Der mährische „Lawrence von Arabien“
Alois Musil war Orientalist, Kulturanthropologe, Theologe und Geograph. Während des Ersten Weltkriegs schickten ihn die Habsburger auf Geheimmission in den Nahen Osten.
„Er schrieb Tschechisch, Englisch und Deutsch und beherrschte etwa 25 nordarabische Dialekte sowie wohl alle europäischen Sprachen. Ein unglaublich gebildeter Mensch.“
Dabei stammte Alois Musil vom Land: Am 30. Juni 1868 wird er im mährischen Ort Rychtářov / Richtersdorf geboren, im Übrigen ein Vetter zweiten Grades des Schriftstellers Robert Musil. Beinahe ist Alois´ Bildungsweg aber schon nach der Grundschule vorbei. Der Historiker Petr Koura:
„Alois Musil kam aus ärmlichen Verhältnissen. Er war das älteste von fünf Kindern. Er wurde zwar am Gymnasium in Kroměřiž aufgenommen, aber das erfolgte unter dramatischen Umständen. Denn der Direktor wollte ihn aufgrund zu geringer Kenntnisse zunächst nicht zur höheren Bildung zulassen. Das Bildungsdefizit lag aber an Musils vorherigen Lehrern und nicht an seinen Fähigkeiten. Er wurde also nur unter Vorbehalt aufgenommen. Nach zwei Monaten musste der Direktor aber eingestehen, dass der Schüler der Beste in der Klasse war.“
Vom Priester zum Orientalisten
Wissensdurstig ist Alois Musil. In Olomouc / Olmütz studiert er Theologie. Doch seine Tätigkeit als Religionslehrer erwärmt ihn nicht wirklich. Er promoviert und erhält 1895 ein Stipendium für einen Aufenthalt im Heiligen Land. An der École biblique – also der Bibelschule in Jerusalem – ist er jedoch nicht zufrieden. Er möchte die Menschen der Gegend kennenlernen, ihre Sprache und Lebensweise. Das ist der Startschuss für seine Karriere als weltgewandter Gelehrter.„Die Arabistik lag damals noch in den Windeln. Interessant ist aber Musils Wandlung vom Bibelwissenschaftler zum Fachmann der Islamistik. Denn Musil wollte das Leben von Moses` biblischem Volk kennenlernen. Damals lebten vor allem die Wüstenbeduinen noch wie die Israeliten aus der Heiligen Schrift. Durch das Studium der Nomaden wollte er mehr über das Volk aus der Bibel lernen“, so Pavel Ťupek.
Der Forscher erkundet vor allem die Gebiete östlich und südlich des Toten Meeres, das sogenannte „Arabia Petraea“. Unter diesem Begriff erscheinen später auch Musils umfassende Berichte an die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften. Diese Forschungsinstitution in Wien finanziert die meisten seiner Reisen ab 1898. Gerade in dem Jahr macht er jene Entdeckung, die ihm den größten Ruhm einbringt. Anfang Juni 1898 ist er gerade aus türkischer Gefangenschaft geflohen, nach einem Raubzug zusammen mit den Beni Sachr. Dabei gelangt er zu einem der verwunschenen umayyadischen Wüstenschlösser: Qusair ʿAmra. Der Arabist Ťupek:
„Das war eine große Entdeckung, die er aber eigentlich zufällig machte. Von einem Beduinen hatte er von dem Schloss gehört und machte sich auf den Weg. Dort entdeckte er eine unglaubliche Sache: Die Wandfresken zeigten lebende Wesen. Das musste auch ihn damals überrascht haben, denn wie wir wissen, verbieten die islamischen Traditionen eigentlich die Darstellung von Lebewesen. In den Moscheen heute sieht man meist geometrische Muster oder Pflanzenmuster beziehungsweise Zitate aus dem Koran als Wandschmuck. Das Schloss stammte aber aus dem siebten Jahrhundert. Er fotografierte alles und machte sich Notizen. Doch er befand sich auf dem Boden eines feindlichen Stammes und musste fliehen. Dabei wurde seine Dokumentation zerstört. In Wien konnte er dann seine Entdeckung nicht beweisen, niemand glaubte ihm. Er wurde stattdessen ausgelacht.“Erst zwei Jahre später kann Alois Musil zurückkehren und alles noch einmal dokumentieren. Seine Kameraaufnahmen machen ihn zum gefeierten Star.
