„Die Versöhnung muss von den Menschen kommen“ – Bernd Posselt zur Deutsch-Tschechischen Erklärung
Der Populismus in Europa wächst, die Briten wollen aus der EU austreten, und niemand scheint sich mehr zu vertrauen auf dem Kontinent. Mit der schwierigen Lage in Europa steht genauso das tschechisch-deutsche Verhältnis auf dem Prüfstand. Es drohen nämlich auch wieder alte Wunden aufzureißen zwischen den Nachbarn. Und das, obwohl Anfang kommenden Jahres die Deutsch-Tschechische Erklärung ihren 20. Geburtstag feiert, sie sollte diese Gräben eigentlich zuschütten. Doch ist alles wirklich so schlimm zwischen Berlin und Prag? Der CSU-Politiker und Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, ist wohl einer der wenigen, die sich intensiv mit den tschechisch-deutschen Beziehungen auseinandergesetzt haben. Der Deutschland-Korrespondent des Tschechischen Rundfunks, Pavel Polák hat sich exklusiv mit ihm unterhalten über die Angst der Tschechen vor dem großen Nachbarn, die Rolle der Sudetendeutschen bei der Aussöhnung und über den Populismus in Europa.
„Nein. Das trifft nur zu, wenn man nationalstaatlich denkt, wie Herr Zahradil. Dann entscheidet nämlich der große Staat, und die kleinen müssen machen, was die großen sagen. Der Einfluss Deutschlands kommt durch die Wirtschaftskraft und die Bevölkerungszahl. Wenn man das relativieren will, muss man Deutschland also einbinden. Das war übrigens auch eine der Gründungsideen der Europäischen Union. Schon im 19. Jahrhundert haben kluge Denker gesagt: ‚Deutschland ist zu groß, um ein Land unter vielen zu sein. Es ist aber zu klein, um Europa zu beherrschen.‘ Gott sei Dank, sage ich. Es ist gerade im Interesse der kleineren Staaten, dass Deutschland föderalistisch ist und fest eingebunden in Europa. Und das ist auch im Interesse Deutschlands: Immer als das Land in der Geschichte nach Vorherrschaft gestrebt hat, wurde es kleiner und hat an Vertrauen und Substanz verloren. Seit das Land aber nicht mehr dominieren und stattdessen mit den anderen als Partner in einem Europa der Institutionen zusammenarbeiten will, ist es besser für alle Seiten.“
„Den Leuten ging es darum zu merken, dass der Wille da ist, die Wunden der Vergangenheit zu heilen.“
In Kürze feiern wir das Jubiläum der Deutsch-Tschechischen Erklärung. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft war ja nicht unbedingt froh über den Text, da man eine Entschuldigung erwartet hatte von der tschechischen Seite…
„Das stimmt. Nach 20 Jahren muss man aber keine Exegese des Textes mehr vornehmen, da auch die Beziehungen unserer beiden Länder viel besser sind. Auch ich sehe die Erklärung jetzt positiv. Falsch war damals aber, dass man diese Erklärung nur mit den Bonnern, also der Regierung, besprochen hat. Wir Sudetendeutschen als ehemalige Landsleute wurden ausgeklammert, und der Text wurde an uns vorbei verhandelt. Deshalb haben wir damals gesagt, dass uns das nichts angeht. Das deutsche Drittel müsste sich mit den tschechischen zwei Dritteln – so war ja die Konstellation vor 1945 – aussöhnen. Wir haben aber auch gesagt, dass wir in den Institutionen, die die Erklärung schafft, aktiv mitarbeiten wollen. Von Anfang an waren sowohl im Verwaltungsrat des Zukunftsfonds als auch im Beirat des Gesprächsforums Sudetendeutsche in großer Zahl vertreten.“
Was hat die Deutsch-Tschechische Erklärung Ihrer Meinung nach bewirkt, 20 Jahre nach ihrer Unterzeichnung?„Sie hat die Institutionen geschaffen, in denen man sich annähern konnte. Damals war der Fehler, von einem Schlussstrich zu sprechen. Dabei war die Annährung nicht vorbei, sondern hatte gerade erst angefangen. Wenn man sich die Reden von Petr Nečas oder Premierminister Bohuslav Sobotka im Bayerischen Landtag sowie von Kulturminister Daniel Herman auf dem Sudetendeutschen Tag anschaut: Den meisten Beifall haben sie für die Anrede ‚Liebe Landsleute!‘ bekommen. Den Leuten ging es darum zu merken, dass der Wille da ist, die Wunden der Vergangenheit zu heilen. Dieses Gefühl hatten sie bei der Erklärung nicht, die ja zwischen Staaten, Diplomaten und Beamten gemacht wurde. Der Verständigungsprozess jetzt wird aber zwischen den Menschen gemacht. Dazu haben die Institutionen der Erklärung dennoch viel geleistet.“
„Man sieht, dass da noch viel Nervosität herrscht, und das Verhältnis ist teilweise noch sehr psychotisch.“
Verschwinden jetzt auch die Unrechtsgefühle auf beiden Seiten?
