"Beschlagnahmt!" - die Zensur in der Tschechoslowakei
„Wissen ist Macht“ – so lautet ein bekannter Spruch, der auf die Gedanken des englischen Philosophen Francis Bacon von 1620 zurückgeht. Beispiele dafür, wie sich eine Minderheit das Recht vorbehält, über den Zugang der restlichen Gesellschaft zum Wissen zu entscheiden, findet man in der Geschichte mehr denn genug. Hierfür gab es seit eh und je ein bewährtes Instrument: die Zensur. Welche Rolle sie im Wandel der Zeiten zwischen 1918 und 1989 hierzulande gespielt hat, das ist Thema im heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg dachten die meisten Menschen in der Tschechoslowakei, mit der Zensur sei es nun vorbei. Doch knapp drei Jahre später war sie wieder da. Diesmal in der Regie der Kommunisten, die durch einen Staatsstreich im Februar 1948 an die Macht gekommen waren. In den nachfolgenden vier Jahrzehnten machte das kommunistische Regime einige Wandlungen durch und nutzte unterschiedlich stark die Instrumente, um die Gesellschaft zu steuern beziehungsweise Opposition zu unterdrücken. Hana Řeháková, Koautorin des Buches „Die verbotene Geschichte“ und Kuratorin der gleichnamigen Ausstellung von 1998, zieht einen Vergleich:
„Die Zensur im Protektorat Böhmen und Mähren tarnte sich mit keinen alternativen Namen und nannte sich Zensur. Anders war es unter den Kommunisten. Im Lauf der Zeit gab es HSTD, ÚPS; ÚTI, ČÚTI, SÚTI, FÚTI, also die Abkürzungen von Decknamen, hinter denen sich Zensurinstitutionen versteckten. Dabei haben die Kommunisten das Wort ´Zensur` niemals im Zusammenhang mit ihrer eigenen Politik verwendet.“Nachdem sie die Macht ergriffen hatte, setzte die kommunistische Staatspartei sofort Maßnahmen zur Kontrolle der Informations- und Propagandakanäle durch. Man wollte aber mehr. Das Ziel war, nicht nur der Presse und dem Radio, sondern dem gesamten kulturellen Schaffen feste ideologische Schranken setzen. Nach einem Beschluss der Parteiführung, dem auch Konsultationen mit einem Mitarbeiter der Moskauer Zensurzentrale vorausgegangen waren, entschied das Regierungspräsidium 1953 heimlich über die Errichtung einer Zensurbehörde mit dem Namen „Die Hauptverwaltung zur Aufsicht über die Presse“, kurz HSTD.
Am Anfang mangelte es jedoch an geschulten Zensoren, und so setzte man landesweit Mitarbeiter der Kreisausschüsse der Partei ein. Die Publizistin Jarmila Cysařová (1929) ist Autorin mehrerer Studien, in denen sie sich mit dem gegenseitigen Verhältnis von Staatsmacht und Tschechoslowakischem Fernsehen zwischen 1953 und 1989 befasst hat.„In das Jahr der offiziellen Einführung der Zensur, das war damals die HSTD, fiel auch der Beginn des Fernsehens. Die Zahl der Zensoren stieg schnell an. Anfangs waren es landesweit um die 70, bald aber 250 und hinzu kamen noch freie Mitarbeiter. Zensiert wurde absolut alles. Es ging um die so genannte präventive Zensur, die in gewissem Sinne komisch war. Zum Beispiel im Fernsehen, das live ausstrahlte. Während der Sendung saß der Zensor neben dem Regisseur und las fortlaufend das Drehbuch. Jede Seite sollte er mit einem Stempel versehen. Setzte er kein Stempel drauf, gab es ein Malheur. Bemerkenswert ist, dass es am häufigsten in Unterhaltungsprogrammen zu einem Eingriff der Zensur kam.“
In den 1950er Jahren ließen sich viele Ähnlichkeiten des ausgeklügelten Kontrollsystems der Kommunisten mit dem der Nationalsozialisten finden. Beim ZK der KPTsch wurde ein Lektorenrat eingesetzt, der mit der Beurteilung der Redaktionspläne aller Verlage beschäftigt war. Die Werke „politisch unzuverlässiger“ Autoren waren verboten. 1952 wurde die Säuberung der öffentlichen Bibliotheken eingeleitet. Aus den Regalen und Depots musste vor allem die - wie es hieß - „trotzkistische, antisowjetische und rechtsorientierte sozialdemokratische Literatur“ verschwinden. In dieser Zeit wurden schätzungsweise 27,5 Millionen Bücher vernichtet. Hart betroffen von der Zensur war selbstverständlich auch die Presse.Die Zensur wurde bis in die 1960er Jahre in allen Bereichen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens praktiziert. Trotzdem mehrten sich nach und nach die Anzeichen eines Systemwandels. Nach dem Schriftstellerkongress 1967 und einem Studentenprotest in Prag kam das Geschehen mit dem Jahresbeginn 1968 ins Rollen. Die kommunistische Parteiführung war gespalten in einen konservativen Flügel und einen Reformflügel, die sich seit Januar 1968 ein Tauziehen um die Macht lieferten. Der angestaute Frust in der Gesellschaft löste schließlich eine Reformwelle aus. In den bislang zensierten Medien manifestierte sich dies durch eine Lawine von Informationen, die auf enormes Interesse in der Bevölkerung stieß. Die Zeitungen wurden nun erstmals wieder massenhaft freiwillig gelesen, und ihre Auflagen stiegen sprunghaft an. Ende Juni 1968 wurde die Zensur offiziell aufgehoben. Die tschechoslowakischen Medien waren in dieser Zeit dem Kremlführer Leonid Breschnew ein Dorn im Auge. Davon zeugt auch ein Zitat aus dem sogenannten Weißen Buch, in dem eine Gruppe sowjetischer Journalisten die Entwicklung in der Tschechoslowakei beschrieb: (ZITAT)
„Eine ungewöhnlich günstige Situation für die konterrevolutionären Propagandisten ist im Fernsehen entstanden. Sein Direktor Jiří Pelikán, einer der bekannten Verfechter des Antisozialismus, hat sich vor der Parteiführung unverhohlen für die ´Unabhängigkeit´ der Massenmedien eingesetzt. Man kann also verstehen, dass ausgerechnet im Fernsehen täglich Sendungen laufen, die eine Atmosphäre politischer Nervosität sowie eine Welle des Nationalismus und der antisowjetischen Stimmung entfachen.“
„Das war ein großes Problem. Man hat sogar Eingriffe in die Texte vorgenommen, weil Comenius nicht nur Philosoph, sondern auch Theologe gewesen ist. Deswegen stießen Sätze, in denen er Gott erwähnt, auf Missfallen. Einige Texte habe ich letztlich einfach weggelassen. Doch auch einige meiner Fotoaufnahmen durften im Buch nicht erscheinen. Trotzdem wurde der Band von etwa sechs Verlagen abgelehnt. Jedes Mal hat man mir gesagt, das Buch sei hervorragend und man wolle es herausgeben. Nach einem Monat aber war alles anders. Das Genehmigungsverfahren war unvorstellbar kompliziert. Äußern musste sich die Akademie der Wissenschaften, Hochschul-Experten und am Ende auch die Abteilung für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Partei. Von ihr bekam ich letztlich die Zustimmung, weil ich dort jemanden kannte.“