„Brutal wird’s, wenn Brutal Assault vorbei ist“

Foto: Christian Rühmkorf

Es ist mit das größte Festival finsterer Metal-Musik in Tschechien, das Brutal Assault. Und der Ort, an dem es stattfindet, die Festung Josefov bei Jaroměř mit ihren unbezwingbaren Festungsmauern, ist eine Kulisse, wie man sie sich besser kaum vorstellen kann. Und wenn ein Mal im Jahr die oft brutal aussehenden Fans das kleine Städtchen erobern, dann sind sie gern gesehene Gäste. Death-Metal-Fans sieht man hier viel lieber als die eigenen Nachbarn von der Roma-Minderheit. Radio Prag nimmt Sie mit auf einen Streifzug durch eine gespaltene Stadt.

Foto: Christian Rühmkorf
Auch diesmal im August sind rund 14.000 Death-Metal-Fans zum Festival Brutal Assault in Jaroměř-Josefov eingefallen. Josefov ist ein verschlafenes Garnisonsstädtchen mit gerade einmal dreitausend Einwohnern und einer massiven Festungsanlage aus dem 18. Jahrhundert. Bürgermeister Jiří Klepsa, hochgewachsen, rotes Fußballtrikot und ein unbezwingbares Grinsen, ist glücklich, dass die Metallisten – wie sie hier genannt werden – nach Josefov kommen. Auch wenn Death-Metal nicht ganz sein Parkett sei:

„Das ist klasse, mich fasziniert die Atmosphäre von Brutal Assault, die Superorganisation. Ich selbst liebe ACDC, ich kann nichts dafür, ich liebe Iron Maiden und die Band von Euch, wie heißt die noch...Du hasst mich!“ (lacht)

Rammstein. Vielleicht ist der Bürgermeister auch so froh über die Death-Mettler, weil er einem großen Teil der Einwohner seiner Stadt skeptisch gegenüber steht: Den Roma. Zeitungen in Tschechien prophezeien: Josefov werde langsam zu einem Roma-Ghetto.

„Normalerweise machen bei uns die vielen Roma Krawall in den Straßen. Und 2007, beim ersten Brutal Assault, war niemand von denen da. Alle haben gedacht, ich hätte ihnen mit Geld aus der Stadtkasse Hütten am See bezahlt. Das ist natürlich nicht wahr“, lacht Bürgermeister Klepsa.

Aber eine gute Geschichte. „Eine gute Geschichte!“, bestätigt Klepsa.

Brutal Assault – brutaler Überfall – klingt brachial und sieht auch so aus. Zwei monströse Bühnen. Eine Fläche von rund zwei Fußballfeldern, umstellt von den zwölf Meter hohen Bastionsmauern der Festung. In dem Kessel kreischen Gitarren. Tausende schwarze Metallisten im Ausnahmezustand. Veranstalter Tomas Fiala war von Anfang an begeistert vom Ort:

„Und was die Roma betrifft: Metal-Fans sind zu 95 Prozent absolut keine Rassisten, und das ist vielleicht eine bessere Zahl als unter der Bevölkerung von Josefov.“

Mittlerweile hat leichter Regen eingesetzt. Ein Meer von schwarzen Kutten umspült die Bier- und Fressstände. Auch auf dem weitläufigen Hauptplatz mit der massigen Garnisonskirche lagern sie – von Roma übrigens kaum eine Spur. Dafür sitzen in der Kneipe U Prokopa ältere Stammgäste und Metal-Fans an einem Tisch.

„Brutal wird’s wenn Brutal Assault vorbei ist. Dann kommen die Zigeuner nämlich wieder aus ihren Löchern“, lallt der faltige Honza aus Josefov. Sein Freund Frantisek, der seine Zähne schon lange vermisst, glaubt fest daran, die Gemeinde habe dafür gesorgt, dass die Roma – die hier alle nur Zigeuner nennen - verschwunden sind: „Die haben denen eine Woche in Hütten am See bezahlt.“ (lacht)

Foto: Christian Rühmkorf
Das innige Bündnis der so genannten „weißen“ Bewohner von Josefov mit den Death-Metal Fans wird gepflegt. Auch im Kiosk zwei Straßen weiter:

„Das sind Goldstücke, diese Leute. Wenn alle so wären, dann sähe die Republik anders aus“, lästert der Mann hinterm Tresen. Ein Kunde wird deutlicher: „schwarze Miststücke“ schimpft er die Roma. Ich habe genug gehört und streife weiter durch Josefov. In einem Kasernengebäude treffe ich auf Robert Prchlík, professioneller Fassadenkletterer, um die 30, hager. Er führt mich zum Festungswall hinauf. Das alles erinnert an einen Nordseedeich, nur höher, breiter, wuchtiger, eingefasst von massiven roten Ziegelmauern. Auch die Schafe sind da.

