Zerbrechliches Image: Kultur in der Außenpolitik Tschechiens
Die Kulturdiplomatie ist ein wichtiges Instrument der Außenpolitik. Darin waren sich Teilnehmer einer Online-Debatte einig, die am Mittwoch von den Tschechischen Zentren, der Karlsuniversität und dem Institut für internationale Beziehungen veranstaltet wurde.
Bei der Diplomatie geht es immer um die Beziehungen zu anderen Ländern. Öffentliche Diplomatie bedeutet, dass man sich aber nicht an Funktionsträger richtet wie im klassischen Fall, sondern ein positives Bild des eigenen Landes in der Öffentlichkeit anderer Staaten zeichnet. Das geht zum Beispiel über kulturelle Veranstaltungen. Doch was lässt sich mit den Mitteln der Kulturdiplomatie in den internationalen Beziehungen erreichen? Und nutzt Tschechien sein Potenzial in vollem Umfang? Unter anderem diese Fragen wurden den Diskutierenden bei der Online-Debatte gestellt. Außenminister Tomáš Petříček (Sozialdemokraten) leitete die Diskussion ein:
„Kultur und Wissenschaft spielen eine wesentliche Rolle bei der Image-Bildung der Tschechischen Republik. Die Menschen im Ausland machen sich ihr Bild von einem Land anhand dessen, welche seiner Schriftsteller sie kennen, wie gut seine Musikszene ist und ob es ein attraktives Reiseziel ist, das auch kulturelle Erlebnisse bietet.“
Soweit der Minister. Für die Präsentation der Tschechischen Republik und ihrer Kultur sorgen unter anderem die sogenannten „Tschechischen Zentren“ in 26 Städten der Welt. Jitka Pánek Jurková leitet das Zentrum in Brüssel. Sie verwies auf eine lange Tradition der tschechischen Kulturdiplomatie:
„Schon die Erste Tschechoslowakische Republik hat bei den Weltausstellungen etwa in Paris und in Chicago sehr ambitionierte und gelungene Pavillons gehabt. Die sozialistische Kulturdiplomatie erzielte bei der Expo 1958 in Brüssel einen vieldiskutierten Erfolg. Damals gelang es der Tschechoslowakei, das durch den politischen Kontext der 1950er Jahre sehr beschädigte Image des Landes zu verbessern, aber auch Kontakte mit Firmen im Westen zu knüpfen. Zugleich wurde dadurch das Selbstbewusstsein der Menschen hierzulande gestärkt. Die Tschechischen Zentren sind nach der Samtenen Revolution entstanden, ab dem Jahr 1993. Sie sind Signale dafür, dass man sich des Potentials langfristig bewusst ist.“
Chancen und Tücken der Kulturdiplomatie
Eliška Tomalová leitet das Institut für Europa-Studien an der Karlsuniversität in Prag. Sie macht auf die Chancen, aber auch die Tücken der Kulturdiplomatie aufmerksam:
„Die Kultur beteiligt sich erheblich am Image eines Staates. Die Kulturdiplomatie ist eine sehr positive Agenda, sie verleiht der Außenpolitik einen gewissen Schwung, einen Mehrwert, der über die trockenen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen hinausgeht. Zugleich leidet die Kulturdiplomatie sehr oft daran, dass man ihre Resultate nicht messen kann, dass sich ihr Weg zum eindeutigen Ergebnis kaum verfolgen lässt. Es ist schwierig, sie im politischen Umfeld und in der Gesellschaft durchzusetzen. Denn die Investitionen in die Kulturdiplomatie zahlen sich nur langfristig aus und bringen keine sofortigen politischen Erfolge.“
Die Kultur sei für die Tschechische Republik von prinzipieller Bedeutung, meint auch Petr Drulák. Der Politologe und frühere Botschafter in Paris nennt dafür ein geopolitisches Argument:
„Tschechien ist ein kleiner mitteleuropäischer Staat. Im Sicherheits- und Wirtschaftsbereich sind wir nicht ganz souverän. Wir sind abhängig von anderen Ländern. Aber in der Kultur genießen wir Freiheit. In der Kultur können wir zeigen, wer wir sind und was wir leisten können. Es liegt nur an uns. Die Kultur stärkt ein wichtiges Positivum eines kleinen Landes, und zwar seinen guten Ruf. Eben weil wir keine Kernwaffen haben, keine Armee, die imstande wäre, global zu agieren, weil wir kein wirtschaftlicher Gigant sind, sollten wir auf unseren guten Ruf setzen.“
Der gute Ruf eines Landes sei aber zerbrechlich, warnten die Diskutierenden. Petr Drulák:
„Das ist nun in der Zeit der Corona-Krise besonders sichtbar. Im Frühling galt Tschechien als Vorbild, als Land, das die Krise hervorragend gemeistert hat. Heute gilt das Gegenteil.“
National oder europäisch?
