Weiter Tauziehen um die Ratifizierung des Lissabon-Vetrags

Foto: Europäische Kommission

In weniger als zwei Monaten übernimmt Tschechien turnusmäßig für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz. Die Regierung sieht das Land gut auf die so prestigeträchtige wie verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet. Ein Problem gibt es allerdings: Tschechien hat den EU-Reformvertrag bisher noch nicht ratifiziert. Warum das so ist und ob noch eine Chance auf die Ratifizierung des Dokuments besteht beziehungsweise welche Auswirkungen eine Nicht-Ratifizierung auf die EU-Präsidentschaft Tschechiens hätte, diesen Fragen ist Radio Prag nachgegangen.

Foto: Europäische Kommission
Premierminister Mirek Topolánek hat Anfang vergangener Woche zum ersten Mal öffentlich eingestanden, dass es Tschechien wohl nicht mehr schaffen wird, den EU-Reformvertrag von Lissabon noch in diesem Jahr zu ratifizieren. Wir haben darüber mehrmals berichtet: Auf Antrag des Senats – des Oberhauses des Parlaments also – prüft zurzeit das Verfassungsgericht den EU-Reformvertrag. Das Ergebnis sollte am 10. November veröffentlicht werden. Doch Staatspräsident Václav Klaus hat um Aufschub gebeten. Offizielle Begründung: Eine Auslandsreise des Staatsoberhauptes. Der christdemokratische Minister und Vorsitzende des Legislativrates der Regierung, Cyril Svoboda hofft dennoch auf eine Ratifizierung in diesem Jahr:

„Die Chance, dass der Vertrag noch in diesem Jahr ratifiziert wird, ist nicht groß. Im Gegenteil, sie ist klein. Aber: Bei meiner Geburt hatte ich auch gerade einmal 800 Gramm. Vieles hat also eine Chance. Es ist eine Frage des politischen Willens. Wenn dieser politische Wille besteht, den Vertrag zu ratifizieren, dann ist es möglich, das bis zum Ende des Jahres zu schaffen. Wir haben schon andere Dinge in kurzer Zeit geschafft, also würden wir auch das schaffen.“

Cyril Svoboda
Aber hätte das Vertragswerk überhaupt die nötige Unterstützung? Vor allem im Senat war eine Mehrheit für den EU-Reformvertrag bisher nicht sicher.

„Nach den kürzlich abgehaltenen Senatswahlen hat sich die Chance für die Unterstützung des Vertrags dramatisch erhöht. Das Kräfteverhältnis hat sich zum Schaden der Koalition, aber zum Vorteil des Lissabon-Papiers verschoben.“

Staatpräsident Václav Klaus ist ein bekannter EU-Skeptiker. Erst Ende Oktober hat er in seiner Ansprache zum tschechischen Nationalfeiertag erneut vehement vor zu großem Einfluss aus Brüssel und einem Verlust der nationalen Eigenständigkeit gewarnt. Theoretisch könnte Klaus seine Unterschrift unter den Lissabon-Vetrag verweigern. Cyril Svoboda meint aber, der Präsident könne den Ratifizierungs-Prozess maximal verzögern:

„Ich bin überzeugt, dass Präsident Klaus ein Mann ist, der den Willen des Parlaments respektiert und den Vertrag am Ende unterschreibt.“

Was aber, wenn es nicht mehr gelingt, den Vertrag rechtzeitig vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Tschechien zu ratifizieren? Würde dies dem Ansehen Tschechiens schaden?

„Das wäre natürlich ein Kratzer am Image Tschechiens, ein Schaden. Es geht darum, mit welchem Gewicht wir unseren Vorsitz führen. Die Message wäre klar: Nicht einmal die eigenen Koalitionsparteien waren in der Lage, das umzusetzen, was ihre Regierung beschlossen hat,“ so weit Minister Svoboda im Radio-Prag-Interview.

Jiří Paroubek
Der Chef der stärksten Oppositionspartei, der Sozialdemokrat Jiří Paroubek war in der Vorwoche in Brüssel, um mit hochrangigen EU-Vertretern zu sprechen. Thema Nummer eins war – wie könnte es dieser Tage anders sein – der bevorstehende tschechische EU-Ratsvorsitz und die Ratifizierung des Lissabon-Vetrags. Kaum zurück in Prag, forderte Paroubek von der Regierung Topolánek Taten:

„Das Lavieren und Taktieren rund um den Lissabon-Vertrag, ganz zu schweigen von seiner oft vulgären Herabwürdigung, ist das sichtbarste Zeichen für die unklare und unberechenbare Politik der Regierung Topolánek. Genau diese Politik ruft bei unseren europäischen Nachbarn Befremden hervor.“

