Eier - Europa - Roma
Es ging auch in dieser Woche in den tschechischen Medien immer noch um die Eierwürfe auf Sozialdemokraten-Chef Jiří Paroubek. Zur Erinnerung – zwei Wochen lang wurde Paroubek hauptsächlich von jungen Leuten bei jeder Wahlkampfveranstaltung, in jeder Stadt mit Eier beworfen. Zuletzt massiv in Prag.
Moderator: Christian Rühmkorf, warum sind die Eierwürfe immer noch ein Thema? Mittlerweile hat die Schlacht ja aufgehört.
CR: Öl in die angefachte Diskussion war eine öffentliche Verurteilung der Eierschmeißerei durch Innenminister Pecina. Er sprach wörtlich von „faschistischen Tendenzen“. Dafür hat er viel Kritik einstecken müssen.
Kommentator Josef Mlejnek jr. kann in den Eierangriffen jedoch beim besten Willen keinen Faschismus erkennen. Er schreibt in der „Lidové Noviny“:
„Als die Eierwerfer kapierten, dass ihnen alles langsam über den Kopf wuchs und dass eine weitere Steigerung die unscharfe Grenze zwischen Karneval und Randale überschreiten würde, da haben sie selbst dazu aufgerufen, die Eierwaffen niederzulegen und wählen zu gehen. Sie haben also durchaus gezeigt, dass sie erwachsen und sich ihrer bürgerlichen Verantwortung bewusst sind. Und allein dadurch, meine ich, haben sie den Vorwurf faschistischer Tendenzen widerlegt.“
Moderator: Am Wochenende fand nach drei Jahren mal wieder ein Fernsehduell der Chefs der beiden großen Parteien statt. Die Europawahlen warfen ihre Schatten voraus. Haben Topolánek und Paroubek über die ungewöhnliche Eierschlacht gestritten? Die Sozialdemokraten hatten ja behauptet, dass die Sache von den Bürgerdemokraten organisiert worden war.
CR: Der Eier-Krieg kam so gut wie gar nicht zur Sprache und das kritisieren viele der Kommentatoren. Zum Beispiel Daniel Kaiser in der „Mladá Fronta Dnes“. Er meint, dass die Eierwürfe ein wichtiges gesellschaftspolitisches Phänomen aufzeigen und schreibt:
„Der nächste Premier wird die Gesellschaft scharf spalten. Schon jetzt entsteht eine Subkultur des ´Anti-Paroubkismus´ mit dem Potenzial, auch in der großen Politik seine Spuren zu hinterlassen.“
Also, laut Daniel Kaiser hätte man im Fernsehduell keinen Bogen um das Thema machen dürfen. Übrigens scheint der Kommentator ja interessanterweise davon auszugehen, dass der nächste Premier Jiří Paroubek heißt, dass die CSSD also die Wahlen im Herbst gewinnt.
Moderator: Was hatten wir noch an Themen in dieser Woche?
CR: Am Wochenende haben die Christdemokraten einen neuen Vorsitzenden gewählt. Sie waren ja neben den Grünen einer der beiden Juniorpartner in der Topolánek-Regierung. Jiří Čunek, der ja in den letzten zwei Jahren durch finanzielle Affären und zum Teil grenzwertige Äußerungen über Roma aufgefallen ist, der musste abtreten. Neuer Christdemokraten-Chef ist Cyril Svoboda, der schon in vielen Regierungen Ministerposten bekleidet hat und auch schon Anfang des Jahrzehnts einmal Parteichef war. Die Zeitungen bewerten diese Wahl insgesamt als nicht besonders mutig und aufregend und deshalb gehen auch wir lieber zu einem anderen Thema über.
