"In diesem Bereich holten wir Westeuropa am schnellsten ein"

Die repressive Drogenpolitik Tschechiens hat bisher keine Früchte getragen. Der Konsum illegaler Drogen steigt immer mehr und im Gefängnis sitzt eine Reihe Jugendlicher, die sich beim Anbau einiger Cannabis-Pflanzen erwischen ließen. Die tatsächlichen Drogendealer können dafür ihr lukratives Geschäft weiterhin betreiben, denn selbst wenn man sie verurteilt, kommen sie oft mit einer lächerlichen Strafe davon. Sie ahnen es schon, liebe Hörerinnen und Hörer, das Thema des heutigen Themenkaleidoskops beschäftigt sich mit der Drogenpolitik in Tschechien. Am Mikrophon begrüßen Sie Olaf Barth und Daniela Kralova.

Vor etwa einem Jahr schickte das Gericht einen neunzehnjährigen Jungen für vier Jahre ins Gefängnis. Der Grund waren sechs Filmdosen, die er - gefüllt mit selbstangebauten Cannabis-Pflanzen - an seine Bekannten verschenkte. Sein Leichtsinn wäre ihm teuer zu stehen gekommen, hätte ihn der tschechische Staatspräsident nicht begnadigt. Und ein derartig hohes Urteil ist hierzulande kein Einzelfall. Dass aber die Strafen für Drogedelikte nicht immer hart ausfallen, illustriert das folgende Beispiel:

Eine zweiundvierzigjährige Grundschullehrerin verkaufte mindestens hundertundvierzig Portionen Pervitin, ein heroinähnliches Narkotikum tschechischer Herstellung. Ein lukratives Geschäft sicherlich: Fünfhundert Kronen mussten die Abnehmer für eine Dosis bezahlen. Ihre Kunden waren zwar zumeist keine Kinder mehr, in zwei Fällen aber verkaufte sie diese harte Droge an fünfzehnjährige Mädchen. Und die Strafe? Drei Jahre auf Bewährung, denn ihr wurden als Mutter von drei Kindern mildernde Umstände gewährt.

Für solche widersprüchlichen Gerichtsurteile soll man aber nicht die Richter verantwortlich machen, wie Jiri Presl vom Drogenberatungszentrum "Drop In" in Prag sagt:

"Die nicht adäquaten Gerichtsurteile hängen damit zusammen, dass das Gesetz die Narkotika nicht nach ihren Risiken unterscheidet. Man kann die Drogen in weiche und harte einteilen, aber es geht vor allem darum, die Risiken für die Konsumenten und deren Umgebung einzustufen. Und das kann das Gesetz im Augenblick nicht. Und deshalb kommt es zu den Paradoxen, dass die Strafe für professionelle Distribution von Heroin niedriger ist als für den Anbau von Cannabis."

Mit Sicherheit ist die unzureichende Gesetzgebung ein wichtiger Grund für die umstrittenen Gerichtsurteile. Aber auch der sozusagen historisch bedingte Kenntnismangel eines differenzierten Umgangs mit dem Drogenproblem spielt dabei vermutlich eine große Rolle.

Während im Westen der illegale Drogenkonsum - vor allem von Cannabisprodukten - seit den Protestbewegungen der sechziger Jahre ein vieldiskutiertes gesellschaftliches Thema ist, hat Tschechien mit dieser Problematik wesentlich weniger Erfahrungen. Im Westen gehören weiche Drogen seit der Hippiezeit zum Alltag vieler Jugendlichen und die früheren Blumenkinder haben heute selbst erwachsene oder fast erwachsene Kinder. Anders in Tschechien: Das tschechische Pendant dieser Zeit - der sogenannte Prager Frühling - zog bekanntlich keine Blütezeit nach sich, auch nicht die des illegalen Drogenrausches. Auch deshalb kann ein Großteil der Generation, die ihre Jugend vor der Wende erlebte, kaum Haschisch von Heroin unterscheiden. Und die Diskussionen sind noch zu neu, um den tschechischen Eltern Marihuana als ein kleineres Übel als beispielsweise Heroin zuzumuten. Dazu der Drogenexperte Jiri Presl:

"In Westeuropa ist es anders als bei uns, weil sie dort die Drogenerfahrungen viel länger haben als wir, und sie haben inzwischen gelernt, dass man mit der Problematik realistisch umgehen muss und nicht nur verbal. Im Prinzip ist es ein Eingeständnis dessen, dass Drogen zwar eine negative Erscheinung, aber auch ein Teil des Lebens sind: Es gab sie schon immer, es gibt sie jetzt und es wird sie immer geben. Und wir müssen durch pragmatische Schritte die allgemeinen Risiken einschränken."

