Bibliotheken und Archive in der Tschechischen Republik beklagen große Verluste

Invalidovna nach dem Hochwasser (Foto: www.ntm.cz)

In den vergangenen Tagen haben wir Sie bereits mehrfach über die unzähligen Schäden informiert, die das Hochwasser hier in Tschechien angerichtet hat. Eine vollständige Auflistung können wir Ihnen sicher nicht bieten, wir wollen uns aber einem Bereich etwas ausführlicher widmen, der sicher auch vielen von Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, am Herzen liegt: den Büchern, Schriftstücken und wertvollen Dokumenten, die in den vom Hochwasser betroffenen Bibliotheken und Archiven Tschechiens unter mehreren Metern Moldauwasser verschwunden sind. Katrin Sliva hat für uns das Schicksal jener "Hochwasseropfer" verfolgt:

Bei Hermann Hesse heißt es: "Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken." Darf man dieser Weisheit Glauben schenken, so kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass Tschechien innerhalb weniger Stunden sichtlich verarmt ist, denn das Hochwasser hat in den Bibliotheken und Archiven des Landes Berge von durchweichtem, von Schlamm verschmutzten Papier hinterlassen.

Dies hat uns dazu veranlasst, Sie in der heutigen Ausgabe des Kultursalons darüber zu informieren, wie groß die Schäden in diesem Bereich der Kultur sind und was unternommen wird, um die betroffenen Kulturobjekte für die Nachwelt zu erhalten. Vit Richter, stellvertretender Leiter der "Narodni knihovna" (Nationalbibliothek), die eine Koordinierungsstelle zur Schadensaufnahme eingerichtet hat, informiert darüber, wie die Situation im Bereich der Bibliotheken aussieht:

"Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir Informationen darüber, dass mindestens 50 Bibliotheken betroffen sind. Regional betrachtet sind die Schäden in Litomerice/Leitmeritz am größten, gefolgt von denen in Melnik. An dritter Stelle dieser traurigen Bilanz steht Prag. Hier haben in erster Linie die großen Bibliotheken der Stadt, hohe Schäden zu verzeichnen, so zum Beispiel die "Mestska knihovna" (Stadtbibliothek), die Bibliothek der juristischen Fakultät der Karls-Universität, die Bibliothek der Akademie der Wissenschaften, wo sich große und überaus wertvolle Sammlungen befinden. Die Zahl der beschädigten Bücher beläuft sich bisher auf etwa 660 000. In tschechischen Kronen ausgedrückt wird der Schaden auf 380 Millionen geschätzt."

In der Bibliothek des Instituts für Archäologie der Akademie der Wissenschaften, die sich u.a. mit der Erforschung des Mittelalters befasst und Dokumentationen gefährdeter archäologischer Denkmäler erstellt, stand das Wasser bis zu drei Metern hoch. Die Schäden, die hier entstanden sind, sind folglich unbezifferbar. Wie viele der 70 000 Bände, die vor der Überschwemmung die Regale dieser Bibliothek füllten, das Hochwasser überstanden haben, ist noch nicht bekannt. Ebenfalls bis zu drei Metern unter Wasser standen Bestände, die im Gebäude des Militärarchivs in der Straße "Invalidovna" aufbewahrt wurden. Hier waren ganze Regale vom Wasser zu Boden gerissen worden, deshalb sind hier die Schäden besonders hoch. Ivo Janousek, Leiter des Technischen Museums, das ebenfalls Sammlungen in diesem Gebäude untergebracht, beschreibt:

Invalidovna nach dem Hochwasser  (Foto: www.ntm.cz)
"Dass die Bestände in der Straße "Invalidovna" vom Hochwasser erfasst wurden, ist ein Tragödie für die Kultur des Landes. In diesem Militärobjekt haben wir auf 3000 m2 dreidimensionale Exponate, Exponate aus den Bereichen Elektrotechnik, Maschinenbau, Hüttenwesen und Chemie. Schlimmer ist jedoch, dass hier drei Archive fast komplett unter Wasser standen, die von außerordentlicher Bedeutung sind - nicht nur für Tschechien sondern weltweit. Es handelt sich um das Geschichtsarchiv, das Archiv des Flugwesens und, was am schwersten wiegt, das Architektur-Archiv."

In letzt genanntem Archiv befanden sich etwa eine halbe Million Zeichnungen, Fotografien, Modelle und Dokumente, die hier seit 1910 zusammengetragen wurden. Zu den einzigartigen Exponaten gehören Arbeiten etlicher herausragender tschechischer Architekten, darunter Arbeiten von Josef Fanta, Jan Kotera und Josef Zitek, nach dessen Entwürfen das Nationaltheater in Prag realisiert wurde. Diese Pläne zählen zu den vom Wasser geschädigten Exponaten. Da die Verluste hier besonders hoch sind, hat sich in der vergangenen Woche eine Gruppe, bestehend aus Professoren der Fakultät für Architektur, Redakteuren der Fachzeitschrift "Architekt", Mitarbeitern des Amtes für Denkmalschutz "Statni ustav pamatkove pece" und weiteren Architekturinteressierten zusammengeschlossen, um einen Fonds zu gründen. Dieser will sich der beschädigten Exponate annehmen, die zunächst in überdimensionalen Gefrierschränken eingelagert wurden und dort auf ihre Restaurierung warten.

