Die Terroranschläge von New York und Washington und die Weltwirtschaft

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Ruedi Hermann. Es ist schwer, im Angesicht einer derartigen Tragödie über Geld zu sprechen - dies war eine oft gehörte Äusserung von Finanzfachleuten, wenn sie in den letzten Tagen zu den ökonomischen Auswirkungen der Terroranschläge gegen das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington befragt wurden. Dieser Äusserung wollen wir uns hier voll und ganz anschliessen und sie im Hinterkopf behalten, wenn in den folgenden Minuten etwas beleuchtet werden soll, was wirtschaftliche Konsequenzen der Terroranschläge für Tschechien und die internationale Kommunität sein könnten. Denn als Angriff auf die Wirtschaft sind die Terroranschläge auch zu interpretieren, gerade weil das World Trade Center und damit der New Yorker Finanzdistrikt als Symbol amerikanischer und westlicher Wirtschaftsmacht betroffen waren. Und ein Angriff auf die Wirtschaft waren sie auch in dem Sinne, dass unter den wahrscheinlich rund 5000 Todesopfern viele Finanz- und Wirtschaftsfachleute waren.

Nach der längsten erzwungenen Pause seit dem Ersten Weltkrieg eröffnete die New Yorker Börse am Montag den Handel wieder. Dieser Schritt wurde mit grosser Spannung erwartet, dnen von der Entwicklung versprach man sich Fingerzeige darauf, wie sich die internationalen Märkte, die traditionell dem amerikanischen Muster folgen, entwickeln könnten. Der Dow-Jones-Index der New Yorker Wertpapierbörse schloss am Montag bei knapp über 8900 Punkten, einen Rekordwert von mehr als 680 Punkten oder 7% tiefer als bei der Eröffnung. Ein Finanzanalytiker bezeichnete gegenüber der Fernsehstation BBC World dieses Ergebnis als zwar natürlich nicht gut, gemessen an den Umständen aber auch nicht als schlecht, und dass erst die weitere Entwicklung mehr Aufschlüsse geben würde, wohin die Tendenz tatsächlich geht. Dass die amerikanische Wirtschaft, die schon vor den Terroranschlägen auf Messers Schneide zu einer Rezession stand, jetzt tatsächlich in eine Rezession rutschen würde, scheint aber vielerorts als unvermeidlich erachtet zu werden. Davon wäre dann indirekt auch die tschechische Wirtschaft betroffen. Deren wichtigste Exportmärkte befinden sich zwar in der Europäischen Union, doch auch die Wirtschaft der Eurozone reagiert jeweils auf die Entwicklung in Amerika. Die Börsen von London, Frankfurt und Paris verzeichneten allerdings am Montag ein leichtes Ansteigen ihrer Indizes zwischen 2 und 4%, Tokio und Sydney oder auch der international wenig bedeutende Index von Prag mussten dagegen auch Rückgänge von plus minus 5% hinnehmen. Für Prag bezeichete der Analytiker Jan Langmajer gegenüber der Zeitung Mlada Fronta dnes ein Nachgeben der amerikanischen Aktien in der Gegend von 5% als tendenziell positiv, während ein Wertverlust von 10% und mehr auch den tschechischen Markt mit sich ziehen könnte.

Der tschechische Vertreter beim Internationalen Währungsfonds, Jiri Jonas, bezeichnete es tschechischen Medien gegenüber als Vorteil, dass das hiesige Wirtschaftswachstum, das nach jüngst veröffentlichten Angaben des Tschechischen Statistischen Amtes im zweiten Quartal 2001 3.9% erreichte, gegenwärtig in bedeutendem Masse von der Inlandnachfrage und den Investitionen gezogen werde und damit auf negative äussere Einwirkungen - also verlangsamten Export als Folge einer Konjunkturabflachung der Weltwirtschaft - weniger anfällig sei. Das heisse allerdings nicht, dass äussere Probleme an Tschechien einfach vorübergehen würden, denn die tschechische Wirtschaft sei in bedeutendem Masse exportorientiert. Die direkten Auswirkungen der Terroranschläge in den USA schätzte Jonas in der Grössenordnung einiger Monate ein und unterstrich, dass es sich vor allem um eine Tragödie für die Menschen und nicht für die Wirtschaft handle.