Auch Paroubek ist der Meinung, die Ratifizierung des EU-Reformvertrags sei noch vor dem Jahresende zu schaffen. Den politischen Willen dazu vorausgesetzt:

„Daher fordere ich die Regierung auf, sich mit all ihrem Gewicht für die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags noch vor Beginn der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft einzusetzen. Wir müssen Europa und unseren Bürgen das klare Signal geben, dass die pro-europäischen Statements dieser Regierung nicht nur leere Worthülsen sind, sondern dass sie eine reale Grundlage haben.“


Nicht nur Mitglieder der tschechischen Opposition und der Regierungsparteien fordern in Bezug auf den Lissabon-Vertrag ein pro-europäisches Signal von Prag. Eine Delegation des Verfassungs-Ausschusses des Europäischen Parlamentes weilte vergangene Woche in Prag, um auf mögliche Probleme für die tschechische Ratspräsidentschaft aufmerksam zu machen, sollte der Vertrag nicht bis Jahresfrist ratifiziert sein. Wir haben darüber mit dem deutschen Europa-Abgeordneten Jo Leinen von der Sozialdemokratischen Fraktion gesprochen.

Herr Leinen, Sie waren als Vorsitzender des Verfassungsausschusses des Europäischen Parlamentes in Prag. Der Vertrag von Lissabon ist hier noch nicht ratifiziert. Was bedeutet das für die anstehende EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens?

„Das bedeutet sicherlich eine Schwächung der tschechischen Präsidentschaft. Im Dezember werden nur noch zwei Länder ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Einerseits Irland mit dem negativen Votum aus dem Referendum und andererseits die Tschechische Republik mit der ausstehenden Ratifizierung in Parlament und Senat.“

Es gibt eine sehr kleine Chance, dass das noch bis Ende des Jahres passieren wird. Wahrscheinlich eher erst nächstes Jahr. Macht es denn einen Unterschied, wann Tschechien den Lissabon-Vertrag ratifiziert?

Präsident Václav Klaus
Ja, sicher. Wir würden dringend empfehlen, noch vor dem ersten Januar 2009 dieses Thema unter Dach und Fach zu bringen. Wenn das aus anderen Gründen nicht geht, wäre es wichtig, einen klaren Zeitplan bei dem Dezember-Gipfel der EU in Brüssel vorzustellen. Wenn offen bleibt, wann ratifiziert wird und ob ratifiziert wird, dann wird ein langer Schatten auf die Tschechische Präsidentschaft fallen. Sie wird schwach sein und auch andere Themen nicht voranbringen können. Das ist schlecht für dieses Land, für das Image dieses Landes. Und es ist auch schlecht für alle anderen in Europa.“

Sie haben es gerade erwähnt. Es ist noch offen, ob Tschechien den Lissabon-Vertrag überhaupt ratifizieren wird. In diesem Zusammenhang wird oft über den tschechischen Präsidenten Václav Klaus gesprochen, der ja bekanntermaßen ein Europa-Skeptiker ist. Wie stehen Sie zu der Haltung von Klaus, der den Vertrag noch unterschrieben muss?

„Der Präsident der tschechischen Republik hat eine konstitutionelle Aufgabe. Ich glaube, er muss zwischen seiner privaten Meinung und der Position seines Amtes unterscheiden. Die Regierung hat diesen Vertrag verhandelt und unterzeichnet. Wenn die beiden Kammern des Parlaments ihn auch ratifizieren, kann mir nicht vorstellen, dass der Präsident eine Verfassungskrise auslöst, indem er seine Unterschrift nicht gibt.“

Sie haben während Ihres Aufenthaltes hier in Prag auch mit Mitgliedern des Senats gesprochen. Was waren die Ergebnisse?

„Ich sehe, dass es einen großen Informationsbedarf gibt. Es gibt falsche Vorstellungen von der Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der EU: Es herrscht immer noch die Angst vor Europa und nicht die Hoffnung, dass wir mit Europa unsere Probleme besser lösen können. Die Hoffnung, dass jedes Land durch die Mitgliedschaft stärker und nicht schwächer wird. Hier gibt es bei einigen Senatoren noch fundamentale Fragen zu klären, die uns überraschen. Nach dem Referendum in der Tschechischen Republik zur Mitgliedschaft und nach all den positiven Effekten, die die Mitgliedschaft auch für die Menschen gebracht hat - beispielsweise das Schengen-System - überraschen mich diese Grundfragen. Besonders überrascht hat mich ein populistischer Ansatz, nämlich dass mit dem neuen Vertrag die Eigentumsrechte der früheren Deutschen wieder belebt würden. Ein simpler Blick in den Vertrag und in den Artikel 345 würde jedem zeigen, dass das ausgeschlossen ist. Eigentumsfragen sind ausschließliche, exklusive Kompetenzen der Mitgliedstaaten und nicht der Europäischen Union.“