Die böhmische Küche und ihre Geschichte
Heute halten die Tschechen bestimmte Gerichte für typisch für ihr Land, die eher eingeführt oder irgendwie übernommen wurden. Das sind etwa Gulasch und Schnitzel. Welche Speisen sind also dann eigentlich böhmisch oder tschechisch? Mit dem folgenden Beitrag eröffnen wir eine neue Serie über die tschechische Küche.
Essen und Trinken sind häufig auch ein Teil der nationalen Identität. In vielen Ländern bestehen bestimmte Traditionen bei Speisen und Zutaten oder auch bei den Tischsitten. Mit der Globalisierung ist allerdings einiges an Eigenheit in diesem Bereich verloren gegangen. Im landwirtschaftlichen Nationalmuseum in Prag beschäftigt sich Jitka Sobotková mit dem Thema. Sie arbeitet derzeit an einer Ausstellung, die kommendes Jahr gezeigt werden soll. Titel der Schau ist „Das kulinarische Erbe der böhmischen Länder“. Im Interview für Radio Prag International sagt die Expertin:
„Die tschechische Nationalküche ist ein weiter Begriff. Sie hat sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet und zeichnet sich durch Lebensmittel aus, die hierzulande normal zu bekommen waren. Dazu gehörten unter anderem Kartoffeln, Weißkohl und Hülsenfrüchte. So haben sich auch die Gerichte entwickelt, die in den Haushalten zubereitet wurden. Zugleich haben die Zeit Österreich-Ungarns und Wiens als Hauptstadt der Monarchie die tschechische Küche beeinflusst. In der Ersten Tschechoslowakischen Republik ließ sich dann der Einfluss der verbündeten Staaten erkennen, vor allem der französischen Küche. Sie schlug sich ebenfalls in den Rezepten, der Zubereitung und den Namen der Gerichte nieder – und zwar sowohl in den Privathaushalten als auch in den Restaurants.“
Historische Kochbücher
Sobotková hat für die geplante Ausstellung um die Mitarbeit der Menschen im Land gebeten. Diese sollen ihre historischen Rezepte und alten Kochbücher einschicken.
„Wir waren überrascht von dem großen Interesse. Das Museum hat viele Dutzende, wenn nicht sogar mehrere Hundert handgeschriebene Rezepte sowie Kochbücher erhalten. Einige sind sogar historisch. Das sind wunderschöne, toll erhaltene Stücke. Klar, dass sie hier und dort mit Soßenflecken garniert sind, aber sie sind Zeugnis der geschmacklichen Traditionen hierzulande. Bei den Handschriften ist das Alter nur schwer zu bestimmen, das älteste Buch hingegen ist eines in deutscher Sprache vom Beginn des 19. Jahrhunderts“, so die Expertin aus dem landwirtschaftlichen Nationalmuseum.
Früher wurden Rezepte extra in Heften notiert oder auf Zetteln gesammelt, diese Sammlungen wurden dann von Generation zu Generation weitergegeben. Und heute in Zeiten des World Wide Web? Jitka Sobotková macht sich keine Illusionen…
„Das Internet und moderne Technologien sind schon weit in diesen Bereich vorgedrungen. So bringen uns die Großmütter ihre Rezeptsammlungen, weil ihre Enkelin sich lieber im Internet schlau macht und sie selbst nicht weiß, wohin damit. Auf der anderen Seite glaube ich, dass nur erprobte Rezepte weitergereicht und abgeschrieben werden – also das, was die Familie gerne hat. Eine Erkenntnis unserer Suche ist aber, dass die wirklich traditionellen tschechischen Rezepte meist gar nicht aufgeschrieben werden. Kaum jemand hat zu Hause die genaue Anleitung für Kartoffelpuffer, denn die Mama hat diese schon so oft zubereitet, dass man auch ohne Rezept weiß, wie das geht. Wir haben also in uns eine Art Gedächtnis für Geschmäcker.“
Was auf den Essenstisch kam, unterschied sich früher stark nach der jeweiligen gesellschaftlichen Schicht. Reichere Menschen konnten sich natürlich eine breitere Palette an Nahrung leisten als ärmere. Und sie aßen auch mehr und häufiger, wie die Expertin betont:
„Der reichere Adel hatte sogar exotisches Obst und Gemüse sowie fremde Gewürze. Bei den ärmeren Schichten überwogen Gerichte mit Hülsenfrüchten, Kartoffelbrei oder etwa Kartoffelpuffer.“
Typische Gewürze der böhmischen Küche waren und sind Majoran und Liebstöckel. Und später, ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unterschieden sich vor allem die Speisepläne in der Stadt und auf dem Land.
