Czech Press Photo: Bild des alltäglichen Lebens besiegte Kriegsaufnahmen

Der Bauer Jan Rajter mit dem kleinen Vasík auf der Weide in Mrzlice, Foto: CTK

"Der Bauer Jan Rajter mit dem kleinen Vasík auf der Weide in Mrzlice". So lautet der Name des tschechischen Fotos des Jahres 2003. In Prag wurden in dieser Woche die Ergebnisse des Wettbewerbs "Czech Press Photo" bekannt gegeben. Markéta Maurová war dabei und hat sowohl den Sieger als auch einen der Jurymitglieder ans Mikrofon gebeten. Hören Sie mehr in unserem Kultursalon.

Der Bauer Jan Rajter mit dem kleinen Vasík auf der Weide in Mrzlice,  Foto: CTK
An die 200 Fotografen aus Tschechien und der Slowakei haben in diesem Jahr mit fast 2500 Fotos am Wettbewerb "Czech Press Photo" teilgenommen. Zum absoluten Sieger und Träger des sog. "Kristallauges" wurde Ibra Ibrahimovic gekürt, und zwar mit einem Foto aus der Serie "Geschichte des Bauern Jan Rajter", die er in der Kategorie "Alltägliches Leben" einsandte. Diese Wahl wurde mir von einem der Jurymitglieder, dem Fotografen der Agentur Magnum Thomas Höpker, wie folgt begründet:

"Man ist heute überflutet von Fotos von Tragödien, von Krieg, von grauenhaften Ereignissen auf der Welt und andererseits von Fotos von Prominenten, von Superstars oder von Dingen, die so wichtige Ereignisse wie Mode, Lebensstil oder Wohnen usw. abbilden. Die Medien scheinen sich voll auf diese Themen zu konzentrieren. Und wir fanden es sehr wohltuend, dass wir plötzlich eine Geschichte sahen, die mit ganz einfachen Leuten zu tun hat und die sich sehr persönlich und intim mit diesen Leuten beschäftigt hat. Und aus dieser Beschäftigung, die wahrscheinlich eine Arbeit war, die sich über viele Monate oder sogar Jahre hingezogen hat, entstanden Bilder von großer Intimität und Menschlichkeit. Und das hat uns angesprochen und dazu bewogen, das prämierte Foto daraus auszuwählen."

Im Inneren eines Personenautos: Hinter dem Steuer sitzt ein alter lächelnder Mann. Durch das Fenster beugt sich rücklings ein ausgelassen fröhlicher Junge in den Wagen und lacht dem Mann entgegen. Nur schwierig lässt sich das Siegesfoto beschreiben. Ich habe deswegen den Fotografen Ibra Ibrahimovic gebeten, lieber selbst zu erzählen, wie die Aufnahme zustande kam.

"Ich wollte das Verladen von Kühen fotografieren, die im Herbst wegen des baldigen Frosts zurück in den Kuhstall gebracht werden. Ich wartete gemeinsam mit dem Bauern Rajter und dem kleinen Vasek, bis die Helfer aus dem nahen Bauernhof kommen. Ich dämmerte im Auto vor mich hin und Vasek verkürzte sich die lange Weile, indem er über das Auto kroch und den alten Rajter ein wenig neckte. Ich habe auf etwa drei Filmen erfasst, was er machte. Eines der Fotos, das ich am schönsten fand, habe ich für meine Serie genutzt - und es gewann den Hauptpreis."

Ibra Ibrahimovic mit seinem sieghaften Foto,  Foto: CTK
Ibra Ibrahimovic, der in Nordböhmen geboren wurde und noch dort lebt, fotografiert seit 1992 die Veränderungen dieser durch Chemieindustrie und Bergbau stark geprägten Region, die Veränderungen der dortigen Landschaft, die veränderten Ansichten der dortigen Bewohner, die ethnische Problematik und weitere Themen. Während seiner Arbeit begegnete er auch dem Bauern Jan Rajter, den er zum Protagonisten seiner Fotoserie machte:

"Ich habe seit 1993 vom Bauern Jan Rajter gewusst. Ich habe ihn auf einem Bauernhof hinter den Chemiewerken entdeckt, zu der Zeit, als ich dort die Landschaftsrekultivierung fotografierte. Damals ließ er sich leider nicht von mir fotografieren. Wir trafen uns jedoch im Jahre 2002 wieder."

