Die Ziegelböhm, ein Filmbad und Holden Caulfield – Tschechische Kultur in Wien

Ziegelböhm

Arbeiterkultur und Arbeitergeschichte – damit startet das tschechische Zentrum Wien in die neue Saison. Eine Ausstellung widmet sich den „Ziegelböhm“. Außerdem kann sich Wien nicht über einen Mangel an Festivals beklagen: Beim Let’s CEE und beim Waves Vienna geht es explizit um Film und Musik aus Mittel- und Osteuropa. Empfehlungen und Hintergründe hat der Leiter des Tschechischen Zentrums Wien, Martin Krafl.

Herr Krafl, die erste große Ausstellung nach der Sommerpause geht es um Migration, um eine Einwanderergruppe namens ‚Ziegelböhm‘. Was hat es damit auf sich?

„Darunter versteht man die überwiegend aus Böhmen und Mähren stammende Arbeiterschaft der Ziegeleien im Wien des 19. Jahrhunderts. Sie standen in einem ganz engen Zusammenhang mit der Entwicklung des modernen Wiens, aber auch mit der sozialen Not um die Jahrhundertwende. Die Ausstellung beschäftigt sich damit, wann, woher und warum sie kamen und unter welchen Bedingungen sie ihren Lebensalltag bestritten. Damals mussten ganze Familien ans Werk. Die Männer arbeiteten als Lehmscheiber, die Frauen als Ziegelschlägerinnen und die Kinder als sogenannte Aufreiber. Der Alltag war überhaupt nicht leicht, die Wohnungen waren überfüllt. Krankheiten wie Ruhr, Cholera und Typhus waren allgegenwärtig, auch der Tod gehörte zum Leben.“

“Ohne die tschechischen Einwanderer wäre die Modernisierung der Stadt Wien um 1900 nicht möglich gewesen.“

Es ist bekannt, dass damals viele Böhmen und Mährer Zuflucht in Wien gesucht haben…

„Um 1900 stammte ein Viertel der Einwohner Wiens aus Böhmen und Mähren, man sprach von der zweitgrößten Stadt Europas. Ohne diese Tschechen wäre die Modernisierung der Stadt Wien gar nicht möglich gewesen. Wir werden diese Ausstellung in der Galerie des Tschechischen Zentrums zeigen. Anlässlich des Tages des Denkmals am Sonntag, den 27. September, ist die Galerie zwischen elf und 17 Uhr geöffnet. An diesem Tag wird auch ein Dokumentarfilm zu sehen sein, in dem Zeitzeugen zu Wort kommen. Weil wir die Ausstellung anlässlich des Tages des Denkmals zeigen, gibt es diesmal keine offizielle Vernissage. Aber die Ausstellung ist bei uns länger, nämlich schon vom 14. bis zum 28. September zu sehen.“

„Filmová lazeň“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Das Tschechische Zentrum zeigt regelmäßig aktuelle Filme aus Tschechien. Den Auftakt zur neuen Saison macht der Dokumentarfilm „Filmová lazeň“ – was ist das – ein Filmbad?

„Filmová lazeň – auf englisch Spa – wird anlässlich des 50. Jubiläums des internationalen Filmfestivals in Karlsbad gezeigt. Diese aufschlussreiche Doku schildert quasi die Entwicklung des Großevents – mit Zeitzeugeninterviews, bisher unveröffentlichtem Archivmaterial, Filmgesprächen und Blicken hinter die Kulissen. Ich würde sagen, der Film zeigt alles, wovon Filmfans heute nichts mehr wissen. Den Filmabend organisieren wir in Kooperation mit dem Kulturclub der Tschechen und Slowaken in Österreich und mit dem Internationalen Filmfestival Karlsbad.“

Anfang Oktober geht es mit dem Let’s Cee Filmfestival weiter. Was ist das für ein Festival und wie beteiligt sich das tschechische Zentrum?

“Der Film ‚Snake brothers‘ reflektiert Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit in einer unbedeutenden tschechischen Kleinstadt.“

„Let’s See bedeutet natürlich ‚Lass uns sehen‘, aber es wird CEE geschrieben. Das soll klarmachen, dass es hier um Filme aus mitteleuropäischen Ländern geht.“

Also Central Eastern Europe?

