Die Geschichte des deutschen Fußballs in Böhmen und Mähren
Seine große Leidenschaft, sich mit der Geschichte des tschechischen Fußballs auseinanderzusetzen, brachte den Fußballexperten Lubomir Kral auf die Idee, noch detaillierter in der Geschichte des Fußballs nachzuforschen, der einst in Böhmen und Mähren bzw. der späteren Tschechoslowakei von den hier lebenden Deutschen organisiert und gespielt wurde. Als Ergebnis seiner mehrjährigen Mühe entstand das Buch "Die Geschichte des deutschen Fußballs in Böhmen", das unlängst im tschechischen Buchhandel erschienen ist. Dana Martinova stellt Ihnen den Autor und sein Werk im heutigen "Kapitel aus der tschechischen Geschichte" vor.
Lubomir Kral stammt aus dem bereits nicht mehr existierenden Ort Strimitz bei Most / Brüx, also aus dem ehemaligen Sudetenland, in dem deutsche Einwohner noch in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts die Mehrheit der Staatsbürger der damaligen Tschechoslowakei gebildet haben. Wie es sich für einen "richtigen Jungen" gehörte, war auch er sehr Fußball begeistert. Mit seinem Vater fuhr er oft nach Teplice / Teplitz, um sich die Spiele des Teplitzer FK anzusehen. Diese Fußballerlebnisse haben sich tief in sein Gedächtnis geprägt. Bei seiner Mitarbeit an der Herausgabe einer Enzyklopädie über den tschechischen Fußball haben diese Erinnerungen ihn dann wieder eingeholt.
"Vor etwa zehn Jahren habe ich mich mit dem Studium der Geschichte des Fußballs in der ehemaligen Tschechoslowakei beschäftigt. Im Jahr 1997 ist darüber ein Buch erschienen. Bei dieser Arbeit bin ich in den Geschichtsquellen nicht nur auf die Namen einer ganzen Reihe von deutschen Fußballclubs gestoßen, sondern mir ist auch bewusst geworden, dass die Geschichte des deutschen Fußballs in Böhmen und Mähren überhaupt nicht aufgearbeitet wurde. Sie war vielmehr ein noch weißer Fleck auf der Landkarte des Fußballs der Tschechoslowakei. Weder hierzulande noch in Deutschland existierten darüber ein Buch oder andere Abhandlungen. Weil mich das Thema sehr zu interessieren begann, habe ich mich entschieden, darüber ein Buch zu verfassen, es herauszubringen und es dann auch zu präsentieren."
Sofern wir die Geschichte und die Entwicklung der Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen auf dem Fußballfeld in den Ländern der böhmischen Krone und später in der Tschechoslowakei kennen lernen wollen, müssen wir tief in die Historie der beiden Nationalitäten und ihre wechselseitigen Beziehungen zurückblicken.
"Die Geschichte über die Entstehung des Fußballs im unseren Staat ist sehr kompliziert. Denn neben den Tschechen haben hier auch andere Völkerschaften Fußball gespielt wie die Polen, die Ungaren, die Juden und selbstverständlich auch die Deutschen. Die Anfänge des Fußballs gehen bis auf die Zeit um 1887 bis 1888 zurück. Auf diese beiden Jahre bin ich immer wieder in der für mich zugänglichen Literatur gestoßen. Beim Studium in den Archiven der Hauptstadt Prag sowie im zentralen Staatsarchiv habe ich Dokumente gefunden, die belegen, dass es die Deutschen waren, die in Böhmen damit begonnen haben, Fußball zu spielen. Es war in Prag, und es waren deutsche Studenten, die als Erste diesen Sport betrieben. Ähnlich wie die Tschechen waren sie damals in verschiedenen Sportvereinen und in Literaturzirkeln organisiert. Ein Vorläufer des Fußballspiels war zum Beispiel der Literaturzirkel ´Lesehalle in Prag´."
Der Fußball kam von England nach Böhmen, wo ihn englische Studenten und Angestellte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fleißig propagiert haben. Nach und nach wurde er auch hier populär, zunächst unter der deutschen Bevölkerung, die außer in Prag vor allem rund um Ostrava / Ostrau, in Brno / Brünn, Jihlava / Iglau und in Znojmo / Znaim lebte. Mit Gründung der Tschechoslowakei sollte er dann auch die gesellschaftlichen Verhältnisse in der jungen Republik in etwa widerspiegeln.
"Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gab es das sofortige Bestreben, den Betrieb des Fußballspiels wieder aufzunehmen, sowohl in der tschechischen Bewohnerschaft als auch unter der deutschen Minorität. Schon im Herbst 1918 nahm der ehemalige Deutsche Fußballverband wieder Schritt für Schritt seine Arbeit auf. Angesichts der Nachkriegssorgen und des bevorstehenden Winters aber wurde die neue Fußballsaison erst im Jahr 1919 gestartet. Um die Organisierung des Fußballgeschehens in der Tschechoslowakei zu verbessern, wurde im Jahr 1922 die Tschechoslowakische Fußball-Assoziation gegründet, der neben dem tschechischen und deutschen Verband auch die Fußballverbände der ungarischen, polnischen und jüdischen Minderheit beigetreten sind."
