kommunisten hier Tagungen hatten, dann erhielt das Institut die Weisung, in dieser Zeit keine Behinderten auf die Straße zu lassen. Was hat sich seit 1989 in der tschechischen Gesellschaft geändert, was die Einstellung gegenüber Behinderten anbelangt?

"Meine Erfahrung ist die, dass man jetzt viel mehr über die Behindertenproblematik spricht, auch im Rundfunk und im Fernsehen. Man sollte sich also nicht über Mangel an Information beklagen. Aber die Gesellschaft könnte toleranter sein. Noch toleranter."

Vor kurzem wurde in Tschechien ein neues Gesetz über Sozialdienstleistungen verabschiedet, dem zufolge Behinderte künftig mehr Mitspracherecht haben darüber sollen, wie sie betreut werden, ob zu Hause oder in einem Heim. Tut der tschechische Staat genug, um die Integration von Behinderten zu fördern?

"Die Tschechen sagen ja gerne, dass alles, was die Politiker machen, nicht ausreichend ist. Aber objektiv betrachtet bedeutet dieses neue Gesetz für die Behinderten wirklich viel. Denn das Geld, das die Gemeinden früher den Betreuungseinrichtungen gaben, bekommen jetzt direkt die Behinderten. Das heißt, dass ein Behinderter, der Ganztagsbetreuung braucht, nicht in einer Anstalt leben muss. Er kann zu Hause bleiben, an seinem Wohnort arbeiten, und sich die benötigten Dienstleistungen selbst kaufen. Das ist sehr wichtig."