Die Angst vor der Zukunft im Film: Regisseurin Chmielewska in Karlsbad
Eva ist auf der verzweifelten Suche nach Schlaf. Erschöpft streift sie durch die Nächte und gerät so auf die Kehrseite des normalen Lebens. Was ist aber normal? Das ist in Kürze der Film „Lullaby“ von Magdalena Chmielewska. RPI hat mit der österreichischen Regisseurin polnischer Herkunft beim Filmfestival in Karlovy Vary / Karlsbad gesprochen.
Frau Chmielewska, wir treffen uns beim Filmfestival Karlovy Vary im westböhmischen Karlsbad. Sie sind mit Ihrem Kurzfilm Lullaby hierhergekommen. Wovon erzählt Ihr Film?
„Lullaby erzählt von einem Mädchen, das die Fähigkeit verloren hat, Schlaf und Ruhe zu finden. Sie sucht Strategien, wie sie Frieden in sich finden kann. Sie ist eine Teenagerin, 17 Jahre alt. Ihre Methoden sind nicht superwissenschaftlich und rational, sie agiert intuitiv und instinktiv. Sie führt eigentlich einen Überlebenskampf, denn es geht um das Grundbedürfnis an Schlaf und Ruhe, das bei ihr nicht erfüllt wird. Aus dem Grund macht sie das, was sie macht.“
Geht es dabei wirklich um die Schlaflosigkeit und die Unfähigkeit, Ruhe zu finden? Oder steht dieser Zustand für etwas anderes, eine allgemeine Unruhe etwa?
„Die Schlaflosigkeit steht für mich auch für viel anderes. Vor allem junge Menschen sehr stark spüren, dass es um unseren Planeten nicht gut bestellt ist.“
„Diese Schlaflosigkeit als Zustand ist tatsächlich nur ein Container für meine Erzählung, für die ich natürlich ein Setting, etwas Konkretes brauche. Die Schlaflosigkeit steht für mich auch für viel anderes – für Ängste, für Panik-Attacken, einfach für ein Gefühl, dass da irgendetwas passiert, was in uns Unruhe weckt. Ich glaube, wir leben in Zeiten, in denen vor allem junge Menschen sehr stark spüren, dass es um unseren Planeten nicht gut bestellt ist. Da meine ich konkret die Klima-Katastrophe, die Kriege und den Umstand, dass die politischen Systeme und die Gesellschaften nicht das machen, was sie machen könnten. Europa und die Vereinigten Staaten können natürlich mehr machen, um die Katastrophe zu vermeiden, aber wir schauen all dem zu. Meine Figur spürt, dass da irgendwas nicht stimmt. Aber ich wollte das nicht erklären. Es geht darum, dass ich sie in die Umgebung schicke, dass sie mit ihrer Hilfslosigkeit die sogenannte Normalität herausfordert. Sie irritiert einfach ihre Nachbarn, ihre Freunde damit, dass sie nicht normal ist, so wie es sich gehört. Es ist nicht möglich, so weiter zu machen wie bisher. Das würde einfach ein Armageddon bedeuten. Sorry für diesen Pessimismus, aber irgendwo muss ich das loswerden.“
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese Ängste gerade durch die Unfähigkeit zu schlafen auszudrücken?
„Ich habe selbst unter Schlaflosigkeit gelitten, als ich 16, 17 Jahre alt war. Ich kann mich gut erinnern, wie hilflos alle um mich herum waren. Meine Eltern waren besorgt und wollten mir irgendwie helfen, aber tatsächlich habe ich das Gefühl gehabt, dass ich komplett alleine damit bin, dass mich niemand versteht, dass die Ärzte Blödsinn erzählen. Als erwachsene Frau wusste ich dann, dass es schon Themen oder etwas gegeben hat, das diesen Zustand hervorgerufen oder verstärkt hat. Dann habe ich auch über Greta Thunberg gelesen, die früher, bevor sie sozusagen auf die Barrikaden gegangen ist und so viele junge Menschen inspiriert hat, unter Bulimie gelitten hat. Sie hatte also auch etwas Selbstdestruktives wie jetzt meine Figur Eva. Sie litt sehr darunter, bis ein Punkt kam, an dem sie dies überwinden konnte.“
Finden die Hauptfigur Eva Wege, um sich selbst zu helfen? Was macht sie dagegen?
