In Chvaly hat sich für die Kastellanin ein Traum erfüllt
Wenn man von der Metro-Endhaltestelle Černý most mit dem Bus in Richtung Kyje oder Počernice fährt, sieht man zuerst nur Plattenbausiedlungen, Supermarkt- und Lagerhallen. Plötzlich taucht auf der rechten Seite inmitten von Horní Počernice der Turm der St.-Ludmila-Kirche auf. Und dann hält der Bus auch schon in Chvaly vor einem Park. Hinter dem in runder Form angelegten Park, der von frisch renovierten Gebäuden umgeben ist, steht das Schloss von Chvaly. Die Gemeinde Chvaly liegt heutzutage im 20. Prager Stadtbezirk und gehört zum Stadtteil Horní Počernice.
„Schriftliche Berichte über die Entstehung einer Festung in Chvaly, die an diesem Ort stand, gibt es nicht. Wir nehmen an, dass sie Anfang des 12. Jahrhunderts erbaut wurde. Dies belegen übrigens auch die hiesigen Schlosskeller. Vom Anfang des 15. Jahrhunderts ist jedoch ein Testament erhalten geblieben, in dem die Witwe des Prager Kaufmanns Kříž die Festung Chvaly ihrer Tochter vererbt.“
Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um eine kleine Holzfestung, zu der ein Bauernhof mit anliegenden Feldern gehörte. Das Anwesen war verhältnismäßig klein und seine Besitzer haben oft gewechselt.„1572 ging das Herrengut an die Jesuiten über. Aus den Erträgen der Landwirtschaft finanzierten die Jesuiten das Clemens-Kolleg in Prag. Fast 200 Jahre lang gehörte das Areal dem Jesuitenorden. 1734 wurde die einstige Festung zu einem Schloss umgebaut. Die Jesuiten verwalteten es bis zur Auflösung des Ordens im Jahre 1773.“
Danach wurde das Schloss mit dem gesamten Gutshof auf den k.u.k. Studienfonds übertragen. Aus den Erträgen der Gutswirtschaft wurden nun einige Schulen in Prag finanziert. 1918 fiel das Schloss an den tschechoslowakischen Staat. Das Ministerium für Ackerbau schlug seinen Sitz dort auf. Die Kastellanin:„Unser Schloss ist verhältnismäßig klein und kann nicht damit glänzen, dass hier irgendwelche historisch berühmte Leute gewohnt hätten. Von den Adeligenfamilien, die hier lebten, kann ich beispielsweise die Familien Kaperstein und Čejka von Olbramovice nennen.“
Bis 1989 gehörte das ganze Areal dem Staatsgut von Chvaly, das im Schloss Büros und Wohnungen für die Angestellten eingerichtet hatte. Ende der 80er Jahre waren die Gebäude des Schlosses in so erbärmlichen Zustand, dass sie nicht mehr bewohnt werden konnten, erzählt die Kastellanin:
„Nach der Wende von 1989 versuchte die Gemeinde, das Schloss vom Staat zu übernehmen. Dazu kam es 1992, und in diesem Jahr wurden die Bemühungen um die Rettung dieses Kulturdenkmals gestartet. Es wurde zuerst das Dach repariert, dann wurden die Mauern ausgebessert, aber das alles waren nur geringere Reparaturen, mehr konnte sich die Gemeinde damals finanziell nicht leisten. Erst 2006 gelang es, Gelder aus den EU-Fonds für eine tief greifende Restaurierung des Schlossareals zu bekommen. Die Restaurierung wurde voriges Jahr beendet. Am 1. Mai werden wir den ersten Jahrestag seit der Eröffnung des Schlosses feiern.“Seit diesem einen Jahr dient das Schloss auch als Kulturzentrum des Stadtteils Horní Počernice. Im Schloss ist zum Beispiel eine ständige Ausstellung aus dem Werk der international anerkannten tschechischen Graphikerin Ludmila Jiřincová untergebracht. Die Ausstellung wurde vom Prager Nationalmuseum vorbereitet, aus dessen Sammlungen die Exponate stammen. Die zahlreichen anderen Ausstellungsräumlichkeiten des Schlosses werden für verschiedene thematische Präsentationen genutzt. So kann man in diesen Tagen im Schloss und im nahe liegenden ehemaligen Kornhaus drei Ausstellungen zur Gestaltung von Buchumschlägen besichtigen. Zudem findet im Schloss zurzeit eine Ausstellung mit dem Titel „Das Zaubern mit Farben“ statt. Sie zeigt Arbeiten, die im Europäischen Kunstzentrum für Kinder mit Behinderung im nordböhmischen Smržovka entstanden sind.
