Die Uhr tickt. - Tschechien kurz vor dem EU-Referendum

Metronom, photo: CTK

Am 13. und 14. Juni findet in Tschechien das Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union statt. Der Schuman-Tag am 9. Mai und das spannende Referendum bei den slowakischen Nachbarn vor zwei Wochen waren letzte atmosphärische Vorboten. Gerald Schubert berichtet im folgenden Schauplatz über die letzten Meter Tschechiens auf dem Weg zur Volksabstimmung.

Metronom,  photo: CTK
Das große, rote Metronom, das im Prager Letna-Park hoch über der Moldau den Takt der Zeit schlägt, ist so ziemlich allen Pragern und wohl auch den meisten Touristen gut bekannt. Weithin ist es über Prag sichtbar, und viele lockt es auch zu sich hinauf, auf die große steinerne Terrasse am Rande der hochgelegenen Parkanlage, von der man wiederum umgekehrt einen wunderbaren Blick hinab auf Prag hat. Viele mögen sich schon gefragt haben, wofür dieses Metronom denn nun eigentlich steht. Dabei ist die Antwort denkbar einfach: Es pendelt, um auf den Gang der Geschichte zu verweisen, und damit auf die simple und doch so oft übersehene Tatsache, dass alle Macht und alle Dinge endlich sind.

Damit steht das Metronom im Letna-Park in krassem Gegensatz zu den weitaus üblicheren steinernen Ikonen von lebenden Machthabern bzw. historischen Identifikationsfiguren, die doch auf der ganzen Welt eher so etwas wie ideologische oder nationalstaatliche Ewigkeit suggerieren wollen. So gesehen ist auch der Standort des überdimensionalen Pendels nicht zufällig gewählt. Denn an seiner Stelle stand einst eine riesige Stalin-Statue und wachte über die Gesinnungstreue der Genossen am Moldauufer.

Manchmal hat das Metronom übrigens auch unfreiwilligen Symbolgehalt. Etwa dann, wenn es stehen bleibt, weil es wieder einmal einen technischen Defekt hat und kein Geld für die Reparatur da ist. Am 14. Juni dieses Jahres aber, da wird es mit Absicht stehen bleiben. Ob links oder rechts, das ist jedoch einstweilen noch die Frage. Zu beiden Seiten des Metronoms nämlich stehen seit Mitte Mai zwei riesige Tafeln, ebenfalls weithin über die tschechische Hauptstadt sichtbar. Auf einer steht "Ano", also ja, auf der anderen "Ne", also nein. Und bald nachdem am 14. Juni um 14 Uhr die Wahllokale des ersten Referendums in der tschechischen Geschichte schließen, wird das Pendel auf einer der beiden Seiten stehen bleiben und anzeigen, ob sich die Tschechen für oder gegen den Beitritt zur Europäischen Union entschieden haben.


Auf dem Weg zum Referendum gab es in den letzten Wochen zwei Ereignisse, die hierzulande dem Thema Europa vermehrt Gehör verschafften und vor allem im Sinne der EU-Befürworter nochmals etwas frischen Wind in die Beitrittsdebatte brachten. Es waren dies der am 9. Mai begangene Schuman-Tag, sowie das vor zwei Wochen im Nachbarland Slowakei über die Bühne gegangene EU-Referendum.

Zur historischen Bedeutung des Schuman-Tages und auch über die Form der Feierlichkeiten in Prag meinte der EU-Botschafter in Tschechien, Ramiro Cibrian, am 9. Mai:

"Wir feiern hier tatsächlich den ursprünglichen Gedanken an die Schaffung eines vereinten Europa. Am 9. Mai 1950 schlug der damalige französische Außenminister Robert Schuman vor, eine Organisation zu gründen, die über die Kohle- und Stahlindustrie der europäischen Staaten wachen sollte. Gerade diese Schuman-Deklaration wurde Anlass und Impuls zur Zusammenarbeit von europäischen Ländern, die noch fünf Jahre zuvor gegeneinander Krieg geführt hatten. Dieser heutige Tag symbolisiert die Tatsache, dass jedes Land, das sich auf demokratischem Weg dazu entschlossen hat, der Europäischen Union beizutreten, sich mit deren grundsätzlichen Werten, nämlich, Frieden, Zusammenarbeit und Sicherheit, identifiziert. Die Europäische Delegation lädt daher gemeinsam mit den Botschaften der 25 gegenwärtigen und künftigen Mitgliedsländer die tschechischen Bürger zur Feier des Europa-Tages ein, zu Kultur- und Quizveranstaltungen, Spielen für Kinder und Verkostungen von Speisen. Und nicht zuletzt auch dazu, sich über all diese Länder informieren zu lassen."

Soweit EU-Botschafter Ramiro Cibrian. Alle 25 von ihm erwähnten Staaten waren denn auch auf der Straße Na prikope, einer Fußgängerzone in der Prager Innenstadt mit Ständen vertreten. Radio Prag hat sich dort umgesehen und am österreichischen Stand mit Gregor Schusterschitz, dem Presseattache der österreichischen Botschaft in Prag, gesprochen, und ihn danach gefragt, worin er die Aufgabe des Standes und der Präsentation Österreichs bei dieser Veranstaltung in der Prager Innenstadt sieht. Schusterschitz:

"Die Hauptaufgabe ist eigentlich die gleiche wie bei vielen anderen Ständen: Wir wollen Europa sinnlich erfahrbar machen und die große Vielfalt zeigen, die in Europa herrscht. Und dass diese große Vielfalt auch in der Europäischen Union erhalten werden kann. Es gibt genug Ängste in der tschechischen Gesellschaft, dass die EU eine Einheitsmacherei wäre usw. Und deshalb geht es uns eben darum, hier die Vielfalt zu zeigen."