„Eva ist ein cleveres Mädchen. Trotz ihrem hilflosen Zustand mobilisiert sie alle ihre Lebenskräfte, um eine Lösung zu finden. Den Weg dorthin findet sie intuitiv und instinktiv. Sie versucht, zu ihren Freunden und Nachbarn nach Hause zu gehen und den Menschen zuzuschauen, wie sie schlafen. Das ist eine Strategie. Die andere ist die Körperlichkeit. Sie verausgabt sich durch das Fechten. Es ist auch unglaublich zu sehen, wie vital, wie lebendig sie trotzdem ist. Das kenne ich auch. Ich war ebenfalls schlaflos, ziemlich fertig und frustriert. Um diese Frustration zu überwinden, habe ich getanzt und jeden Tag Volleyball trainiert. Ich sage heute nicht, dass dies gesund gewesen wäre, aber damals war es tatsächlich mein Weg, um mir zu beweisen, dass noch alles gut ist, ich lebe, für mich noch normal bin.“
Ihr Film wurde hier in der Kategorie Future Frames gezeigt. Was muss man tun, um für das Festival ausgewählt zu werden?
„Karlovy Vary ist das Cannes dieses Teils Europas.“
„Der Umstand, warum ich da bin, ist nicht nur der Film, sondern auch, dass ich seit Jahren Regie an der Filmakademie Wien studiere. Eigentlich hätte ich das Studium schon längst abgeschlossen haben sollen. Und da mich die Hochschule mit diesem Film zum Festival angemeldet hat, bin da. Ich habe nicht gewusst, wie Future Frames funktioniert, und war sehr positiv überrascht. Wir wurden hier auf eine wunderbare Weise promotet. Selbst der Umstand, hier dabei zu sein – es ist ein A-Festival, es ist das Cannes dieses Teils Europas –, war für mich eine große Ehre und Freude.“
Sie stammen aus Polen, studieren und arbeiten in Wien. Wie teilen Sie Ihr Leben zwischen den beiden Ländern auf?
„Ich lebe seit 20 Jahren in Wien. Wien ist meine Wahlheimat, dort sitzt die Filmproduktionsfirma, bei der ich meinen ersten Spielfilm entwickle. Wien ist einfach der Ort, an dem ich lebe und von dem aus ich mich in die Welt begebe. Aber ich stehe absolut zu meinen polnischen Wurzeln, sie machen mich zu dieser in Wien angesiedelten Regisseurin, die ich bin.“
Sie haben hier Ihren Kurzfilm „Lullaby“ vorgestellt. Arbeiten Sie jetzt schon an einem neuen Film?
„Oh ja, seit langem. Ich arbeite an meinem ersten langen Spielfilm, der Gottseidank schon jetzt – in dieser Entwicklungsphase – Aufmerksamkeit bekommen hat. Ich entwickle ihn mit Panama-Film in Wien, also mit meinen Studienkollegen. Es geht um eine junge Frau, die sich nach dem Tod ihrer Mutter zur Feuerwehr in ihrem Dorf anmeldet. Und in diesem Dorf herrscht große Wasserknappheit, die Wasserrestriktionen werden von der Gemeinde immer mehr verschärft. In diesem Setting findet sie Kraft, die ihr hilft, sich von diesem Dorf zu befreien – so destruktiv dies auch sein mag. Ich habe einmal ein äthiopisches Sprichwort gehört, das mich sehr berührt hat: ‚Wenn ein Kind von seinem Dorf nicht umarmt wird, brennt das Kind es nieder, um die Wärme des Dorfes zu spüren.‘ Natürlich ist dies eine Metapher für unsere Sehnsucht nach Anerkennung oder viel mehr nach dem Gefühl, irgendwohin gehören zu wollen. Meine Figur spürt, dass sie nicht zu diesem Dorf gehören will. Wegen der Art und Weise, wie dort mit den Wasserressourcen und auch mit den Frauen umgegangen wird, ist es nicht ihr Ort.“