Die Kastellanin hat ihr Büro in der ersten Etage des Schlosses. Wenn sie auf den Gang geht, kann sie ihren Blick über den schönen Schlosshof schweifen lassen. Es scheint, als würde dort ein Segelschiff ankern, denn der Hof ist mit hängenden Segeln überdacht. Jaroslava Schmidtová:
„Das Schloss wurde nach dem Entwurf von Architekt Tomáš Šantavý in Stand gesetzt. Šantavý ist ein Spezialist für historische Baudenkmäler. Er ist dadurch bekannt geworden, dass er sehr moderne Elemente mit dem ursprünglichen historischen Baustil wunderbar verbinden kann. Ich meine, dass unser Schloss ein Beweis für sein Können ist, denn hier trifft die Gegenwart auf die Vergangenheit.“
Der schickste Raum im Schloss ist der so genannte „VIP-Salon“. Die Deckenmalereien stammen vom Anfang des 18. Jahrhunderts. Von den ursprünglichen Schlossmöbeln ist jedoch nichts mehr erhalten geblieben. Der daneben liegende Blaue Salon wird der Kastellanin zufolge vor allem bei Hochzeiten als Vorbereitungsraum genutzt. Die Hochzeiten selbst finden im Zeremoniensaal statt; dieser Raum wird auch für Konzerte genutzt.Für die Graphik-Bewunderer ist in Chvaly der Besuch des Ateliers von Ludmila Jiřincová zu empfehlen. Die Grand Dame der tschechischen Graphik, die 1994 gestorben ist, hat unter anderem viele Briefmarken entworfen.
„In Zusammenarbeit mit dem Nationalmuseum haben wir für unsere Besucher das Atelier der Graphikerin nachgebaut. Im Nebenraum findet man eine Auswahl ihrer Werke sowie einen Teil ihrer Sammlungen. Denn Ludmila Jiřincová war eine passionierte Sammlerin von Schmetterlingen, Porzellan und Sakralgegenständen.“Die Zusammenarbeit mit dem Nationalmuseum ist für das Schloss sehr wichtig, denn es ermöglicht, sich an den Aktivitäten des Museums zu beteiligen. Die Kastellanin erinnert sich vor allem an die Museumsnacht, während der viele Prager das Schloss Chvaly entdeckt hatten.
Nur noch wenig vorhanden ist von den der ursprünglichen Festung Chvaly. Die Fundamente lassen sich jedoch im Schlosskeller besichtigen. Sie stammen aus dem 11. Jahrhundert, erzählt die Kastellanin in den feuchten und dunklen unterirdischen Gängen:
„Hier über uns befindet sich der vor vielen Jahrhunderten bearbeitete Sandstein. Und gleich vor uns hinter dem Gitter ist eine tiefe Gruft. Die meisten Besucher fragen, ob es eine Gefängniszelle oder eine Folterkammer war. Es war eine ganz gewöhnliche mittelalterliche Eisgrube, wo die Vorräte gelagert wurden. Im Winter wurde in die Grube Eis gelegt, dann kam Stroh darüber und darauf beispielsweise das Fleisch. So wurde es lange frisch gehalten.“
Es wird behauptet, dass es unter der ganzen Gemeinde Chvaly geheimnisvolle unterirdische Gänge gibt, die bis in die Stadt Brandýs nad Labem / Brandeis führen. Dies hat sich jedoch, wie Jaroslava Schmidtová erzählt, bislang nicht bestätigt. Der einzige unterirdische Gang im Schlossareal führe vom Brunnen in die ehemalige Bierbrauerei. Die Kastellanin muss es wissen, denn wie sie verriet, hat sie sich mit der Geschichte von Chvaly seit der Studienzeit beschäftigt. Dass sie mal als Kastellanin in Chvaly arbeiten wird, hat sie aber nicht geahnt.
„Ich habe vor zehn Jahren das Studium am Institut für Kulturologie der Karlsuniversität beendet. Das Thema meiner Arbeit war die Nutzung kleiner historischer Baudenkmäler am Ende des 20. und am Anfang des 21. Jahrhunderts. Da ich aus Horní Počernice stamme, habe ich bei meinem konkreten Projekt sämtliche Materialien und Dokumente zum Schlossareal und der einstigen Festung in Chvaly studiert. Als ich über das Schloss geschrieben habe, habe ich gesagt, ich werde hier mal als Kastellanin arbeiten. Einige Jahre sind vergangen, und ich habe meine Vorstellungen in die Tat umgesetzt. Dies klingt wie ein Märchen.“Das Schloss in Chvaly liegt zwar am Stadtrand, ist aber mit der U-Bahn und mit dem Bus leicht zu erreichen. Das Schloss ist täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Einige Jahrhunderte gehörte das Gut von Chvaly dem Jesuitenorden, der aus den Erträgen den St. Clemens-Kolleg in Prag finanzierte. Falls Sie wissen, welche Bibliothek in diesem Kolleg – dem Klementinum - heutzutage untergebracht ist, können Sie uns dies schreiben, denn so lautet die heutige Quizfrage. Für die richtige Beantwortung können Sie ein Buch über Prag gewinnen. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradská 12, PLZ 120 99 Prag 2, Tschechien.
Die richtige Antwort auf die Frage aus der letzten Spaziergang-Ausgabe im Februar lautet: Es handelt sich um die Kirche Santa Maria de Victoria – oder auch die Kirche der siegreichen Jungfrau Maria. Ein Buch über Prag geht diesmal an Werner Reimers aus Hesel.