Flucht aus dem Wüstenschloss
Weil Musil zu seinen Reisen detaillierte Karten anfertigt, wird er auch in einer weiteren Disziplin zum gefragten Experten. Historiker Koura:„1906 wurde Musil vom britischen Außenminister Edward Grey darum gebeten, den Grenzverlauf zwischen dem britischen beherrschten Ägypten und den restlichen Teilen des Osmanischen Reiches aufzuzeichnen. Das ist interessant, denn die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Vereinigten Königreich waren eigentlich angespannt. Aber die Briten wandten sich an Musil, obwohl er österreichischer Staatsbürger war. Das zeigt, welche Autorität der Wüstenforscher auch in Fragen der Geographie genoss.“
Allerdings steht Alois Musil dann im Zweiten Weltkrieg auf der entgegengesetzten Seite der Briten. Erst einmal wird er aber Professor für Biblische Hilfswissenschaften und arabische Sprachen an der Theologischen Fakultät der Wiener Universität. In dieser Position baut er enge Beziehungen zum Haus Habsburg auf. Er gilt zeitweilig als „graue Eminenz“ am Hof und wird mit dem russischen Rasputin verglichen. Die Publizistin Veronika Válková hat sich intensiv mit dem Leben von Musil beschäftigt und sagte vor einiger Zeit im Tschechischen Fernsehen:
„Weil Musil so enorm bewandert war wie niemand anderes in der k. u. k. Monarchie, sprach ihn Prinz Sixtus an. Der Bruder der späteren Kaiserin Zita bat Musil, ihn auf einer Jagd- und später vor allem Entdeckungsreise in den Orient zu begleiten. Der Arabist willigte ein, die Fahrt endete jedoch damit, dass sie von Beduinen überfallen wurden. Das Team gelangte dann im Wortsinn nur noch mit der Unterwäsche am Leib nach Aleppo. Dieses Erlebnis aber brachte Musil der Kaiserfamilie näher.“Und wegen der Nähe zum Hof der Habsburger schlüpft der Priester aus Mähren schon bald in seine nächste Rolle. Während des Ersten Weltkriegs schickt ihn Kaiser Franz Joseph nämlich ins Osmanische Reich. Musil unternimmt 1914/15 seine erste Reise und die zweite dann 1917.
„Im Ersten Weltkrieg wurde nicht nur auf den Schlachtfeldern gekämpft, sondern auch im Geheimen. Jede der Kriegsmächte versuchte, die Schwächen der verfeindeten Seite zu finden und sie für sich zu nutzen. Österreich-Ungarn wollte die arabischen Stämme dazu bringen, sich zu vereinigen und die Regierung des verhassten Osmanischen Reiches im Kampf gegen die Briten zu unterstützen. Lawrence von Arabien plante jedoch, die arabischen Stämme zu einem Aufstand gegen das Osmanische Reich zusammenzuführen. Der britische Arabist, der eine Generation jünger war als Musil, versprach ihnen dafür einen unabhängigen Staat und finanzielle Hilfen. Das tat Musil nicht, er bot den Arabern nichts an, was er nicht hätte erfüllen können. Am Ende scheiterte seine Mission aber“, sagt Veronika Válková.
Gegenspieler von Lawrence von Arabien
Alois Musil ist aber nicht nur im Orient in die Geheimdiplomatie verstrickt. Zu Ende des Kriegs verfasst er für Kaiser Karl I. einen folgenschweren Brief. Es ist ein Schreiben, in dem der Habsburger den Franzosen Ende März 1917 seine Friedensbedingungen mitteilt. Dazu gehört eine Einwilligung zur Rückgabe von Elsass und Lothringen an Frankreich. Den Brief überbringt Sixtus. Allerdings veröffentlicht der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau rund ein Jahr später den Inhalt des Schreibens. Damit ist Kaiser Karl praktisch vorm Bündnispartner Deutschland bloßgestellt – und dies besiegelt das Ende der Donaumonarchie. Dass Musil der eigentliche Autor des Briefes ist, wird allerdings erst später bekannt.Nach dem Krieg will der Forscher zunächst in Wien bleiben. Doch es kommt anders, wie Historiker Koura sagt:
„In Wien herrschte eine nationalistische Stimmung. Er als Nicht-Angehöriger der deutschsprachigen Bevölkerung wurde nicht akzeptiert. Musil zog daher in die Tschechoslowakei. Im Februar 1919 besuchte ihn Staatspräsident Masaryk und rief ihn dazu auf, sich in die Dienste des neuen Staates zu stellen. Obwohl er in Wien immer noch gefragt war, nahm Musil die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft an. Er wurde dann Professor für Arabistik an der Prager Karlsuniversität.“
Musil engagiert sich dann tatsächlich auch für den neuen Staat. So hilft er der Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit, eigene Wirtschaftsbeziehungen in die arabische Welt aufzubauen. Im universitären Bereich baut Musil die tschechische Orientalistik mit auf. Doch immer häufiger befindet sich der Gelehrte auf Reisen in die USA. Dort gibt er auf Englisch ein sechsbändiges Werk heraus, das später in vereinfachter Form auch auf Tschechisch erscheint.Dann wird seine Heimat von Hitler besetzt, und der Zweite Weltkrieg beginnt. Das Ende dieses Weltenbrandes und die Befreiung der Tschechoslowakei erlebt Alois Musil aber nicht mehr. Er stirbt am 12. April 1944.