Drehbühne Brünn: Alles dreht sich ums Theater

Brünn: Das ist nicht nur zweitgrößte Stadt Tschechiens, Messemetropole und Motorsportmekka, es ist ebenso kulturelles Zentrum. Literatur und Theater sind dort zu Hause. In der vergangenen Woche fand dort das erste internationale Studententheaterfestival in deutscher Sprache statt.

Die südmährische Kreisstadt Brno / Brünn hat auf den ersten Blick wenig vom kulturellen Flair Prags, das sich mit großen Namen wie Werfel, Kafka und Kisch schmücken kann. Trotzdem findet hier das erste studentische Theaterfestival vom 21. bis 25 Mai statt. „Drehbühne Brünn“ nennt sich das Ganze und wird von den Germanistikstudenten der Masaryk-Universität organisiert. In der philosophischen Fakultät studieren die Drahtzieher der Veranstaltung, zu denen auch Ivona Kralová gehört:

„Ich studiere hier in Brünn Germanistik. Vier Tage lang dauert das studentische Theaterfestival, das wir organisiert haben. Wir haben viele nette Besucher aus Polen, aus Wien, aus Berlin, aus Leipzig bekommen.“

Katharina Wessely, Österreichlektorin am Institut für Germanistik an der philosophischen Fakultät in Brünn, ergänzt:

„Das sind vier Tage Theaterfestival, in denen deutschsprachige Studententheatergruppen aus Mitteleuropa, also Deutschland, Tschechien, Polen und Österreich, nicht nur ihre Stücke aufführen, sondern auch über diese diskutieren und an Workshops teilnehmen. Die Idee ist entstanden, weil wir letztes Jahr im Sommer in Salzburg bei den Jugendtheatertagen eingeladen waren. Da haben wir beschlossen, dass wir das auch in Brünn veranstalten wollen.“

Am Anfang der Veranstaltungen steht auch eine Stadtführung durch Brünn. Es geht dabei aber nicht um die typischen touristischen Sehenswürdigkeiten, wie eine der Studentinnen erklärt:

„Die ganze Führung heißt „literarischer Spaziergang“. Das Projekt entstand im Rahmen eines Seminars der Germanistik hier an der philosophischen Fakultät, und das Ergebnis dieser Arbeit erlebt ihr jetzt hautnah.“

Durch die verwinkelten Gassen Brünns spazieren nun die Berliner Schauspieler des „theater lux“ und die Brünner Germanistikstudenten. Der Weg führt vom deutschen Gymnasium über den Treffpunkt deutscher Exilanten, dem Café Biber, bis zum Wohnhaus eines der bekanntesten österreichischen Autoren der Moderne. Wer das ist, lässt eine der Stadtführerinnen die Teilnehmer raten:

„Diese Station möchten wir gerne mit einem Zitat eröffnen: ‚Dieses alte Brünn ist übrigens eine üble Stadt. In der Mitte liegt auf einem Berg eine Festung, deren Kassematten von der Mitte des 18. Jahrhundert bis der des 19. Jahrhunderts als Staatsgefängnis gedient haben und berüchtigt waren. Und die ganze Stadt ist stolz darauf.’ Hat jemand erkannt, wer so hässlich über unsere Stadt gesprochen hat?“

Es war Robert Musil, der so unverblümt über Brünn sprach. Der bekannte österreichische Autor hat in Brünn seine Kindheit und Jugend verbracht. Musil war in Brünn übrigens in bester Gesellschaft. Auch für Schriftsteller Oskar Jellinek und Kinderbuchautor Peter Härtling war die mährische Metropole eine Zeit lang Zuhause. Und so wurden auch die Straßen Brünns zu Schauplätzen zahlreicher Romane.

Die Berliner Schauspieler haben auch Gefallen an dem literarischen Spaziergang gefunden.

„Es war sehr informativ und die Mädels haben das sehr schön gemacht. Wir wissen jetzt auf alle Fälle ein bisschen mehr.“, so ein junger Berliner.