Die von Gregor Schusterschitz angesprochene Furcht vor Identitätsverlust in einem Brüsseler Einerlei ist freilich nur eines von mehreren Argumenten, mit denen die tschechischen EU-Skeptiker immer wieder punkten wollen. Auch andere, eher im ökonomischen Bereich wurzelnde Ängste, wie etwa die vor weiteren Preisanstiegen, spielen eine Rolle. Aber dennoch: Die Meinungsumfragen zum EU-Referendum zeigen seit vielen Wochen stabile Werte. Diese schwanken gerade mal im Bereich zwischen 75 und 80 Prozent Ja-Stimmen, und um die 65 Prozent Wahlbeteiligung. Dass manche Kommentatoren dann, sei es aus mathematischem Interesse, sei es aus politischem Kalkül, vorrechnen, welche Zustimmung das umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung bedeutet, das ist sowohl für den Ausgang des Referendums als auch für dessen inhaltliche Bewertung weitgehend irrelevant. Zumal hier wie gesagt oft um- und keineswegs hochgerechnet wird, wie dies einer seriösen Miteinbeziehung auch der Nichtwähler entsprechen würde. Doch auch bei all den Umfragewerten, die klar für die EU zu sprechen scheinen: Sicher ist freilich auch hierzulande noch nichts.


Jenes Land, das mit Tschechien sowohl in historischer als auch in geopolitischer Hinsicht am engsten verbunden ist, die Slowakei nämlich, hat bereits abgestimmt. Vor zwei Wochen entschieden sich die Slowaken mit einem mehr als eindeutigen Votum für den Beitritt zur Europäischen Union. Rund 92 Prozent machten ihr Kreuz bei "Ja". Eine Zitterpartie war das Wahlwochenende aber allemal. Denn die slowakische Verfassung sieht vor, dass ein Referendum nur dann Gültigkeit hat, wenn sich mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten an ihm beteiligen. Die Beteiligung von letztlich 52 Prozent lag da nur knapp über dieser Latte, und bis kurz vor Schließung der Wahllokale hatte man nicht so recht gewusst, ob die Basis der sich abzeichnenden klaren Zustimmung auch groß genug sein würde.

In Tschechien gibt es eine derartige Verfassungsregelung nicht. Das Referendum wird in jedem Fall gültig sein. Somit gibt es also auf den ersten Blick auch bessere Voraussetzungen für ein im Sinne des EU-Beitritts positives Ergebnis. Doch lauern hierzulande andere Hürden. Die Kommunisten zum Beispiel haben sich im Gegensatz zu ihren slowakischen Parteifreunden gegen eine Zustimmung zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Und gerade die kommunistischen Wähler gelten in Tschechien als die diszipliniertsten: Sie gehen zur Wahl, und sie folgen der offiziellen Parteilinie. Demnach rufen auch alle, die sich für einen EU-Beitritt Tschechiens einsetzten, also die Regierung wie auch private Bürgerinitiativen, immer wieder dazu auf, zur Abstimmung zu gehen und die Entscheidung über die Zukunft des Landes nicht anderen zu überlassen.

Cyril Svoboda
Der tschechische Außenminister Cyril Svoboda jedenfalls gratulierte den Slowaken zu ihrer Entscheidung und fügte hinzu:

"Die Slowaken haben eindeutig ja gesagt. Sie können eigentlich bereits sagen: Wir sind in der Europäischen Union. Ich hoffe, dass auch wir diese Gelegenheit nutzen, um zu sagen: Ja, wir ebenfalls, wir sind wieder mit den Slowaken in einem gemeinsamen Raum. Dort, wo wir gemeinsam mit ihnen hingehören, und so, dass auch zwischen unseren beiden Ländern die Grenze wieder verschwindet."

Ähnlich optimistisch auf das slowakische Abstimmungsergebnis reagierte der tschechische Premierminister Vladimir Spidla. Spidlas Haltung zur EU ist klar. Er ist ein unbedingter Befürworter nicht nur des Beitritts seines Landes, sondern - im Gegensatz zu Staatspräsident Vaclav Klaus - auch einer weiteren Vertiefung der europäischen Integration:

"Die Grundkonzeption des Europäischen Projekts besteht in einem einzigen Wort, und dieses lautet 'Versöhnung'. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen die Europäischen Völker, dass sich so etwas niemals mehr wiederholen darf, und sie fanden einen Weg, der sie zu diesem Ziel führte. Dieser Weg bestand - im Unterschied zur traditionellen Politik, die in verschiedenen Schattierungen tausend Jahre lang gemacht wurde und deren Ergebnis Tausende Konflikte und Millionen von Toten waren - nicht mehr im Gleichgewicht der Kräfte, wo einer gegen der anderen rüstet, sondern in der Integration der Kräfte auf der Grundlage von Demokratie, Freiheit und Solidarität."

Ob dieser von Premierminister Vladimir Spidla entschlossen vertretene Euro-Optimismus sich in Tschechien gegen die vielen skeptischen Töne und die bisweilen heraufbeschworenen Ängste durchsetzen wird, das ist eine Frage, die nicht kurzfristig und nicht nur in Tschechien entschieden wird. Ob das Metronom im Prager Letna-Park aber bei "Ano" oder "Ne", also bei "Ja" oder "Nein" stehen bleiben wird, das zumindest werden wir schon am 14. Juni wissen.