In dieser Woche waren gleich zwei bedeutende deutsche SPD-Politiker hier: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Steinmeier bereitete mit seinen Amtskollegen aus Tschechien und der Slowakei den kommenden EU-Gipfel vor und erinnerte an und dankte für die Umbrüche von 1989. Es wird ja bald das 20-jährige Jubiläum begangen. Schröder hingegen machte Wahlkampf für die Sozialdemokraten von Jiri Paroubek. Zbyněk Petráček macht in der „Lidové Noviny“ darauf aufmerksam, dass sich Lissabon-Befürworter Paroubek möglicherweise einen Bärendienst erwiesen hat. Petráček schreibt:
„Beide Freunde von Paroubek gehören nämlich zum russlandfreundlichen Flügel der deutschen Politik. Wenn es in Europa nach ihrer Nase ginge, dann würden sich die großen Länder mit Moskau einigen und zwar über die Köpfe der kleinen Nationen hinweg, die in der Pufferzone zwischen Deutschland und Russland liegen. Die Vorstellung, dass uns der Lissabon-Vertrag im festen Kern Europas hält, dass er uns bewahrt vor der Unsicherheit einer schutzlosen Peripherie, an der Russland herumknabbert, diese Idee ist schön. Genauer gesagt: Sie wäre schön, wenn es nicht den Einfluss von Politkern wie Schröder gäbe“, schreibt Zbyněk Petráček und fragt am Ende provokant, warum nicht gleich Putin selbst gekommen sei. Seine Antwort: „Er hat wahrscheinlich keine Zeit gehabt und deshalb seine Kofferträger geschickt.“
Moderator: In Tschechien kann man immer noch sehr gut Angst machen mit Russland. Und mit Deutschland auch, wie es aussieht.
CR: Ein altes Thema, das natürlich in Zeiten der Krise immer wieder aus der Kiste geholt wird. Etwas anders bewertet das Thema übrigens der Kommentator der Zeitung „Právo“, Alexandr Mitrofanov. Er schreibt:
„Wenn die Europäische Union ihre Russland-Neurose heilen will, dann muss sie dem östlichen Nachbarn ähnlicher werden und zwar in ihrer Größe und ihrer Einheit der Führung. Das ist der Weg, den der Lissabon-Vertrag ebnet.(…) Gegen diese Tendenz arbeiten einzelne Interessengruppen in den verschiedenen Staaten an. Gruppen, die der Meinung sind, dass ihr Staat am besten allein zurecht kommt. In manchen Dingen vielleicht. Nicht jedoch in der Verständigung mit Russland.“
Moderator: Kommen wir noch zu einem letzten Thema. Auch ein Dauerbrenner in den tschechischen Medien, ganz einfach weil sich die Situation in der tschechischen Gesellschaft zuzuspitzen scheint. Und zwar was das Verhältnis zu ihrer Roma-Minderheit betrifft. Vor wenigen Tagen kam es an die Öffentlichkeit: Die Redaktionsleiterin der Roma-Sendungen im Tschechischen Rundfunk, Anna Poláková, hat mit ihrer Familie Asyl in Kanada beantragt - wie schon mehrere hundert andere Roma allein in diesem Jahr. Haben die Medien darauf reagiert?
CR: Ja, gerade im Falle von Anna Poláková, einer Redakteurin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, hat das natürlich für Aufsehen gesorgt. Die Meldung war in allen Zeitungen und auch im Fernsehen aufbereitet worden. Das liegt ganz einfach daran, dass hier der oft mitschwingende Zweifel über die Gründe für die Emigration eigentlich wegfällt: Bei einer Rundfunk-Redakteurin, die ein normales bürgerliches Leben führt, die zu leben scheint, wie alle anderen Tschechen auch, da erwartet man einfach keine wirtschaftlichen Gründe für die Flucht aus Tschechien. Das meint auch der Kommentator der „Hospodářské Noviny“, Jiří Leschtina und folgert:
„Der Staat hat versagt und wir mit ihm, wenn wir es nicht mal schaffen jenen Roma das Gefühl von Sicherheit zu geben, die die Gesetze einhalten, studieren und einer sinnvollen Arbeit nachgehen. Sicher, die gebildete Anna Poláková ist unter den Roma, die in Kanada Asyl beantragen, eine Ausnahme. Und das bleibt hoffentlich auch so. Denn wir wissen aus der Geschichte: Ein Staat, den – aus welchen Gründen auch immer – seine Elite verlässt, der gerät früher oder später in Schwierigkeiten.“
Als Hintergrund sei noch erwähnt, dass die Tochter und der Sohn von Anna Poláková mehrere Male Opfer von gewalttätigen Skinhead-Angriffen geworden sind.
Moderator: Christian Rühmkorf war das mit dem Medienspiegel. Vielen Dank!