„Deutschland ist unser großes Vorbild“ – Daniel Herman über den tschechischen Vergangenheitsdiskurs

Daniel Herman

Die monatelangen Querelen um den Direktorenposten im Institut für das Studium totalitärer Regime, eine Art tschechischer Birthler-Behörde, haben vorerst ein Ende. Am Montag übernahm der frühere katholische Priester und Sprecher der Tschechischen Bischofskonferenz, Daniel Herman, die Leitung des Instituts. Im Interview mit Radio Prag spricht er über seine neue Aufgabe und seine Sicht auf den tschechischen Vergangenheitsdiskurs.

Daniel Herman  (Foto: ČTK)
Herr Herman, was hat Sie eigentlich dazu bewogen, sich um die Leitung des Instituts für das Studium totalitärer Regime zu bewerben?

„Ich betrachte die Tätigkeit des Instituts als sehr wichtig, denn die Aufarbeitung der Vergangenheit ist für mich eine grundlegende Priorität. Und vor allem das deutsche Beispiel ist für uns sehr wichtig. Ich zumindest habe in Deutschland gesehen, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit möglich ist. Und ich weiß, dass wir hier in Tschechien noch einige Reserven in dieser Beziehung haben. Und deshalb möchte ich mich in diesem Bereich ein wenig engagieren und ein weiteres kleines Mosaiksteinchen in den Prozess der wichtigen Aussöhnung und Aufarbeitung der Vergangenheit einfügen.“

Was meinen Sie mit Reserven und wie möchten Sie diese Reserven mobilisieren?

„Die kommunistische Zeit war eine sehr lange Periode und die Gehirnwäsche war sehr massiv. 20 Jahre sind nicht genug, um sich davon zu befreien. Ich bin der Meinung, dass wir jetzt irgendwo in der Mitte angelangt sind. Der Raum der Freiheit in der Tschechischen Republik ist groß, wir sind EU- und Nato-Mitglied, und das ist beides sehr wichtig. Aber die eigene Vergangenheit ist zum Teil noch nicht ganz aufgearbeitet. Ich glaube, das ist ein Generationenprozess und wir brauchen eine Erneuerung der Mentalität und des Denkens. Immer noch wählen zehn Prozent der Tschechen die Kommunistische Partei – das ist in einem demokratischen Staat normal, aber es muss auch ganz klar gesagt werden, dass das kommunistische Regime ein totalitäres Regime war.“

Was konkret ist aus der kommunistischen Zeit noch zu wenig erforscht?

„Es wurde schon viel getan, aber natürlich nicht alles. Aber das ganze Institut steht ja praktisch erst am Anfang seiner Arbeit. Es existiert gerade einmal zwei Jahre. Wir haben eine ganze Menge von Forschern und Experten, die auf diesem Gebiet arbeiten, es gibt viele Studien und Ausstellungen, eine enge Zusammenarbeit mit den Schulen und dem Schulministerium. Das finde ich sehr wichtig und in diese Richtung wollen wir auch in Zukunft gehen. Es gibt einige Prioritäten, die der Institutsrat formuliert hat. Als eine von ihnen sehe ich die Frage des Widerstands gegen das kommunistische Regime – repräsentiert zum Beispiel von den Mašin-Brüdern.“

Darüber gab es ja in letzter Zeit auch eine heftige Debatte. Warum tun sich die Tschechen in Ihren Augen so schwer damit, den bewaffneten Widerstand gegen das kommunistische Regime anzuerkennen?

„Das frage ich mich auch. Ich bin der Meinung, dass die massive Propaganda, die die Kommunisten 40 Jahre lang betrieben haben, tiefe Spuren hinterlassen hat.“

Es gab ja in den letzten Monaten einen heftigen öffentlichen Streit um das Institut. Finden Sie diesen Streit symptomatisch für den tschechischen Vergangenheitsdiskurs?

„Ja, sicher. Das Institut ist ein wichtiger Baustein dieser Debatte. Und sicherlich ist die Stabilisierung der inneren Situation im Institut eine wichtige Grundlage für weitere Schritte.“

Es ging ja bei dem Streit – abgesehen von umstrittenen Personalien – auch generell um die Ausrichtung des Instituts: Forschungseinrichtung oder Dokumentationszentrum für die Öffentlichkeit? Was ist in Ihren Augen die Hauptaufgabe?

„Ich glaube, dass beide Seiten sehr wichtig sind. Die Qualität der Arbeit ist die Basis und die muss zugänglich sein für die breite Öffentlichkeit. Beides darf sich nicht gegenseitig im Weg stehen.“

Wie wollen Sie es schaffen, dem Institut seine Glaubwürdigkeit zurückzuverleihen? Durch die langen Querelen hat das öffentliche Ansehen der Behörde ja ziemlich gelitten.

„Die Qualität der Arbeit ist das Wichtigste. Und dann die Stabilisierung der Situation. Ich habe gleich am ersten Tag einen Stellvertreter für Ökonomie ernannt, denn hier muss es eine feste Hand geben.“

Werden Sie mit ähnlichen Instituten im Ausland zusammenarbeiten – etwa mit der deutschen Birthler-Behörde?

„Auf jeden Fall. Deutschland ist unser großes Vorbild. Aber auch mit ähnlichen Institutionen in der Slowakei und Polen, mit dem Holocaust-Museum in Washington, oder mit Yad Vashem in Jerusalem und einer ganzen Reihe weiterer Institutionen wollen und werden wir zusammenarbeiten.“

Von slowakischen Journalisten hat man in den letzten Tagen mehrfach sehr anerkennende Töne über den tschechischen Vergangenheitsdiskurs gehört. In einem Kommentar in der Zeitung Sme hieß es sogar, die Tschechen hätten ihre mitteleuropäischen Nachbarn in diesem Zusammenhang weit überholt. Wo stehen die Tschechen 20 Jahre nach 1989, in puncto Vergangenheitsbewältigung, verglichen mit anderen postkommunistischen Staaten?

„Es wurde schon viel getan hier bei uns. Vor allem auf dem Boden des Gesetzes. Und das finde ich sehr wichtig. Denn wenn der Staat sagt, dass das kommunistische Regime ein totalitäres Regime war, dann ist der Raum geöffnet für weitere Studien. Ich glaube, dass die Tschechische Republik hier eine gute Richtung hat und im Vergleich zu den anderen postkommunistischen Staaten eine sehr gute Bilanz vorweisen kann.“