„Das sind die besten Rasenmäher. Und ursprünglich gehörten die auch hierher“, erklärt Robert.

Die Schafe hat er auf eigene Kosten angeschafft. Er und sie kämpfen gemeinsam gegen Wurzelwuchs, der die Festungsmauern zerfrisst. Seine Festungsmauern. Hier habe er schon als Kind gespielt. Aber das Rathaus kümmere sich nicht um den Erhalt.

Oben angekommen eröffnet sich plötzlich der Blick auf das Metal-Festival zwischen den Festungswällen. Sie schlucken sogar die wummernden Bässe, den Rest trägt der Wind hier oben davon.

„Wenn es das da nicht gäbe, dann würden sich auch weniger Leute für die Festung interessieren. Das ist Reklame. Und die Death-Mettler sind unproblematische Leute. Hier sind alle froh, dass was passiert.“

Auch zu den Roma hat Robert ein entspanntes Verhältnis: „Wir lassen sie in Ruhe und die uns...aber viele junge Leute mit Kindern gehen weg wegen der Roma.“

Foto: Christian Rühmkorf
Nach fast vier Tagen bleiben dem Brutal-Assault-Festival nur noch ein paar nächtliche Stunden, und am Platz mit der Kirche zeigt sich eine Hand voll Roma, alt und jung. Bei der Geschichte mit den Hütten am See winken sie ab – kein Kommentar. Vor den Metal-Fans hätten sie keine Angst, sagt einer der jüngeren mit verspiegelter Sonnenbrille:

„Solange sie hier niemanden überfallen oder unsere Kinder schlagen, ist das in Ordnung. Und das Geschrei, das ist bei uns nicht anders, wenn wir aus der Kneipe kommen.“

Am Sonntagmorgen ist der Metal-Spuk abrupt vorbei. Vor der Kirche warten zwei Roma-Großfamilien in weißen Hemden und rosa Rüschen-Blusen. Drei Taufen auf einmal, die katholische Zeremonie dauert keine zehn Minuten.

„Ich bin vor sechs Jahren hierher gezogen, genau in der Brutal-Assault-Woche, das war für mich ein Schock,“ erzählt der Pfarrer und grinst. Aber manchmal kämen sogar einige von denen zur Messe, und nicht alle Death-Metal-Bands seien vom Teufel besessen.

„Einige brüllen ´Oh Satan´ in die Mikrofone, einige aber auch ´Oh Gott´. (3´15) Früher war das noch etwas anders. Beim Glockengeläut haben die aus den Zelten gebrüllt ´Was soll der Mist´. Jetzt haben die ihre Zeltstadt weiter weg.“

Foto: Christian Rühmkorf
Kaputte Zelte, Luftmatratzen, Flaschen und Berge von Müll liegen zwischen den Bäumen am Rande des Festungswalls – die Überreste vom Festival. Bürger von Josefov – ganz gleich welcher Herkunft – stochern darin mit Eisenstangen. „Ich sammle Brot für die Hühner“, erklärt eine ältere Frau mit Fahrrad.

Und die drei kleinen Roma-Jungs? „Plastikdeckel. Die geben wir im Caritas-Haus ab und die bekommen dann wiederum Geld für Behinderte dafür.“ Und die Jungs eine kleine Belohnung.

Im Lebensmittelladen am Ortsausgang brummen die Kühltruhen, und zwei muntere Damen stehen hinter dem Tresen:

„Die Tätowierungen – meine Güte. Als wir das zum ersten Mal gesehen haben, da hatten wir eine Angst! Aber so richtig Schiss hatten die Zigeuner...“

Und dann kam sie wieder, die Geschichte vom Bürgermeister Klepsa, der den Zigeunern von Josefov Hütten am See spendiert.

Eigentlich eine gute Geschichte, oder Herr Klepsa? „Eine gute Geschichte!“ Klepsa lacht.

Hinweis:

Der Beitrag entstand im Rahmen des Projektes "Die k.u.k. Festung Josefov oder: Wie entsteht ein Roma-Ghetto in Tschechien?" Die Robert Bosch Stiftung hat die Durchführung dieses Projektes im Rahmen des Förderprogramms "Journalisten vor Ort" ermöglicht.