„Es hat einen guten ersten Überblick gegeben. Man hat dadurch einfach ein bisschen mehr erfahren, als das, was man normalerweise als Tourist sieht.“, stimmt eine Theaterkollegin zu. „Was ich an der Führung besonders fand, ist, dass es sich um eine literarische Führung gehandelt hat. So etwas habe ich bisher noch nicht gemacht.“

Nach dem langen Spaziergang geht es gleich weiter zum Theater Barka. Denn was wäre ein Theaterfestival ohne Theater zu spielen? Heute Abend gibt es gleich zwei Vorstellungen: Eine Gruppe aus Wroclav / Breslau und eine aus Leipzig werden ihre Stücke aufführen. Christian Hanisch aus Leipzig stellt die „Connewitzer Cammerspiele“ vor:

„Das ist ein sehr kleiner Theaterverein in Leipzig. Wir laufen unter dem Begriff ‚Zimmertheater’. In das Theater passen nur vierzig Leute rein. Wir spielen heute das Stück ‚Stirb, Wassermann! Stirb!’ Das ist ein Stück über einen Versicherungsangestellten, der sich in Madrid zu Silvester umbringen will.“

Auf der Bühne stehen zwei Stühle und ein Tisch. Zusammengefallen auf dem Boden liegt ein Klappstuhl. Christian selbst spielt nicht mit, schließlich hat er Regie geführt. Beim Stück selbst haben die „Connewitzer Cammerspiele“ nicht darauf geachtet, ob es auch für Fremdsprachler verständlich ist:

„Wir wussten ja nicht, dass wir damit irgendwann einmal in Brünn gastieren. Heute werden wir sehen, wie es wahrgenommen wird. Verständlich ist es auf jeden Fall.“, so Jungregisseur Christian.

Er erklärt mir, warum er mit seiner Gruppe nach Brünn gekommen ist.

„Es ist eine neue Erfahrung vor anderen Leuten zu spielen. In Leipzig haben wir ein ganz bestimmtes Stammpublikum. Es ist einfach etwas anderes, zu sehen, wie das von anderen Leuten wahrgenommen wird. Und natürlich kann man hier andere Gruppen sehen und schauen, worin man sich unterscheidet oder wo Gemeinsamkeiten liegen.“

Es ist 19 Uhr. Die Zuschauer sitzen gespannt in den Rängen. Und die Schauspieler rauchen ihre letzte Zigarette, bevor sie die Bühne betreten. Ein wenig Aufregung liegt in der Luft, auch wenn sich alle Beteiligten sicher sind, dass das Stück gut aufgenommen wird. „Gerade den tschechischen Zuschauern wird das gefallen, weil wir deshalb extra aus Leipzig hier her gekommen sind, damit es ihnen gefällt.“, so der Hauptdarsteller des Versicherungsangestellten Franz Wassermann.

Während der Vorstellung hören alle gebannt zu. Der panische Franz Wassermann kommt gut beim Publikum an. Nach diesem Auftakt ist auch eine polnische Zuschauerin begeistert:

„Das war wirklich super und hat mich berührt. Ich habe zwar nur achtzig Prozent verstanden, aber ich bin trotzdem überrascht, wie gut das war.“

Nach zwanzig Minuten Pause geht es weiter mit den Germanistikstudenten der Gruppe „Durcheinander“ aus Breslau in Polen. Ihre Leiterin Margarethe erzählt, dass es nicht das erste Festival ist, an dem sie teilnehmen:

„Wir waren auf einem Festival in der Ukraine und in Ungarn. Da spielten wir Aristophanes. Und jetzt spielen wir Václav Havel, weil wir hier in Tschechien sind. Wir suchen den Kontakt mit verschiedenen Gruppen, denn nächstes Jahr organisieren wir das Theaterfestival in Breslau. Eigentlich sind wir die einzige deutsche Studententheatergruppe in Polen. Deshalb suchen wir Kontakt im Ausland, das hilft uns, neue Freundschaften und Kontakte zu knüpfen.“

Nach langem Applaus für „Durcheinander“ ziehen alle gemeinsam – Berliner, Brünner, Breslauer und Leipziger – in eine Bar, wo sie sich bei einem kühlen Bier gemeinsam an einen ereignisreichen Tag in der Drehbühne Brünn erinnern.

Autor: Julia Angelov
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