An diesem Punkt scheiden sich die Geister. Während sich die Liberalisten für die Legalisierung der weichen Drogen wie Haschisch oder Marihuana aussprechen, ist die Mehrheit der Gesellschaft dagegen. Einen Grund nennt Josef Radimecky, der Direktor der Antidrogenkommission der tschechischen Regierung:

"Die Tschechische Republik gehört - was die legalen Drogen (also Tabak und Alkohol) angeht, zu den Ländern, die im europäischen Vergleich einen überdurchschnittlich hohen Konsum aufweisen. Deshalb glaube ich, dass man die Aufmerksamkeit auf die Prävention lenken muss. Wir müssen zeigen, dass Drogen unmodern sind, auch die traditionellen, legalen Drogen wie Zigaretten und Alkohol. Und im Hinblick auf die Toleranz gegenüber Tabak und Alkohol glaube ich, dass wir über die Legalisierung einer anderen Droge erst gar nicht sprechen sollten, weil wir mit dem Konsum legaler Drogen jetzt schon genug Probleme haben. Würden wir beispielsweise auch noch Marihuana legalisieren, würde nur ein neues Problem hinzukommen."

Das Problem ist allerdings schon da, wie selbst Josef Radimecky gestehen muss:

"Leider haben wir in diesem Bereich Europa wahrscheinlich am schnellsten eingeholt. Was die Anzahl derer angeht, die mit Drogen Probleme haben oder drogenabhängig sind, gehören wir zum europäischen Durchschnitt. Allerdings steigt der Konsum illegaler Drogen ständig an, Marihuana steht dabei an erster Stelle. Von den harten Drogen wird vorwiegend Pervitin genommen, aber in letzter Zeit steigt auch der Heroinverbrauch ziemlich rapide an. Dieses Anwachsen verlangsamte sich zuletzt aber etwas, es ist nicht mehr so dramatisch wie noch vor fünf Jahren."

Die repressive Politik konnte also bisher den Drogenkonsum nicht stoppen. Ist sie aber vollkommen gescheitert? Hoffentlich nicht, denn in der Zukunft sollen zumindest die paradoxen Gerichtsurteile nicht mehr getroffen werden: Die Antidrogenkommission der Regierung erarbeitete einen Vorschlag zu einer legislativen Veränderung. Bis das neue Drogengesetz verabschiedet wird, kann es noch gut zwei Jahre dauern. Was sich danach ändern soll, fragten wir Josef Radimecky:

"Es wird darum gehen, die Strafe für den Besitz und die Distribution von Drogen nach dem Maß ihres gesellschaftlichen Risikos zu unterscheiden, das heißt, es wird darum gehen, Drogen wie Marihuana von Drogen wie Pervitin oder Heroin klar zu trennen. Dabei bleibt aber der Besitz und die Weitergabe von Marihuana nach wie vor strafbar. Wir möchten aber durchsetzen, dass jemand, der mit Marihuana erwischt wird, eine alternative Strafe bekommen kann. Wir möchten auf keinen Fall, dass junge Leute, die eine solche Straftat begehen, gleich zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt werden. Wir glauben nämlich, dass das Gefängnismilieu nicht der beste Ort für eine Umerziehung eines jungen Menschen ist, der eigentlich seinen Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden hat."

Eine Schlussfolgerung? Auch die hohen Repressionen können die Jugendlichen vom illegalen Drogenkonsum nicht abbringen. Einige westeuropäische Länder haben dieses Problem bereits begriffen, und gehen zur Zeit den Weg der Liberalisierung. Die tschechischen Jugendlichen werden demgegenüber weiterhin aufpassen müssen, dass sie niemand beim Kiffen erwischt. Immerhin werden sie für kleine Drogendelikte aber nicht mehr ins Gefängnis müssen. Nach zehn Jahren Drogenpolitik in Tschechien ist das aber doch schon ein Erfolg, oder?

Autoren: Olaf Barth , Daniela Kralova
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