Die Brüder Masin

Helden oder Mörder - die Brüder Masin, die sich Anfang der 50er Jahre ihren Weg in den Westen freischossen, beschäftigen auch heute noch die Gemüter in Tschechien. Waren ihre Taten Widerstandsakte gegen das kommunistische Regime oder einfache Verbrechen? Fragen für das heutige Geschichtskapitel, zu dem sie Tobias Troll und Katrin Bock begrüssen.

Nach der Machtergreifung der Kommunisten im Februar 1948 erfolgte eine erste Welle der Emigration in den Westen, zugleich regte sich aber auch der erste Widerstand gegen das neue Regime, das seine Gegner zu verfolgen begann. Nach Vorbild des Widerstands gegen die deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkrieges entstanden kleine Widerstands- bzw. Untergrundgruppen, deren Ziel die Bekämpfung und letztendlich Besiegung der Kommunisten war.

Eine dieser Gruppen bildeten die Brüder Josef und Ctirad Masin. Ihr Vater, Josef Masin, war einer der bekanntesten Widerstandskämpfer gegen die Nazis gewesen. Seine Gruppe versorgte die tschechoslowakische Exilregierung in London mit Informationen, führte diverse Sabotageakte durch und half politisch Verfolgten. Im Mai 1941 wurde Masin Senior verhaftet, im Juni `42 in Prag hingerichtet. In seinem letzten Brief an seine damals 10 bzw. 12 Jahre alten Söhne schrieb Masin:

"Denkt daran, dass es die Pflicht eines jeden Tschechen ist, die Freiheit seiner Heimat und seines Volkes zu verteidigen."

In einem Fernsehinterview erinnerte sich Ctirad Masin an die konkreten Gründe, die zur Entstehung ihrer Widerstandsgruppe 1950 führten:

"Einige Wochen nach der Machtergreifung der Kommunisten im Februar 1948 begannen einige Freunde unserer Eltern, die mit ihnen gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatten, zu verschwinden. Insbesondere die Hinrichtung von Milada Horakova, mit der unsere Mutter während der Okkupation im Gefängnis gesessen hatte, gab den Impuls dafür, etwas gegen dieses Regime zu unternehmen."

Gemeinsam mit Schulkameraden und ihrem Onkel Ctirad Novak gründeten die damals 18 bzw. 20 jährigen Masin-Brüder eine Widerstandsgruppe. Sie waren bereit, gegen das neue Regime auch mit Waffen in der Hand zu kämpfen. Ebenso wie viele andere glaubten auch sie an den baldigen Ausbruch eines dritten Weltkrieges und den Sieg der westlichen Demokratien. Ihr Vater und andere Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer waren ihre Vorbilder. Doch die Voraussetzungen hatten sich geändert. Im Gegensatz zu den Widerstandsgruppen während der Okkupation, fehlte ihnen die Unterstützung und Anerkennung aus dem Ausland.

Im September 1951 führten die Masin-Bande ihre erste Aktion durch: den Überfall einer Polizeistation. Dabei wurden zwei Polizisten erschossen. Die Gruppe erreichte jedoch ihr Ziel: die Erbeutung von Waffen für den zukünftigen bewaffneten Kampf gegen das Regime. Im August 1952 überfielen sie einen Geldtransporter. Auch bei dieser Aktion floss Blut: einer der Transportbegleiter wurde erschossen. Ein Jahr später erbeutete die Masin-Gruppe 100 kg Sprengstoff, das für diverse Sabotageakte geplant war. Doch zu einem eigentlichen Kampf gegen die Kommunisten, zu wirklichen Attentaten oder grösseren Sabotageakten kam es nicht.

Der erwartete dritte Weltkrieg blieb aus, die Verfolgung im Lande nahm zu und so beschlossen Josef und Ctirad Masin sowie Vaclav Sved, Milan Plaumer und Zbynek Janata im Oktober 1953 die Tschechoslowakei illegal zu verlassen. Die fünf hatten vor, im Westen Kontakt zu Geheimdiensten aufzunehmen und als gut geschulte Untergrundkämpfer bzw. Agenten später in die Tschechoslowakei zurückzukehren.