Tschechien ist seit 2004 ein Teil der Europäischen Union. Sollen die einzelnen Staaten Europas ihre nationalen Kulturen getrennt fördern und präsentieren? Oder gibt es eine gemeinsame europäische Kultur?
Petr Drulák meint dazu:
„Die Europäische Union spielt in diesem Bereich keine große Rolle und sollte sie auch nicht spielen. Die EU ist eine Gemeinschaft von Staaten, die in bestimmten Bereichen zusammenarbeiten, die einen gemeinsamen Markt und zum Großteil auch eine gemeinsame Währung haben wollen. Sogar eine gemeinsame Armee wird erwogen. Man wünscht sich aber keine gemeinsame Kultur. Die Kultur ist genau jener Bereich, in dem wir die Mannigfaltigkeit bewahren wollen. Wir wollen unsere eigenen Sprachen sprechen und nicht ein schlechtes Englisch. Alle Länder haben Kulturikonen, die unterschiedlich sind. Das wollen wir bewahren.“
Anderer Meinung ist die Leiterin des Instituts für Europa-Studien, Eliška Tomalová:
„Zum Mehrwert Europas gehört, dass wir gemeinsame Geschichten teilen. Die Art und Weise, wie man damit umgeht, kann die Kulturdiplomatie des jeweiligen Staates stärken, aber auch zur Zusammenarbeit unter den Staaten Europas beitragen. Ich denke, dass diese gemeinsamen Geschichten ihren Platz in der Kulturdiplomatie haben.“
Und Außenminister Tomáš Petříček:
„Der Kulturaustausch im Rahmen der Europäischen Union ist nicht an die EU gebunden, diese Tradition reicht viel weiter in die Vergangenheit zurück. Ich bin nicht mit der These einverstanden, dass es keine europäische Kultur gibt. Unsere Kultur war immer von der Interaktion mit den Kulturen anderer Völker beeinflusst.“
Eine besondere Position in der Geschichte und Kultur der böhmischen Länder haben die deutschsprachigen Künstler des Landes. Wie soll man heute mit diesen Persönlichkeiten umgehen, die hier hergehören, gleichzeitig aber auch einer anderen Kultur angehören? Petr Drulák spricht in diesem Zusammenhang von Mitteleuropa als zentralem Begriff:
„Diese Frage liegt etwa bei Franz Kafka auf der Hand. Er ist kein Teil der tschechischen Literatur, sondern gehört zur deutschsprachigen Literatur. Denn unsere Kulturen werden auf Grundlage der Sprache definiert. Das bedeutet aber nicht, dass er nichts mit uns zu tun hat. Ich denke, dass wir auch mit dem Begriff Mitteleuropa arbeiten müssen. Mitteleuropa ist eine natürliche Kulturregion, in der die Tschechische Republik eine wesentliche Rolle spielt. Viele Schriftsteller definieren sich selbst übrigens als Mitteleuropäer. Wenn wir von Mitteleuropa sprechen, umgehen wir die Frage, inwieweit jemand, der mit unserer Region verbunden ist, ein Tscheche nach moderner sprachlicher Definition ist. Die mitteleuropäische Idee sollte zu unserer Kultur gehören.“
Phänomen Mitteleuropa
Mit dem Begriff Mitteleuropa werde in der Kulturdiplomatie bereits gearbeitet, erinnert Eliška Tomalová:
„Während des österreichischen EU-Ratsvorsitzes gab es eine große Ausstellung im Kulturzentrum Bozar in Brüssel. Die Österreicher haben sie als einen mitteleuropäischen Blick auf die bildende Kunst konzipiert. Unser Land wurde miteinbezogen. Regionale Museen und Galerien aus Tschechien haben Kunstwerke dafür geliehen, und es war auch eine Werbung für die tschechische Kultur. Die kulturelle Zusammenarbeit wurde damals durch den Begriff Mitteleuropa geprägt.“
Die nächste gute Gelegenheit, sich in Europa zu präsentieren, bietet die tschechische EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2022. Außenminister Petříček:
„Wir haben bereits einige große Projekte für die Öffentlichkeit in Brüssel im Kopf. Dabei wollen wir das tschechische Kulturerbe, aber auch die heutige Szene vorstellen. Wir planen Open-Air-Musikveranstaltungen. Der Vorsitz ist aber nicht nur eine Sache von Prag und Brüssel. Wir wollen unser Land in allen EU-Mitgliedsstaaten darbieten, da Tschechien in der Zeit des Vorsitzes stärker im Fokus stehen wird.“
Doch zunächst kommt auf die Tschechische Republik eine große Herausforderung zu. Nämlich aus dem Schatten der Pandemie heraus wieder auf andere Themen aufmerksam zu machen. Der Außenminister:
„Wissenschaft und Kultur werden große Themen sein bei der Präsentation der Tschechischen Republik in der Zeit nach Corona. Wir sollten uns bemühen, das positive Image unseres Landes im Ausland zu stärken sowie Kulturaustausch und weitere Aktivitäten wieder aufzunehmen.“