„9/11 hat alles verändert“ – Architekt Boudník hat den Angriff auf die Twin Towers erlebt

11. September in New York

Fast jeder von uns weiß, was er am 11. September 2001 gemacht hat. Denn der Terror-Angriff auf die Türme des World Trade Centers in New York hat nicht nur die USA, sondern die ganze westliche Welt ins Mark getroffen. Der tschechische Architekt Jiří Boudník lebte damals in New York. Er gehörte zu den ersten, die nach der Attacke vor Ort waren, und half in der Folge ein halbes Jahr bei den Aufräumarbeiten. Für die englischsprachige Redaktion von Radio Prag International hat er nun ein Interview gegeben. Wir haben die interessantesten Passagen zusammengefasst.

Jiří Boudník | Foto: Ian Willoughby,  Radio Prague International

Jiří Boudník war an diesem Dienstagmorgen (Ortszeit) bei einem Arbeitsmeeting im New Yorker Stadtteil Brooklyn.

„Da klingelte mein Telefon. Ich nahm ab, und meine Freundin Anne sagte: ‚Jiří, etwas Schreckliches ist passiert – ein Mann ist in die Twin Towers geflogen. Er hatte wohl einen Herzinfarkt. Es muss eine Cessna gewesen sein, ein kleines Flugzeug‘.“

Doch dann begannen bei allen Teilnehmern der Besprechung die Pager zu vibrieren.

11. September in New York | Foto: Jiří Boudník

„Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, der Superintendant des Gebäudes stürmte herein und begann zu schreien. Ich hatte ihn nie zuvor in solch einem Zustand erlebt, denn er war ein sehr gelassener Typ. Seine Augen waren weit aufgerissen und er sagte, er habe ein zweites Flugzeug in die Türme fliegen sehen“, so Boudník.

Das Gebäude wurde nun evakuiert, weil es zu einer staatlichen Institution gehörte…

Jiří Boudník | Foto: Archiv von Jiří Boudník

„Als wir draußen auf Camden Plaza waren, sahen wir die Twin Towers – sie waren etwa eine Meile entfernt. Und sie brannten beide.“

Dann kamen die Nachrichten vom Absturz eines weiteren Flugzeugs in Pennsylvania und vom Angriff auf das Pentagon.

„Ich hatte eine Bekannte, die zu dem Zeitpunkt im World Trade Center arbeitete. Sie rief mich an und sagte, dass es dort dunkel sei, überall Rauch, und alle evakuiert werden sollen. 100 Stockwerke runter“, sagt der Tscheche.

11. September in New York | Foto: Jiří Boudník

Beide verabredeten sich zu einem Treffen außerhalb des Centers. Doch dazu kam es nicht mehr. Jiří Boudník ahnte als Architekt bereits, dass zumindest ein Teil des Gebäudes einzustürzen drohte. Er machte sich auf den Weg mit der Vorstellung, die Feuerwehrleute und Polizisten unterhalb der Türme zu warnen. Noch auf dem Weg stürzten der Süd- und der Nordturm ein – und alles wurde in eine riesige Rauchwolke gehüllt. Weil nichts mehr zu erkennen war, kehrte Boudník um. Erst am nächsten Tag organisierte er zusammen mit anderen eine Hilfsbrigade. Vor Ort standen sie bis zu den Knien in einer braunen Brühe, weil die Feuerwehr die ganze Nacht über brennenden Schutt gelöscht hatte.

Boudník wurde aber schnell klar, dass der Einsatz nicht sinnvoll war. Die Feuerwehr konnte sich nicht orientieren und ihnen keine genauen Anweisungen geben. Als Architekt fahndete der Tscheche daher nach Plänen der eingestürzten Gebäude. Er fand sie bei der Hafenpolizei und überzeugte diese, sie ihm auszuhändigen:

11. September in New York | Foto: Jiří Boudník

„Ich machte sieben Kopien dieser Pläne – meine größten Sorgen galten dabei den Plänen des Souterrain-Bereichs, denn die Türme hatten sieben Stockwerke unter der Erde. Die Pläne verteilte ich an unterschiedliche Organisationen wie den FBI, das Fire Department of New York und die CIA, die gerade einen neuen Kommandoposten zusammenstellte.“

Auf diese Weise wurde Jiří Boudník zu einem wichtigen Mitarbeiter bei den Aufräumarbeiten. Um der Feuerwehr weiter zu helfen, bastelte er ein 1:16-Modell der früheren Straßenzüge um das World Trade Center. Letztlich half der Architekt sechs Monate lang auf freiwilliger Basis – bis er nicht mehr konnte. Boudník litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Deswegen begann er 2003, seine Erlebnisse niederzuschreiben. Es habe viele Jahre gedauert, daraus ein Buch zu machen, aber es habe eine reinigende Wirkung gehabt, sagt er. Doch 9/11 ist für immer in seiner Seele eingebrannt:

11. September in New York | Foto: Jiří Boudník

„Es hat einfach alles verändert. Bis zu diesem Tag sehe ich mein Leben als einen Spaziergang durch einen Garten, obwohl ich im Frühling 1989 als politischer Flüchtling aus der Tschechoslowakei in die USA gekommen war, nachdem ich zwei Jahre lang in einem Flüchtlingscamp verbracht hatte. Aber nichts lässt sich mit dem Trauma durch den Terrorangriff vergleichen. Ich habe in den Tagen danach zum Beispiel verweste Körper gesehen – all das musste ich mir vom Leib schreiben.“


Jiří Boudníks Erinnerungen an 9/11 sind 2011 auf Tschechisch erschienen. Da sie aber auf einem englischsprachigen Manuskript beruhen, gibt es sie seit diesem Jahr auch auf Englisch.

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