In dieser Zeit war "Der Fall Rajter" bereits in vollem Gang. Der Bauer hatte längst den Kampf um den Erhalt seiner Felder aufgenommen, die eine Industriezone verschlingen sollte - und allmählich auch verschlingt. Und gerade diese Geschichte des nordböhmischen Bauern hat Ibra Ibrahimovic in seiner preisgekrönten Serie dokumentiert. Warum sich die Medien nicht auf das alltägliche Leben, sondern vor allem auf Fotos von grauenhaften Ereignissen in der Welt einerseits und von Prominenten andererseits konzentrieren? Danach fragte ich das Jurymitglied Thomas Höpker:

"Die Medien sind immer eine Reflexion der Gesellschaft. Und die Verlage und Redakteure sind einfach überzeugt, dass ihre Käufer sich für diese Dinge interessieren. Für Sensationen, für Superstars, und nicht für das Leben ihres Nachbarn. Dabei gibt es natürlich genauso herzzerreißende, anrührende Geschichten, auch positive Geschichten von Leuten, die man kleine Leute nennt, die in normalen Umständen leben. Auch da passieren kleine Dramen und manchmal sind die viel interessanter als die großen Dramen der Weltpolitik."

Die großen Dramen der Weltpolitik überwiegen daher nicht nur in den Medien, sondern auch im Wettbewerb "Czech Press Photo 2003":

"So ein Wettbewerb ist immer ein Spiegel der Ereignisse des Jahres. Natürlich hat der Irak-Krieg stattgefunden, mit sehr guten Bildern. Wir haben eine Serie aus Afrika, über den Konflikt in Liberia, prämiert usw. Das spielt selbstverständlich eine Rolle, weil die Fotojournalisten natürlich rausgehen und diese Ereignisse und Krisen fotografieren. Und selbstverständlich haben auch diese Themen Preise bekommen. Aber wir sind eben froh, dass es auch andere Themen gab, auch aus dem Bereich der Kultur, der Kunst, aus dem Bereich der Wissenschaft, Landschaften, auch da gab es sehr anrührende und sehr interessante Bilder."

Ist es die dokumentarische Aussage, die ästhetische Seite, die Emotion, die hervorgerufen wird... Was ist eigentlich an einem Dokumentarfoto wichtig?

"Natürlich es ist ideal, wenn alle diese Faktoren in einem Bild zusammenkommen. Wenn eine gute Komposition da ist, eine anrührende Geschichte, die durch das Foto erzählt wird. Und wie sie erzählt wird, dass also der entscheidende Moment getroffen wird, an dem diese an der Oberfläche drängende Geschichte sichtbar wird, und wie der Fotograf das gestaltet. Wenn all diese Elemente zusammenkommen, hat man ein gutes Foto."

Spezifisch für das Fotografieren ist, dass sich ein Fotograf auf eine Aufnahme kaum vorbereiten kann:

"Der Fotojournalist kann sich schwer vorbereiten. Eben wenn man in ein fernes Land fährt, sollte man lesen, sich informieren, damit man weiß, wo man hin geht, damit man weiß, wonach man kucken soll. Aber im Grunde ist man immer jeder Überraschung ausgesetzt. Man geht durch eine fremde Gegend, oder auch eine Gegend, die man gut kennt, und hinter der nächsten Ecke passiert etwas, was man nicht geahnt hat. Das ist aber auch der Reiz der Fotografie, dass man eben nicht voraussehen kann, was passieren wird, dass man sich auf Überraschungen einlässt.

Soweit Jurymitglied und Fotograf Thomas Höpker. Abschließend geben wir noch einmal dem Sieger, Ibra Ibrahimovic, das Wort:

"Der Wettbewerb Czech Press Photo hat mich sehr überrascht, zumal man ein einfaches Foto von normalen Menschen als ´Foto des Jahres´ prämiert hat und man nicht den Weg ging, die medial interessanteren Sachen aus dem Ausland auszuzeichnen. Man kann sagen, dass dies auch ein Anstoß für weitere Fotografen sein dürfte, die so gut wie nicht ins Ausland fahren können, nämlich der, auch mit einer lokalen Problematik siegen zu können. Dies ist meiner Meinung nach ein sehr gutes Signal für die Fotografen."

Die preisgekrönten Fotos können in einer Ausstellung besichtigt werden, die vom 14. November bis zum 15. Januar im Altstädter Rathaus in Prag durchgeführt wird.