Wir haben einen Fachmann dazu befragt, welche Möglichkeiten es gibt, Exponate, die vom Wasser beschädigt wurden, zu retten. Archivrestaurator Norbert Schempp, der von Mitarbeitern der "Narodni knihovna" (Nationalbibliothek) in Prag bezüglich einer möglichen Zusammenarbeit angesprochen wurde, erläutert:

"In der Schadensmenge, wie sie hier vorliegt, gibt es nur eine technische Möglichkeit, dieses Wasser aus dem Archiv- und Bibliotheksgut herauszuziehen, das ist die sogenannte Gefriertrocknung. Wasser hat ja drei Formen: fest, dann ist es Eis, flüssig, dann ist es Wasser, gasförmig, dann ist es Wasserdampf. Bei der Technik der Gefriertrocknung wird der feste Aggregatzustand, also das Wasser, direkt in den gasförmigen Zustand sublimiert, so dass diese flüssige Phase gar nicht durchlaufen wird, so dass die Blätter nicht mehr schimmeln und nicht mehr nass sind und die Nässe aus den Büchern herausgezogen wird."

Alternativen gibt es Norbert Schemmp zufolge nicht. Hierfür führt er folgende Begründung an:

"Das Problem ist, dass Bücher in der Stärke von beispielsweise 10 cm in der Mitte des Buchblocks viel schneller schimmeln, also einen Mikroorganismus-Befall haben, als dass sie von außen getrocknet werden können. Technisch ist eigentlich das Tiefgefrieren und das anschließende Gefriertrocknen die einzige Maßnahme, die man anwenden kann. Wenn man nur an der Luft trocknet oder nur Blätter zwischen die Buchblöcke schiebt, dann werden die Objekte schimmeln und im Laufe der Zeit dann kaputt gehen."

Das Gefriertrocknen sei allerdings nur einer der Schritte, die notwendig sein werden, um die Kleinode zu erhalten:

Norbert Schemmp weiter:

"Die Bände, die gefriergetrocknet sind, bei einem Wasserschaden wie es Prag war, sind natürlich auch stark verschmutzt durch das Flusswasser und im Normalfall muss als erstes gereinigt werden. Das ist meistens eine Trockenreinigung. Je nach Wertigkeit des Objekts wird anschließend restauriert. Man versucht also, wieder den Originalzustand herzustellen."

Was also einem Laien zunächst ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint, ist machbar: Bücher, die mit Wasser in Berührung gekommen sind oder sich gar, wie im Fall der überfluteten Bibliotheken, mehrere Stunden unter Wasser befanden, können restauriert werden. Sollten die Hiobsbotschaften über die "verlorenen Schätze aus Papier" folglich übertrieben und hinfällig sein?

Norbert Schemmp über die Schwierigkeiten:

"Tinten, beispielsweise, die durch die Feuchtigkeit migriert, also ausgelaufen sind, oder deformierte Deckel sind natürlich sehr aufwendig zu restaurieren und bei den Hunderten von Tonnen Archiv- und Bibliotheksgut kaum zu machen."

Wie viele Bücher können also in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden?

"Vergleichbar mit dem Ausgangszustand wird es nur eine ganz, ganz geringe Menge sein, weil durch die Feuchtigkeit die Einbände und das Papier deformiert und wellig sind."

Darüber hinaus, so Schemmp, gäbe es ein anderes, nicht minder schwerwiegendes Problem, nämlich das der Finanzierung:

"Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Gefriertrocknung pro Kilogramm nassen Buches zwischen 3,50 und zehn Euro kostet. Das heißt, bei Hunderten von Tonnen wie es jetzt in der Tschechischen Republik der Fall ist, besteht eine große Schwierigkeit darin, für die Gefriertrocknung der Bücher zu sorgen, von der Restaurierung oder Wiederherstellung der einzelnen Objekte ganz zu schweigen."

In Anbetracht der unüberschaubaren Menge an Büchern, Archivalien, Dokumenten und Exponaten, die nunmehr in Gefrierschränken in der ganzen Tschechischen Republik verteilt liegen, wird es folglich noch eine ganze Weile dauern, bis die auf diese Weise zwischengelagerten Schätze restauriert sein werden. Besonders, da es an den erforderlichen Kapazitäten mangelt. Das bestätigt auch Robert Luft, Geschäftsführer des "Collegium Carolinum" , der Forschungsstelle für die böhmischen Länder mit Sitz in München:

"Hier sind die Kapazitäten in ganz Europa gefragt, weil durch diese Flutkatastrophe ein besonderer Bedarf entstanden ist, der nur in einer internationalen Zusammenarbeit geregelt werden kann."

Diese Überzeugung hat die Mitarbeiter dieser Forschungsstelle dazu bewogen, Initiative zu ergreifen und den tschechischen Bibliotheken und Archiven Hilfe anzubieten, die hier so dringend benötigt wird.

Zu hoffen bleibt also, dass möglichst viele Exemplare aus den überfluteten Beständen, ihre Erfahrung mit dem nassen Element überstehen werden.