Sie planten über die relativ unbewachte Grenze zur DDR zu fliehen und von dort nach West-Berlin. Die Flucht in den Westen verlief jedoch anders als geplant. Im sächsischen Städtchen Uckro lieferte sich die Masin-Gruppe eine Schiesserei mit Volkspolizisten - zwei von diesen starben im Kugelhagel. Am folgenden Tag wurde der erste der Flüchtigen, Zbynek Janata, festgenommen.

Ein riesiges Polizeiaufgebot war nun damit beschäftigt, die Republikflüchtlinge aus der Tschechoslowakei zu verhaften: 25.000 Volkspolizisten und Soldaten suchten die vier Antikommunisten. Bei einer weiteren Schiesserei am 17. Oktober bei Waldow wurden zwei weitere Volkspoliziten erschossen, Vaclav Sved schwer verletzt und verhaftet. Den übrigen drei gelang in der Abenddämmerung die Flucht aus der Umzingelung. 13 Tage später, Ende Oktober 1953, ereichten sie ihr Ziel: Westberlin.

Entsprechend ihres ursprünglichen Plans traten die drei nach ihrer Emigration in die USA der Armee bei. Dieser dienten sie fünf Jahre mit der Vorstellung, bald in der Tschechoslowakei eingesetzt zu werden. Dann gaben sie ihre Hoffnung auf. Die beiden Masin-Brüder wurden erfolgreiche Unternehmer, Milan Plaumer Taxifahrer in Florida. Letzterer hat inzwischen seine alte Heimat besucht. Die Hauptakteure, Josef und Ctirad Masin, weigerten sich bisher, die Tschechoslowakei bzw. Tschechische Republik zu besuchen.

Die Brüder Masin hinterliessen eine blutige Spur, drei Tote in der Tschechoslowakei, vier Tote und zwei Verletzte in der DDR, hinzu kamen weitere vier tote Volkspolizisten, die im Kugelhagel ihrer eigenen Kollegen ums Leben kamen. Kein Wunder, dass der Fall Masin in der DDR lieber verschwiegen wurde. Erst vor ein paar Jahren erschien die erste Aufarbeitung dieses Falles in dem Buch "Fahndung. Grosse Fälle der Volkspolizei" von Wolfgang Mittmann.

Das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei übte an den Freunden und Verwandten der Brüder ein hartes Exampel: Die in der DDR verhafteten Janata und Sved sowie der Onkel der Brüder, Ctirad Novak, wurden nach einem langen Prozess im Mai 1955 hingerichtet. Die Mutter der beiden wurde zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, starb jedoch bereits einige Monate später im Gefängnis. 124 weitere Personen wurden im Zusammenhang mit den Masin-Brüdern verhaftet, 14 von ihnen zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Josef und Ctirad Masin sowie Milan Plaumer gingen bis heute straffrei aus.

In der sozialistischen Fernseh-Kriminalserie "Die 30 Fälle des Major Zeman" aus den 70er Jahren, die bekannte reale Fälle im Sinne des Regimes aufarbeitete, wurde der Fall der Masin-Brüder sehr vereinfacht dargestellt: Major Zeman benötigte nur einige Tage, um die "Terroristen, die das arbeitende Volk in Angst und Schrecken versetzt" hatten, unschädlich zu machen. Die Mörder und Feinde des Arbeiterund Bauernstaates entgingen der gerechten Strafe nicht. Die Realität ist allerdings komplizierter und bietet bis heute Stoff für zum Teil heftige Diskussionen.

