„Es fehlt eine klare Einstellung zur kommunistischen Zeit“ – Publizist Hvížďala zur Diskussion um die Mašín-Brüder

Ctirad Mašín

In Tschechien ist erneut eine Diskussion um die Mašín-Brüder entbrannt, die Anfang der 1950er Jahre mit ihrer kleinen Widerstandsgruppe Sabotageakte und Anschläge gegen das kommunistische Regime durchgeführt hatten. 1953 waren sie in den Westen geflohen und hatten auf der Flucht mehrere Menschen erschossen. Nach dem jüngsten Tod von Milan Paumer, einem Mitglied der Truppe, streiten die Tschechen erneut über die Frage, wie der Widerstand der Mašín-Brüder zu bewerten ist – als Partisanenkampf oder als Verbrechen. Hören Sie dazu jetzt eine neue Ausgabe unserer Rubrik Forum Gesellschaft. Zu Gast im Studio ist diesmal der Publizist Karel Hvížďala. Silja Schultheis hat ihn gefragt, warum sich die Tschechen eigentlich so schwer tun mit der Bewertung des Widerstandes gegen das kommunistische Regime.

Brüder Mašín und Milan Paumer
Herr Hvížďala, in Tschechien ist erneut die Diskussion um die Brüder Mašín entbrannt – eine für tschechische Verhältnisse ziemlich hitzige Diskussion, die eines ganz deutlich gezeigt hat: Die tschechische Gesellschaft ist in der Bewertung des antikommunistischen Widerstandes äußerst gespalten. Warum eigentlich? Worum geht es in dem Streit um die Mašín-Brüder in erster Linie?

„Oberflächlich betrachtet geht es darum, ob die Brüder Mašín Helden oder Verbrecher sind. Aber die Debatte berührt im Prinzip eine sehr wichtige Sache – und zwar die Erkenntnis, dass jeder, der nichts gegen ein totalitäres System unternimmt, mitschuldig ist. Und das wollte hier niemand hören. Viele wissen noch nicht einmal, dass in der UNO-Charta ganz klar steht: Es ist legitim, etwas gegen ein totalitäres Regime oder einen Diktator zu tun. Denn in der Werteskala der Vereinten Nationen steht die Demokratie an der Spitze.“

Warum tun sich die Tschechen eigentlich so schwer damit, den Widerstand gegen das kommunistische Regime anzuerkennen? Es gibt ja bislang auch noch kein Gesetz, das antikommunistische Widerstandskämpfer als genauso legitim anerkennt wie den Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Und auch die politische Elite ist ja in dieser Frage sehr gespalten.

„Na ja, bei der politischen Elite ist klar, dass sie Angst hat, Popularität einzubüßen. Aber was wichtig ist: Die Gesellschaft ist nach 20 Jahren noch nicht so weit gekommen, und es gibt hier noch Reste einer Dienermentalität. Ich erinnere mich ziemlich genau an einen Moment kurz nach meiner Emigration nach Deutschland vor mehr als 30 Jahren. Ich ging mit meinem kleinen Sohn auf einen Spielplatz und plötzlich weinte dort ein kleines Mädchen. Seine Mutter sagte streng: ´Weinen gehört in das Dienstmädchenzimmer. Du solltest für alles kämpfen!´ Das sind Sätze, die man hier in Tschechien nie hören könnte.“

Mit Dienermentalität meinen Sie, dass man etwas lieber erduldet, anstatt sich dagegen zu wehren?

„Genau. Hier ist es den Leuten ziemlich fremd, eine klare Einstellung zu dieser Zeit und zu diesem System zu haben. Immer wieder hört man, dass das alles nicht so schlimm war, und so weiter. Das würde man über die Hitler-Zeit kaum hören.“

Halten Sie die Debatte über die Mašín-Brüder, die jetzt wieder in Gang gekommen ist, für produktiv?

„Ich glaube nicht. Weil sie zu sehr emotionalisiert ist. Wir brauchen eine sachliche, klare Debatte, die wirklich zeigt, wie das zum Beispiel in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war, was die Intellektuellen damals darüber geschrieben haben. Und dass das keine Ausnahme ist, sondern dass die westliche Kultur so denkt. Nach diesen 50 Jahren und zwei totalitären Regimen sind wir einfach verdorben, ist unsere Mentalität verdorben.“

Milan Paumer  (links),  Ctirad und Josef Masin mit dem Masaryk-Preis
Die Brüder Mašín sind ja seit 1953, seit ihrer Flucht in den Westen, nie wieder in Tschechien gewesen. Selbst zur Beerdigung ihres engen Freundes und Mitkämpfers Milan Paumer vergangene Woche sind sie nicht gekommen – mit der Begründung, dass sich in Tschechien seit dem Ende des Kommunismus eigentlich nicht viel geändert hat. Dass es immer noch eine kommunistische Partei und immer noch Gesetze aus der kommunistischen Zeit gibt. Sie selbst waren ja während des Kommunismus auch viele Jahre als Emigrant im Ausland, in Deutschland, sind aber nach 1989 wieder nach Tschechien gekommen. Können Sie die Kritik der Mašín-Brüder nachvollziehen?

„Ja, kann ich. Die Lage und die Zeit waren ganz anders. Man kann 1953 kaum mit 1978 vergleichen, als ich gegangen bin. Die Brüder Mašín haben damals wirklich gesehen, wie alles zugrunde geht. Sie wissen, dass 200.000 unschuldige Menschen im Gefängnis saßen, dass 4500 Menschen im Gefängnis umgekommen sind. Sie wissen, dass fast 200.000 Menschen emigriert sind, dass 374 Menschen an den Grenzen erschossen wurden und dass insgesamt 254 Menschen zum Tode verurteilt wurden. Und das alles hat die Kommunistische Partei gemacht, und die gibt es bis heute. Deshalb ist die Animosität der Mašin-Brüder so groß. Und das kann ich verstehen.“

Was bräuchte es denn Ihrer Meinung nach, damit die Debatte in eine sachlichere Bahn mit weniger Emotionen gelenkt wird?

Karel Hvížďala
„Ich glaube, diese Sachlichkeit sollte in der Familie beginnen und in der Schule. Und das ist bislang nicht passiert. Das braucht vielleicht auch noch ein paar Jahre. Denn sehr viele Leute, die heute noch leben, sind mitschuldig. Und deshalb sind sie dagegen.“

Eine Frage der Zeit also?

„Vielleicht.“