In den 1920er Jahren erlebte der Fußball in Böhmen einen großen Boom und die deutschen Fußballsklubs schossen wie Pilze aus dem Boden. Dieser Trend setzte sich auch in den 30er Jahren fort. Daher stieg logischerweise auch die Anzahl der Liga- und Freundschaftsspiele. Internationale Vergleiche wurden zuerst mit den Klubs aus den Nachbarländern Deutschland und Österreich vereinbart. Aber schon bald wurden auch Kontakte zu weiteren Klubs in fast ganz Europa geknüpft.
"Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gehört zu den bedeutendsten Meilensteinen in der Geschichte des Fußballs der Tschechoslowakei. Im Jahr 1922 zum Beispiel unternahm der berühmte Klub Teplitzer FK eine Südamerika-Tournee, bei der er nicht nur den tschechoslowakischen Fußball, sondern den Fußball in ganz Europa hervorragend präsentiert hat. Als weitere Glanzlichter aus dieser Zeit sind das Spiel des Teplitzer FK gegen Juventus Turin im Mitropa Cup oder die Vergleiche des DFC Prag mit mehreren Spitzenmannschaften aus Österreich, Spanien, Belgien und Deutschland zu nennen. Anhand einer Quelle habe ich herausgefunden, dass die deutschen Fußballer im Rahmen der Tschechoslowakischen Fußball-Assoziation fast ein Drittel der Mitglieder ausgemacht haben. Den 120.000 tschechischen Mitgliedern standen immerhin 45.000 deutsche Mitglieder gegenüber. Eine ganze Reihe von ihnen hat als Nationalspieler nicht nur den deutschen Fußball, sondern auch die Tschechoslowakei oder vor dem Ersten Weltkrieg Österreich-Ungarn repräsentiert. Auch aus diesem Grund habe ich das Buch geschrieben, da ich nicht will, dass diese Fußballer in Vergessenheit geraten."
So durchgemischt, wie die damalige Population in der Tschechoslowakischen Republik gewesen ist, so vermischt waren auch die Strukturen in den Fußballteams. In den deutschen Klubs spielten auch Tschechen und sogar Juden, und umgekehrt genauso. Das schlug sich sehr positiv auf das Leben in den Fußballvereinen nieder. Aber als sich die politische Situation in Europa bedrohlich zugespitzt hatte, wurde dieser Entwicklung leider ein Ende bereitet."Während des Zweiten Weltkrieges wurde auch der Fußball im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren reorganisiert. Alle deutschen Klubs wurden dem Deutschen Fußball-Bund unterstellt. Im Protektorat entstanden parallel zu den politischen Gauen auch die Sportgaue, und zwar der Gau Sudeten und der Gau Böhmen und Mähren. In den von starken Militäreinheiten besetzten Städten Böhmens und Mährens wurden viele Militärvereine gebildet, wie der MSV oder die Fußballclubs der Luftwaffe und der Deutschen Militäreisenbahn. Sie haben auch an den so genannten Gaumeisterschaften teilgenommen. Als die Front im Herbst 1944 jedoch immer näher rückte, wurde der Fußballbetrieb nach und nach eingestellt, weil die Menschen jetzt ganz andere Sorgen hatten. Die deutschen Fußballclubs zerfielen und im April / Mai 1945 ist der deutsche Fußball in Tschechien völlig verstummt."
Gleich mehrere deutsche Fußballer, die Staatsbürger der Tschechoslowakei waren, haben wiederholt das Nationaltrikot des Landes übergestreift und sowohl bei Weltmeisterschaften als auch Olympischen Spielen teilgenommen.
"Gewiss haben sich die Namen einer Reihe deutscher Fußballer sehr nachhaltig in den Annalen verewigt, indem sie die Tschechoslowakei international repräsentiert haben. Namentlich waren das vor allem der Torwart des DFC Prag, Karl Kannhäuser, Josef Kuchynka oder Dr. Samuel Schillinger. Ein echter Star war Pavel Mahrer, der sieben Länderspiele bestritten hat. Ein weiterer außergewöhnlicher Spieler war der Torwart des Teplitzer FK, Ehrenfried Patzel, der 1934 bei der Weltmeisterschaft in Italien der Ersatztorwart hinter Frantisek Planicka war. Fußballkennern sagen aber auch solche Namen wie Jaroslav Spindler, Karl Steffl, Josef Thaut und Rudolf Zosel ganz bestimmt etwas. Aus der Zeit vor dem Jahr 1914 muss man außerdem die da noch für Österreich spielenden Robert Cimbera, Friedrich Feller, Dr. Paul Fischl und Ladislaus Kurpiel erwähnen. Sie haben sich besonders bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm und bei einer Reihe von Länderspielen hervorgetan."
Lubomir Kral, dem Autor des Buches ist es gelungen, ein fast schon vergessenes Thema wieder zu beleben. Es ist jedoch ein sehr spezielles Thema, so dass es in Tschechien eher nur am Rande notiert wurde. Davon zeugt auch die Tatsache, dass das Buch nur mit Hilfe einer beträchtlichen finanziellen Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds in Prag herausgegeben wurde.