Eine Anerkennung der Taten als Widerstandsakte fordern die einen, die anderen sehen auch heute noch in den Masin-Brüdern und ihren Komplizen Terroristen bzw. gewöhnliche Kriminelle, die hinter Schloss und Riegel gehören. Ein Prager Gericht hat 1995 die Taten als verjährt erklärt und den Masin-Brüdern sowie Milan Plaumer bei einem eventuellen Besuch in ihrer alten Heimat Straffreiheit zugesichert. Die Masin Brüder reagierten auf das Urteil empört: sie fordern ihre Anerkennung als Widerstandskämpfer und einen eindeutigen Freispruch, keine Verjährung.

In den tschechischen Zeitungen wechseln sich noch immer Kommentare zu diesem Thema ab. Die einen verweisen darauf, dass der Kampf der Masin-Brüder völlig legal gewesen sei, da er gegen ein Regime geführt wurde, das die Freiheiten seiner Bürger einschränkte. Dass damals, Anfang der 50er Jahre die Taten der Masin-Bande als politische Taten eingeschätzt wurden, zeigt die Tatsache, dass sich die drei Republikflüchtlinge weder in Westberlin noch in den USA je für ihre Taten vor Gericht verantworten mussten, sondern damals in der heissen Phase des Kalten Kriegs als politische Flüchtlinge anerkannt wurden. Zwanzig Jahre später wurden Republikflüchtinge, die auf ihrer Flucht Polizisten oder Grenzer erschossen, auch im Westen für diese Taten verurteilt.

Dass bei der Beurteilung der Taten die Lage Anfang der 50er Jahre in Betracht gezogen werden muss, betont auch Zdena Masinova, die Schwester der beiden. Sie verbrachte ihr Leben in der Tschechoslowakei und kann ihre Brüder, die bisher nicht zurückkommen wollen, verstehen. In einem Zeitungsinterview erklärte Zdena Masinova:

"In der Tschechoslowakei kamen 1948 die Kommunisten widerrechtlich zur Macht und begannen, die demokratische Armee, Polizei und Justiz zu liquidieren. Sie erklärten den Krieg gegen das Volk. Hier herrschte kein Frieden, sondern ein Kampf auf Leben und Tot. Hunderte wurden hingerichtet oder an den Grenzen erschossen, zehntausende als Klassenfeinde verhaftet. Wer die Uniform der kommunistischen Polizei trug, musste damit rechnen, Opfer dieses Kampfes zu werden. Und meine Brüder hatten dem Regime den offenen Kampf erklärt. "

Zdena Masinova fügte hinzu, dass das Credo ihrer Familie sei, dem Bösen Widerstand zu leisten. Besonders erzürnt sind Zdena und ihre Brüder heute über die Tatsache, dass auch zehn Jahre nach der Samtenen Revolution so gut wie keine Kommunisten für ihre Taten vor Gericht zur Verantwortung gezogen wurden.

Der Fall der Brüder Masin zeigt, wie schwer es ist, die kommunistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Helden oder Mörder - die Frage ist bis heute in den Augen der meisten ungeklärt. In einer 1995 durchgeführten Umfrage erklärten lediglich 4 Prozent die Masin-Brüder zu Helden, ein Drittel der Befragten dagegen forderte, dass die Masin-Brüder für ihre Taten strafrechtlich verfolgt werden sollten.

Zur Unterstützung der Masin-Brüder enstand 1995 eine Initiative, die die Anerkennung der Brüder als Freiheitskämpfer fordert. Anders sehen den Fall heute die Angehörigen der damals von den Masin-Brüdern Erschossenen.

"Manche sehen in den Masin-Brüdern Helden, aber töten ist töten. Ich verurteile es auch, dass die Kommunisten Menschen ermordert haben, aber deshalb muss man doch keine unschuldigen Menschen umbringen," erklärte der Sohn eines der Opfer der Masin-Brüder. Ähnlich beurteilen die Taten heute die Kommunistische Partei:

"Das Gesetz gilt für alle. Falls jemand den Tatbestand eines Mordes begeht, so ist das Mord. Über die Motive kann man dann beim Strafmass diskutieren."

Autoren: Tobias Troll , Katrin Bock
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