„In den städtischen Familien wurde häufiger zu Tisch gegangen. So etwa zum Frühstück und späten Frühstück, zur Brotzeit und zum Mittagessen. Und meist gab es auch mehrere Gänge. Dahingegen richtete sich die gewöhnliche Küche, oder sagen wir: die Küche auf dem Lande, nach dem Arbeitsrhythmus. Meist wurde erst am Abend gegessen, wenn man vom Feld kam. Dann wurde natürlich auch einfach mehr zu sich genommen“, so Jitka Sobotková.
Aber selbst die Küche der heutigen Großeltern war anders, besonders wenn es um die Zubereitung der Gerichte geht:
„Sie zeichnete sich durch gute Zutaten aus. Damit meine ich aber nicht teures Fleisch, sondern selbst zubereitete Brühe oder Mehlschwitze. Also all das, was wir heute aus der Tüte ersetzen können. Das heißt, in Großmutters Küche wurde alles selbst zubereitet.“
So etwa der Böhmische Rinderlendenbraten, also die Svíčková, mit der typischen Soße aus Bratensaft und eingekochtem Gemüse sowie selbst gemachten Serviettenknödeln.
Kartoffelpuffer und Buchteln
Allerdings gelten hierzulande auch viele Gerichte als traditionell, die es eigentlich gar nicht sind…
„Hier im Museum versuchen wir, den Mythen entgegenzuwirken, dass Trdelník, Gulasch oder Schnitzel typische tschechische Speisen wären. Vielmehr betonen wir, dass es die sehr einfachen Gerichte sind wie etwa Kartoffelpuffer. Und häufig wird auch vergessen, dass dazu nicht nur Hauptgerichte gehören. Es sind ebenso Buchteln, Kuchen, der sogenannte ‚Frgal‘, mährische Kolatschen – einfach alle möglichen Hefespeisen. Und dazu kommen die Obstknödel, besonders jene mit Zwetschgen“, erläutert die Fachfrau.
Und bei den Getränken?
„Da wird sicher erwartet, dass ich Bier nenne. Historisch war es aber wohl eher ganz gewöhnliches Wasser. Allerdings gilt hier ebenso, dass dies abhängig war von der gesellschaftlichen Schicht. Meiner Meinung nach sind besonders unterschiedliche Sirupe ganz typisch für die böhmischen Länder. Aktuell ist besonders Holunder beliebt, aber auch auf Lindenblüten trifft das zu.“
Eine Besonderheit ist laut Jitka Sobotková zudem, dass hierzulande seit je her alles Mögliche eingekocht oder getrocknet wird – für den Winter oder für schlechte Zeiten. Das reicht von Sirup, über Marmelade bis zu Kompott. Zugleich sagt die Fachfrau, die tschechische Küche habe bisher ungenutztes Potenzial, um die weltweite Gastronomie zu bereichern:
„Wir haben dazu auch im Archiv unseres Museums geforscht. Aus dem, was wir bisher gefunden haben, geht eines hervor: der sparsame Umgang mit Lebensmitteln. Wenn die Köchin hierzulande noch Knödel übrig hat, dann kann sie auch mit denen etwas anfangen. Das gilt ebenso für trockenes Brot oder saure Milch. Das erscheint mir in der Welt-Gastronomie einmalig.“
Bei all den Ausführungen bleibt eigentlich nur eine Frage: Kochen in Tschechien wirklich nur die Frauen?