„Genau. Auf dem Programm des vierten Jahrgangs stehen vier Filme aus Tschechien. Da ist einmal „The Snake brothers“ (Kobry a užovky). Es ist ein Sozialdrama und der Favorit für den tschechischen Filmpreis „Český Lev“ 2016. Der Film reflektiert auf authentische Weise Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit in einer unbedeutenden tschechischen Kleinstadt. Der internationale Star Jan Saudek ist Protagonist des Filmes ‚Photographer‘, dargestellt wird er von Karel Roden. Regisseurin Irena Pavlásková fokussiert sich dabei auf seine Beziehung zu Frauen im künstlerischen Schaffen und im Privatleben. Andrea Culková setzt sich mit der Doku ‚Sugar blues‘ über die Gefahren des übermäßigen Zuckerkonsums für eine gesündere Welt ein. Und zuletzt beleuchtet die Regisseurin Andrea Sedláčková mit dem Film ‚Václav Havel – Living in Freedom‘ die Biographie des großen Dramatikers, Dissidenten und Präsidenten. Und ich muss hinzufügen, dass bei der Vorführung des Films ‚Photographer‘ auch der Fotokünstler Jan Saudek und die Regisseurin Irena Pavlásková anwesend sind.“

Mercedes Echerer  (Foto: Manfred Werner,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Wien und Prag sind Zentren der mitteleuropäischen Kaffeehauskultur – logisch also, dass es am Tag des Kaffees ein eigenes Programm gibt. Was haben Sie geplant?

„Diese Veranstaltung geht eigentlich von Eunic Austria aus. Das ist ein Kulturnetzwerk der europäischen Botschaften in Österreich und der Kulturinstitute. Bereits zum vierten Mal organisieren wir anlässlich des Tages des Kaffees einen literarischen Abend. Dahinter stehen zehn Kaffeehäuser, 20 Kulturinstitute und Botschaften sowie die Fachgruppe ‚Wien der Kaffeehäuser‘ und die Wirtschaftskammer von Österreich. Die vierte Ausgabe erstrahlt in neuem Glanz: Die literarischen Abende finden erstmals nicht an einem Abend statt, sondern es gibt vom 28. September bis zum 2. Oktober eine ganze Woche der Poesie. Das Tschechische Zentrum Wien bereitet zusammen mit dem Rumänischen Kulturinstitut einen Abend im berühmten Café Central vor, und zwar am 29. September. Die Schauspielerin Mercedes Echerer präsentiert Lyrik aus Rumänien, umrahmt wird der Abend von dem tschechischen Violinisten Tomáš Novák umrahmt, der in Österreich studiert."

“Waves Vienna ist ein toller Event. Der Festivalchef selbst hat viele Ideen aus Tschechien mitgebracht.“

Wir bleiben bei der Musik und kommen zum Festival Waves Vienna. Anfang Oktober versammelt sich die Clubkultur in Wien…und auch hier geht es wieder um „Zentraleuropa“.

„Ich muss sagen, Waves Vienna ist ein toller Event. Das Festival dauert immer vier Tage und hat seinen Platz entlang des Donaukanals im ersten Wiener Gemeindebezirk. Bei der Auswahl der Musiker haben wir eng mit Fachleuten aus Tschechien zusammengearbeitet, auch das Management von Waves hat viel beigetragen. Thomas Heher ist der Chef des Festivals, er war mehrmals in Tschechien und hat selbst viele Ideen mitgebracht.“

Wer macht sich auf den Weg von Tschechien nach Wien?

Band Zrní  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
„Es sind fünf Bands oder Musiker. Zrní ist eine Band – die Musiker bezeichnen ihren Stil selbst als Kohlenminen-Zen aus Kladno. Seit fast 15 Jahren machen sie gemeinsam Musik und man kann sagen, es ist eine Art zärtlicher Art Brut. Dann haben wir die Künstlerin Never Sol. Sie heißt eigentlich Sára Vondrášková, ihre Musik ist stark von der Klassik geprägt. Im Jahr 2013 gründete Frontman Albert Černý die Band Lake Malawi. Seitdem pendeln die vier Bandmitglieder zwischen dem Norden Londons und Prag hin und her. Musikalisch ist die Band von ihrer Wahlheimat London stark beeinflusst – die Musik ist von typisch englischen Indie-Sounds geprägt. Als nächstes haben wir Holden Caulfield – ein Dreigespann aus Prag, das sich von Bands wie 1975 oder Phoenix inspirieren lässt. Sie vermischen Gitarren mit Synthesizern zu eingängigen Popsongs. Und dann noch die Band Videos: Sie setzt sich zusammen aus dem Fotografen, Sänger und Songwriter Radek Brousek und dem slowakischen DJ und Bassist Fedor Kušš. Sie experimentieren gemeinsam mit Sound und Emotionen, die sie audiovisuell verarbeiten. Ich muss sagen, manche Auftritte werden auch für mich sehr spannend sein und total neu.“


Mehr zum Programm unter:

http://wien.czechcentres.cz

http://www.letsceefilmfestival.com

http://www.wavescentraleurope.com

Autor: Annette Kraus
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