Das Urteil in Farbe – Moritz Stetters Kafka-Comic
Moritz Stetter ist in der Welt der Graphic Novel kein Unbekannter: Vor fünf Jahren veröffentlichte er eine Biografie zu Dietrich Bonhoeffer, drei Jahre später folgte eine weitere zu Martin Luther, beide in Comic-Form. Nun hat er die Erzählung „Das Urteil“ von Franz Kafka veröffentlicht.
das ist der Beginn von Kafkas berühmter Erzählung „Das Urteil“. Sie entstand im September 1912 in einer einzigen Nacht. Georg Bendemann will darin einem Jugendfreund schreiben, worüber er lange geschwiegen hat: Von seiner Verlobung mit dem Fräulein Frieda Brandenfeld, „einem Mädchen aus wohlhabender Familie“. Bevor er den Brief abschickt, berichtet Georg seinem alten und kranken Vater davon. Moritz Stetter hat die Geschichte nun bebildert:
„Der Text wird ja auch immer surrealer im Laufe der Geschichte. Man weiß nicht mehr, wem der beiden man glauben soll. Und auch die Mächteverhältnisse der beiden Figuren verändern sich ständig.“
Erst glaubt man dem Sohn und seiner Version der Geschichte. Wenn dann aber der Vater kommt und sagt, es gäbe diesen Jugendfreund überhaupt nicht, zweifelt man plötzlich am Sohn.„Das wollte ich visualisieren. Zum Beispiel durch Größenunterschiede: Der Vater schrumpft ja an einer Stelle auf Kindergröße und wird dann plötzlich zum übergroßen Monstrum, das über den Sohn richtet. In Kafkas Vorlage deutet sich das schon an, aber ich wollte das halt noch verdeutlichen.“
Denn das sei der wahrscheinlich größte Fehler beim Medium Comic: Den Ausgangstext einfach zu illustrieren. Moritz Stetter aber will mehr vermitteln:
„Im Grunde weiß man nicht, was real ist. Mit den Farben wollte ich das noch verstärken und eben nicht naturalistisch umsetzen, sondern eher Gefühle und Stimmungen vermitteln.“
Bisher hat er noch sehr wenig mit Farbe gearbeitet. Für seinen neuen Comic hat Moritz Stetter sich dazu ein Konzept überlegt. Dabei hat er sich an der strukturellen Dreiteilung der Geschichte orientiert:„Im ersten Teil fühlt sich der Sohn sehr wohl in seiner eigenen Weltsicht und wie er sich selbst sieht, im zweiten Teil gelangt man dann ins Zimmer des Vaters und alles wird sehr dunkel und düster. Im dritten Teil fällt dann alles auseinander. Und das zeigt sich auch in den Rottönen, die aggressiv reinpreschen und alles auseinanderfetzen.“
Bereits vier weitere Erzählungen von Kafka sind als Comics im Münchner Knesebeck-Verlag erschienen. So gab unter anderem der Tscheche Jaromír 99 vor zwei Jahren „Das Schloss“ heraus. Die Anfrage zu diesem Projekt erhielt Moritz Stetter vom Verlag.
„Da ich in meiner Jugend sehr von Kafka fasziniert war und mich obsessiv mit ihm beschäftigt habe, war sofort klar, dass ich den Auftrag annehmen würde.“Der Text eigne sich auf jeden Fall sehr gut für eine Comic-Umsetzung, sagt Moritz Stetter. Man könne auf der Bildebene noch sehr viel weiterdenken und hinzufügen. Auf einigen Bildern glaubt der Leser, Motive aus der Prager Altstadt wiederzuerkennen, der Großteil der Bilder bleibt aber ort- und zeitlos.
„Mir ist aber auch ganz wichtig, dass das nicht explizit in Prag spielen muss, sondern dass das so ein bisschen offen bleibt. So wie, hoffe ich, auch offen bleibt, in welcher Zeit das spielt. Ob das zu Kafkas Zeit spielt, in einer Parallelwelt oder heute.“