Die Vorsitzende des Tschechischen Statistischen Amtes, Marie Bohata, bezeichnete es vergangene Woche bei der Präsentation der Eckdaten für das zweite Quartal als sehr schwierig, jetzt Prognosen für die Zukunft abzugeben. Unter normalen Verhältnissen wäre sie, so sagte sie, von der Voraussetzung ausgegangen, dass die tschechische Wirtschaft der Konjunkturabflachung in Europa noch im dritten Quartal dieses Jahres widerstehen können würde, doch jetzt lasse sich nichts mehr voraussagen. Auch die Nationalbank sieht sich mit einer Strategieentscheidung konfrontiert, ob nämlich, um die unerwünscht hohe Inflation zu bremsen, eine Zinserhöhung ins Auge gefasst werden soll, oder ob die Geldpolitik in Antizipation einer Wachstumsverlangsamung der Weltwirtschaft locker bleiben sollte. Ludek Niedermayer, einer der Vizegouverneure der Zentralbank, erklärte gegenüber der tschechischen Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny, diese Entscheidung sei jetzt noch schwerer als zuvor, weil es für beide Varianten immer stärkere Gründe gebe. Im Einklang mit anderen Kommentatoren meinte auch Niedermayer, dass die Terroranschläge in den USA auf gesellschaftlicher und politischer Ebene stärkere Auswirkungen haben werden als auf der wirtschaftlichen.

Zu den Branchen, die von den Terroranschlägen am meisten betroffen sein werden, zählt neben dem Versicherungs- und Rückvesicherungsgeschäft die Luftfahrt. Hier ist es wiederum weniger der direkte Einnahmenausfall, den die amerikanischen Fluggesellschaften zu verzeichnen hatten, weil während mehreren Tagen der Luftraum der USA für den internationalen und inländischen Verkehr völlig geschlossen war. Bei den grösseren US-Fluggesellschaften wurden diese Ausfälle von Experten auf 100 bis 250 Millionen Dollar täglich beziffert, gesamthaft für die erste Woche nach den Anschlägen auf etwa 2.5 Milliarden Dollar. Gravierender werden allerdings die längerfristigen Folgen sein. Es wird mit einer deutlichen Abnahme des Passagieraufkommens zumindest für einige Zeit gerechnet; zudem müssen erhebliche Beträge in die Sicherheit bei der Abfertigung investiert werden, und längere Sicherheits-Checks werden auch das Tempo der Abfertigung verlangsamen und die Fluggesellschaften damit zu längeren Standzeiten ihrer Flugzeuge zwingen. Dies wird sich vor allem für den Inlandverkehr auswirken, in dem die Reisenden bisher eine sehr schnelle und unbürokratische Abfertigung gewohnt waren. Dies alles bedeutet für die Fluggesellschaften eine Reduktion der Rentabilität sowie Mehrkosten, die insgesamt auf rund 10 Milliarden Dollar veranschlagt werden. Grosse US-Gesellschaften wie American Airlines, United Airlines und Northwest kündigten bereits Kapazitätsreduktionen in der Grössenordnung von etwa 20 % an, verbunden mit Entlassungen von tausenden von Arbeitskräften. Um Konkurse grosser Unternehmen vermeiden zu können, wird nach Ansicht von Analytikern staatliche Hilfe nötig sein, die die Administration von Präsident Bush wohl auch gewähren wird.

Welche Auswirkungen all dies auf kleinere Fluggesellschaften wie etwa die tschechische nationale Airline CSA haben wird, bleibt abzuwarten. In den USA fürchten regionale Fluggesellschaften, bei einer markanten Rezession in der Branche als erste unter die Räder zu kommen. Für viele europäische Fluggesellschaften ist das Transatlantikgeschäft ein wesentlicher Baustein in ihrem Angebot; die tschechische CSA oder die polnische LOT beispielsweise führen Langstreckenflüge praktisch nur nach nordamerikanischen Destinationen durch. Gerade diese Strecke ist jetzt aber besonders betroffen, denn nach den Terroranschlägen und auch bei einer Rezession dürfte die Reiselust der Amerikaner einen deutlichen Rückgang erfahren. Die CSA, die in die SkyTeam-Allianz unter der Führung der amerikanischen Delta Airlines und der Air France eingebunden ist, dürfte dies in ihrer Rolle als Osteuropa-Feinverteiler für die Allianzpartner zu spüren bekommen.

Autor: Rudi Hermann
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