Sucht in Tschechien: Nicht nur klassische Drogen sind ein Problem

Das gängige Bild eines süchtigen Menschen – nämlich ein Obdachloser mit einer Spritze in der Hand – entspricht nicht mehr ganz der Realität. Darin sind sich zumindest die Vertreter verschiedener Suchttherapiezentren in Tschechien einig. In den meisten Fällen handelt es sich bei ihren Klienten um ganz normale Menschen, die etwa zu viel Alkohol oder Drogen konsumieren oder aber nicht auf ihr Handy verzichten können.

Er könne sich nicht vorstellen, ohne sein Handy zu leben. Er erledige damit die meisten seiner Aufgaben, habe Zugang zu seinen Finanzen und zu Behörden, beschreibt der 33-Jährige Jan:

Illustrationsfoto: Austin Distel,  Unsplash

„Ich checke mein Handy, sobald ich aufwache, gehe die Benachrichtigungen durch, und wenn es nichts Wichtiges gebe, lege ich das Handy weg und schlafe weiter oder stehe auf,“ ergänzt er.

Ähnlich wie der junge Mann sind viele Menschen dran. Zusätzlich zu den Dingen, die man mit dem Handy erledigen kann, bietet das Mobiltelefon auch viel Ablenkung durch soziale Netzwerke und Online-Spiele. Josef Šedivý arbeitet im Therapiezentrum Sananim. Er beschreibt, wer sich an die Einrichtung wendet:

„Wir haben viel mit Alkohol zu tun. Auf dem Vormarsch sind aber vor allem nichtstoffliche Süchte wie Glücksspiel oder soziale Netzwerke.“

Josef Šedivý | Foto: Sananim

Sein Eindruck wird auch von Ondřej Sklenář vom Zentrum Magdaléna bestätigt. Der fügt hinzu:

„Soziale Netzwerke sowie Online-Spiele und -Apps werden mit der Absicht entwickelt, dass man so viel Zeit wie möglich damit verbringt.“

Aus diesem Grund habe sich die Klientel der Suchtbehandlungszentren stark verändert, betont Šedivý:

„Wir müssen wirklich von der Vorstellung eines Opiatkonsumenten wegkommen, der auf der Straße lebt und bettelt oder stiehlt, um seine nächste Dosis zu bekommen. Das ist das absolute Minimum unserer Kunden. Unsere Klienten kommen aus der ganz normalen Bevölkerung.“

Dennoch blieben die Gründe, warum Menschen süchtig werden, immer noch dieselben, sagt Sklenář:

„Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen sozialen Netzwerken, Alkohol oder Drogen. Die Ausprägungen bei Einzelpersonen sind identisch. An der Sucht leidet immer ein Mensch, und wir müssen untersuchen, was er damit lösen will. Wir stellen fest, dass Schmerz, Einsamkeit und Traumata dahinter stehen.“

Ondřej Sklenář | Foto: Anna Duchková,  Tschechischer Rundfunk

Trotz der neuen Süchte sind die klassischen Drogen nicht aus der Gesellschaft verschwunden. Die Zahl tödlicher Überdosierungen stagnierte in Tschechien in den letzten Jahren. Im vergangenen Jahr hat die Polizei 48 Todesfälle verzeichnet, sagt der Direktor der Nationalen Antidrogen-Zentrale (NPC), Jakub Frydrych:

„Im Vergleich mit anderen Ländern Europas sind die Zahlen hierzulande sehr gut. Dies geht zum Teil auf die Zusammensetzung der Drogen zurück, die in Tschechien konsumiert werden. Am häufigsten führen Methamphetamin und Kokain zu Gesundheitsrisiken, die dann die Überdosierung mit oder ohne Todesfolge zur Konsequenz haben.“

Darüber hinaus ist auch das in Pflastern verwendete Schmerzmittel Fentanyl sehr gefährlich. Letztes Jahr sind vier Menschen an den Folgen einer Überdosierung damit gestorben, in den ersten sechs Monaten dieses Jahres verzeichnete die Polizei bereits zehn solcher Fälle.

Crystal Meth | Foto:  Find Rehab Centers,  Flickr,  CC BY 2.0

Zudem ist die Verwendung von Substanzen wie HHC in letzter Zeit auf dem Vormarsch. Experten warnen vor unerwarteten Auswirkungen, da es viele Substanzen auf dem Markt gibt und es schwierig ist, sich darin auszukennen. Josef Šedivý vom Sananim-Zentrum:

„Sie können unterschiedliche, sogar gegensätzliche Wirkungen haben, auch wenn sie sehr ähnliche Namen tragen. Außerdem können sich unter einer Handelsbezeichnung mehrere Produkte verbergen. Dies führt zu einem großen Chaos bei den neuen Substanzen.“

HHC und manche ähnliche Substanzen wurden in Tschechien vorübergehend verboten. Ab nächstem Jahr soll ein neues Gesetz ihren Konsum regeln.

Illustrationsfoto: Lenka Žižková,  Radio Prague International
Autoren: Markéta Kachlíková , Daniela Vítů
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