„So schnell geht das nicht. Wir bei der Landsmannschaft haben die Satzung geändert und eine Grundsatzerklärung verabschiedet, in der wir uns auch sehr deutlich äußern zu unseren eigenen Fehlern und Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus. Das wird bei uns von manchen Leuten sehr attackiert. Und auch auf tschechischer Seite werden die Menschen, die die Verständigung vorantreiben, sehr angegriffen. Zum Beispiel Daniel Herman im Parlament von den Kommunisten. Wir sind also erst am Anfang dieses Weges, und man muss da mit sehr viel Sensibilität vorgehen. Man sieht, dass da noch viel Nervosität herrscht, und das Verhältnis ist teilweise noch sehr psychotisch.“
Wie bewerten Sie die Rede von Kulturminister Daniel Herman beim Sudetendeutschen Tag?„Ich würde sagen, dass es das größte historische Ereignis zwischen Tschechen und Sudetendeutschen seit Kriegsende war. Vor allem, da Daniel Herman nicht als Privatperson, sondern im Auftrag der Regierung dort war.“
Mit welchen tschechischen Politikern kann denn der Verständigungsprozess weiter vorangetrieben werden? Wen sehen Sie da als Partner?
„Diese Wunden zu heilen ist keine materielle Sache, sondern eine seelische.“
„Jeden, der nicht materialistisch denkt. Denn genau diese Leute sind auf beiden Seiten das Problem. Materialistisch heißt dabei, dass jemand keine Werte hat. Die Schuld liegt bei Tschechen und Sudetendeutschen gleichermaßen. Natürlich haben die Nazis ganz klar angefangen. Dennoch gab es auf beiden Seiten Unrecht und Verbrechen. Und diese Wunden zu heilen, die dabei entstanden sind, ist keine materielle Sache, sondern eine seelische. Ich hatte viele Diskussionen mit dem ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Klaus, der gerade das nicht verstanden hat. Er meinte, dass Versöhnung und Freundschaft keine politischen Kategorien seien. Es gäbe da nur Interessen und er war misstrauisch, was ich denn für Interessen im Hintergrund hätte. Ich glaube aber, dass das Wichtigste zwischen Menschen und Nachbarn das Vertrauen ist. Das ist wie in einer Ehe: Wenn man mit seiner Frau heftig zerstritten ist, dann wird die kleinste Kleinigkeit zur Hölle. Wenn man sich aber liebt, kann man jede Schwierigkeit meistern. So ähnlich ist es auch zwischen den Völkern.“
Sie haben die Metapher der Ehe benutzt. Ist denn die Beziehung zwischen Sudetendeutschen und Tschechen mit viele Liebe oder eher Misstrauen…„Sie ist familiär, würde ich sagen. Die Tschechen und die Sudetendeutschen waren jahrhundertelang Geschwister. Dann haben diese Geschwister einander Entsetzliches angetan – zuerst die Nationalsozialisten, dann die Vertreibung. Dann war der Kalte Krieg. Das ist deshalb so emotional, weil es ein Bruch in der Familie war. Streitigkeiten in der Familie sind immer viel emotionaler als die zwischen bloßen Nachbarn. Und wir wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben, unsere österreichischen Cousins wollten uns nicht haben. Die bundesdeutschen entfernten Verwandten waren tolerant, haben uns aber absolut nicht verstanden und tun das bis heute nicht. Und die Einzigen, die sich gekümmert haben, waren unsere bayerischen Cousins. Und jetzt haben wir die Brücke geschlagen zu unseren tschechischen Geschwistern. Es ist eine Familienangelegenheit, das macht es so kompliziert. Jemand aus Düsseldorf hat zu Tschechien ein Verhältnis wie vielleicht zu Teneriffa.“