Tschechiens dialektales Erbe: Schüler sammeln Aufnahmen von Sprechern aussterbender Mundarten

Božena Černá erzählt

Für einen Wettbewerb interviewen Schüler in Tschechien derzeit ältere Menschen, um Aufnahmen aussterbender Mundarten zu sammeln. Denn für Dialektforscher stellen die Mitschnitte wertvolles Forschungsmaterial dar.

Wer schon einmal Tschechien bereist hat und die Sprache des Landes gut beherrscht, dem wird aufgefallen sein, dass die Menschen überall ein klein wenig anders sprechen. Einige Dialekte sind allerdings schon gänzlich verschwunden, allen voran die deutschen. Ähnliches droht auch den tschechischen Mundarten. In manchen Regionen gibt es aber noch einige wenige Sprecher, die sie beherrschen.

Um dieses dialektale Erbe aufrechtzuerhalten, haben das Institut für tschechische Sprache bei der hiesigen Akademie der Wissenschaften und die Technische Universität in Brno / Brünn ein besonderes Projekt gestartet. Schüler im Alter von zehn bis 19 Jahren sollen im Rahmen eines Wettbewerbs ältere Menschen mit ihrem Handy aufnehmen und die Mitschnitte anschließend den Wissenschaftlern zur Verfügung stellen. Zu gewinnen gibt es Bücherpakete oder einen Flug im AI-Flugsimulator.

Einer der Teilnehmer am Wettbewerb ist der Achtklässler Filip Konrád. Er hat Božena Černá einen Besuch abgestattet. Sie lebt seit 92 Jahren in Lanžhot / Landshut im Dreiländereck zwischen Tschechien, Österreich und der Slowakei und spricht im ostmährischen Dialekt der Gegend Slovácko.

Filip startet die Aufnahme auf seinem Handy und fragt die Frau, was früher bei Hochzeiten gegessen wurde – denn in der aktuellen Ausgabe des Wettbewerbs geht es ums Essen. Die Aufnahme, die er erstellt, dauert insgesamt 25 Minuten.

Der Schüler Filip Konrád führt ein Interview mit Božena Černá | Foto: Michal Šafařík,  Tschechischer Rundfunk

Marta Šimečková ist Dialektologin und betreut das Projekt. Sie sagt:

„In Filips Aufnahme gibt es viele spannende dialektale Elemente – etwa die besondere Aussprache des L, die für die Region Slovácko üblich ist. Das Interessanteste war aber, dass das Wort ‚gugla‘ auftauchte. Es bezeichnet einen Gugelhupf, und eine Aufnahme davon hatten wir bisher noch nicht in unserer Datenbank.“

Im Hochtschechischen heißt der Gugelhupf hingegen „bábovka“. Die erwähnte Datenbank wird derzeit immer mehr erweitert. In Zukunft soll daraus eine Phonotek der tschechischen Dialekte veröffentlicht werden. Aber schon jetzt können Ausschnitte der Aufnahmen und die dazugehörigen Metadaten auf einer interaktiven Online-Landkarte angezeigt und abgespielt werden.

„Die Karte wird bereits im Tschechisch-Unterricht verwendet“, sagt Linguistin Šimečková.

Darüber hinaus wird das von den Schülern gesammelte Material herangezogen, um neue Einträge in Dialektwörterbüchern zu erstellen. Und es gehe auch um das Training künstlicher Intelligenz, wie die Projektleiterin erläutert:

„Wir wollen der KI beibringen, die Dialekte des Tschechischen zu unterscheiden. Zudem soll sie die Aufnahmen verschriftlichen, und zwar mittels einer besonderen dialektologischen Transkriptionsmethode, bei der es Sonderzeichen für Laute gibt, die sonst in der Standardsprache nicht auftauchen.“

Aktuell sind die Schüler in Tschechien aufgerufen, bis Ende April ihre Aufnahmen einzureichen. Im kommenden Jahr soll der Wettbewerb erneut ausgerufen werden. Thema werden dann Traditionen und Bräuche sein.

Autoren: Ferdinand Hauser , Michal Šafařík
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