"Datenschränke": elektronische Post ersetzt blauen Brief
Wer kennt sie nicht, die lästigen Verständigungszettel von der Post. Meist gilt es, nur einen eingeschriebenen Brief oder ein Paket abzuholen. Doch oft ist es auch der sprichwörtliche „blaue Brief“ von der Behörde. Auch hierzulande verrät schon der Abholschein, was einen auf der Post erwartet. Ein dicker blauer Streifen auf dem Formular bedeutet Post von einem Amt, der Polizei oder gar dem Gericht. Doch in Tschechien sind die blauen Briefe nun vom Aussterben bedroht: seit 2. November ersetzten elektronische „Datenschränke“ die herkömmlichen Schreiben. Tschechien ist eines der ersten Länder der Welt, die eine derartige Radikal-Umstellung wagen. Doch hält das System, was sich Politiker und Beamte von ihm versprechen?
„Diese Datenschränke sind, sehr vereinfacht gesagt, eingeschriebene Behördenbriefe in elektronischer Form. Das klingt einfach, ist es aber überhaupt nicht. Wenn ich Ihnen zum Beispiel eine E-Mail schicke, dann hat die keine rechtliche Gültigkeit, genauso wenig, wie ein gewöhnlicher Brief. Daher haben diese Datenschränke mit den herkömmlichen E-Mail-Programmen nichts gemeinsam. Es handelt sich um ein System mit strengen Sicherheitsvorkehrungen, das die gleiche rechtliche Gültigkeit garantiert, wie eingeschriebene Briefe und Briefe mit Rückschein.“
Die aufwändige Aktion werde sich für den Staat und die Unternehmen wohl bald rechnen, sind Experten überzeugt. Zwar fallen auch für die Zustellung der elektronischen Briefe Gebühren an, doch die Kosten für Kuverts und Papier fallen ebenso weg wie der Aufwand für den Versand. Außerdem soll alles einfacher und zuverlässiger werden, sagt Computer-Fachmann Koubský:
„Die Kommunikation ist einfacher, schneller und auch zuverlässiger. Denn mit der bisherigen Form der Zustellung von wichtigen Schriftstücken gab es, wie wir alle wissen, jede Menge Probleme: der Empfänger konnte sich vor der Entgegennahme eines für ihn unangenehmen Schriftstückes in vielen Fällen drücken.“
So konnte man etwa durch bloßes Nichtabholen des Briefes vom Gemeindeamt einem Führerscheinentzug ebenso entgehen wie der Bezahlung von Verkehrsstrafen. „Mit den Datenschränken ist das nicht mehr so einfach. Selbst wenn der Adressat die Nachricht in seinem elektronischen Postfach nicht liest oder sie nicht einmal öffnet, gilt sie einige Zeit nach ihrem bestätigten Einlangen im Posteingang als fiktiv zugestellt. Das gilt zwar theoretisch auch für die klassischen Rückschein-Briefe, aber da konnte man eher tricksen, zum Beispiel mit der Angabe einer alten oder falschen Wohnadresse. Das geht beim elektronischen Postfach nicht mehr.“
Zumindest Unternehmer und weitere so genannte „juristische Personen“ können also der Zustellung von Behördenschriftstücken nicht mehr so leicht entziehen. Für sie ist das elektronische Postfach verpflichtend, ebenso wie für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung. Für sie hat das Innenministerium automatisch die Zugangsdaten generiert und durch die Tschechische Post zustellen lassen. Ganz klassisch per Rückscheinbrief übrigens. Die Testphase des Systems hat am 1. Juli begonnen, seit Anfang November ist das System im Vollbetrieb und hat den klassischen Brief abgelöst. Dennoch haben bisher erst etwas mehr als die Hälfte der Firmen ihren Datenschrank geöffnet. Weitere 15 Prozent der User haben ihre Zugangsdaten bereits entgegen genommen, das Postfach aber noch nicht aktiviert. Und etwa einem Drittel der
Briefen mit den Passwörtern wird die Tschechische Post wohl überhaupt sitzen bleiben: nach Auskunft eines Sprechers des Innenministeriums handelt es sich dabei nämlich um so genannte „tote Firmen“; Unternehmen, die zwar noch im Firmenregister aufscheinen, aber nicht mehr aktiv sind. Für Privatpersonen ist die Einrichtung eines Datenschrankes bisher freiwillig: wer häufig mit Behörden kommuniziert und sich den Gang auf die Post sparen will, erhält seine Zugangsdaten innerhalb von drei Tagen kostenlos. Denn die Datenschränke funktionieren auch in die umgekehrte Richtung: Bürger und Unternehmer können ihre Schriftstücke in elektronischer Form an die Behörden schicken.Seit 2. November ist die elektronische Behördenpost also im Vollbetrieb. Nach Angaben des Innenministeriums sind bereits rund eine halbe Million offizielle Schreiben erfolgreich versandt worden. Über 90 Prozent davon sind auch von ihren Empfängern geöffnet worden. Dennoch, trotz der langen Übergangsphase verlief der Start des Systems alles andere als reibungslos. Vor allem die Anmeldung klappte bei vielen nicht sofort. Auch Jozef Petrenec, der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Dříteč im Kreis Pardubice, hatte seine liebe Not mit dem System. Verzweifelt rief er die Hotline der Tschechischen Post an:
Ob er wohl das neue Passwort habe, will die Dame am anderen Ende der Leitung wissen. Ja, habe er. Er solle es noch einmal versuchen. Wieder eine Fehlermeldung, seufzt der Ortsvorsteher.In anderen Gemeindeämtern wusste man bis zum Start des Systems nicht, wie man überhaupt die Akten auf elektronischem Weg versenden soll:
„Wir wissen nicht, ob wir die Akten wie bisher stempeln und dann einscannen oder direkt aus dem Computer abschicken sollen“,
so Alena Zimmermannová, Amtsleiterin im Stadtamt von Kuřím. Viele User haben auch Probleme mit dem Versand von Dateianhängen. Dies sei vor allem ein Problem bei umfangreichen Akten, sagte Roman Sodomka von der Wirtschaftskammer im Kreis Pardubice gegenüber dem Tschechischen Fernsehen:
„Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, wie eine Firma eine Baugenehmigung auf elektronischem Weg bekommen soll. Das ist ja ein ganzer Aktenstapel.“
Genau dieses Problem macht auch der tschechischen Justiz zu schaffen: die vielfach veralteten Computer und die überlasteten Server sind mit der Verarbeitung der großen Datenmengen einfach überfordert. Das System arbeite daher so langsam, dass ihnen der eigentlich als Entlastung gedachte elektronische Aktenversand nun die Arbeit erschwere, klagen die Richter und Gerichtsschreiber. Kein Wunder, dass das neue System nach dem Start des Probebetriebes bei der Justiz erst einmal einen Totalabsturz hinlegte: Ende Oktober hieß es „nichts geht mehr“ bei Gerichten und Staatsanwaltschaften. Die Computer blieben finster und den Justizangestellten blieb nichts Anderes übrig, als nach Hause zu gehen. Abhilfe schaffen könnten nur Millioneninvestitionen in neue Hard- und Software, so ein Justizsprecher. Innenminister Martin Pecina, der das Projekt Datenschränke von seinem Vorgänger Ivan Langer geerbt hat, sagt im Gespräch mit dem Tschechischen Rundfunk, man beobachte das neue System genau:
„Das System hat gewisse Probleme. Vor allem im Bereich der Justiz besteht Handlungsbedarf. Die Gerichte sind zwar per Gesetz verpflichtet, die Datenschränke zu verwenden, für so umfangreiche Akten sind die aber gar nicht gedacht. Außerdem muss es bei der Justiz oft schnell gehen, viele Schriftstücke müssen innerhalb von wenigen Stunden, maximal zwei Tagen zugestellt sein und das schafft dieses System nicht. In Zusammenarbeit mit dem Justizministerium werden wir daher der Regierung eine entsprechende Gesetzesänderung vorschlagen.“
Und sollte es sich als nötig erweisen, schließe er auch weitere Änderungen im Zeitplan nicht aus, so Pecina. Ab 1. Januar nächsten Jahres sollen Firmen nämlich auch Rechnungen über die Datenschränke versenden, ab Mitte des Jahres auch die übrige Firmenpost. Auch den ersten Betrügern musste des Innenministerium bereits das Handwerk legen: mit Internetseiten, die der offiziellen Version täuschend ähnlich sahen, wollten sie an persönliche Daten der Benützer kommen oder ihre kostenpflichtigen Dienstleistungen an den Mann bringen. Die Gauner hatten leichtes Spiel, hat es doch das Ministerium versäumt, sich rechtzeitig die gängigsten Internet-Adressen zu sichern. So führt zum Beispiel die Adresse www.datoveschranky.cz auf eine private Seite voller Werbung. Man stehe mit den Domain-Eigentümern bereits in Verhandlungen, versichert ein Sprecher des Innenressorts. Inzwischen müssen sich die User mit www.datoveschranky.info begnügen, die zu den echten elektronischen Postfächern führt. Von der Warnmeldung wegen des fehlerhaften Sicherheitszertifikates sollte man sich übrigens nicht abschrecken lassen.