„Eindeutig demokratisch orientiert“ - Das deutsche Theater in Brünn 1918 - 1938
Der Zerfall Österreichs und die Gründung der Tschechoslowakei 1918 stellten die Deutschen in den böhmischen Ländern vor einige Probleme. Vor allem an der Sprachenfrage erhitzten sich die Gemüter, denn Deutsch wurde als Staatssprache durch Tschechisch ersetzt. Das galt auch für den Kulturbetrieb. In Brno / Brünn, der zweitgrößten Stadt des neuen Staates, entstanden deswegen zwei Theater: ein tschechisches und ein deutsches. Über die Geschichte des deutschsprachigen Theaters hat eine Theaterwissenschaftlerin nun eine Studie erstellt und das Buch zu Anfang Dezember im Österreichischen Kulturforum in Prag vorgestellt.
„In Brünn wird seit Jahrhunderten in allen möglichen Sprachen Theater gespielt. Früher natürlich auf Italienisch oder Französisch – je nachdem was gerade in Mode war. Im 19. Jahrhundert entstand dann das deutsche Stadttheater. Parallel dazu wurde Ende des 19. Jahrhunderts auch ein tschechisches Theater gegründet. Das hatte aber nicht denselben Stellenwert wie das Stadttheater, weil Brünn vor 1918 eben deutsch regiert und dominiert wurde. Nach 1918 änderte sich diese Situation und die zwei rivalisierenden Theater tauschten die Rollen. Das tschechische Theater zog in das große, repräsentative Haus ein, während das deutsche Theater ausziehen und fortan an mehreren verschiedenen Orten spielen muss.“
Wie war das Theaterwesen in Brünn organisiert?„Das deutsche Theater hatte dann drei Spielstätten. Erst sollte das große Haus ganz den Tschechen zugesprochen werden, dazu kam es aber nicht. Es wurde nämlich ein Kompromiss zwischen den beiden Theatern ausgehandelt, so dass das deutsche Theater an zwei Tagen die Woche auch im Stadttheater spielen konnte. Diese beiden Tage wurden vor allem für Opernaufführungen genutzt, weil man dafür die große Bühne brauchte. Das reguläre Haupthaus des deutschen Theaters war dann aber die ‚Reduta’. Das Gebäude war zuvor renoviert und zu einem Schauspielhaus umgestaltet worden. Es war ein relativ kleiner, intimer Theaterraum. Dort wurden vor allem die Sprechstücke gespielt. Zusätzlich wurde noch im Festsaal des Deutschen Hauses eine Bühne eingebaut, um dort Operetten spielen zu können.“
Gab es eine Zusammenarbeit zwischen dem tschechischen und dem deutschen Theater?„So etwas gab es, aber nicht sofort. Nach 1918 beziehungsweise 1919 waren die Deutschen natürlich zunächst verstimmt, weil sie nicht mehr die Hausherren im Stadttheater waren und dort auch nicht immer spielen konnten. Aber Anfang der 1920er Jahre entwickelte sich sehr schnell eine durchaus pragmatische Zusammenarbeit in einigen Punkten. Zuerst unterstützte man sich in der Oper, wo sich die Ensembles nicht nur mit Notenmaterial und Kostümen aushalfen, sondern auch die Sänger und Sängerinnen im jeweils anderen Theater aufgetreten sind.“
Welche Stücke wurden im deutschsprachigen Theater gespielt?„Der Spielplan war bunt gemischt. Im Bereich der Sprechstücke wurde ein ganz weiter Bogen gespannt: von Klassikerinszenierungen über Gegenwartsdramatik, Possen, französische Boulevardkomödien, Volksstücke bis hin zu zeitgenössischen deutsch-böhmischen oder deutsch-mährischen Stücken. Aber auch tschechische Gegenwartsdramen wurden übersetzt und gespielt.“
Sie haben ein Kapitel Ihres Buches „Theaterskandale“ genannt. Was genau kann man darunter verstehen?
„Theaterskandale kamen in Brünn vor allem bis zur Mitte der 1920er Jahre vor. In der Theaterwissenschaft bedeutet ein Theaterskandal, dass das Publikum gegen, zumeist künstlerische, Zumutungen protestiert. Das Publikum behauptet auch immer, es protestiert gegen eine künstlerische Zumutung, denn das ist ein legitimer Grund für Protest. Wenn man sich die Brünner Theaterskandale anschaut, bemerkt man aber ziemlich schnell, dass es eigentlich nicht um künstlerische Fragen ging. Dieser Aspekt dient zwar als Argument, aber eigentlich sind die Theaterskandale Ausdruck der Kämpfe um die Diskurshoheit in der Stadt. In Brünn wurden diese Skandale von rechten Gruppierungen ausgelöst, weil diese verhindern wollten, dass Stücke gespielt werden, die ihrer Meinung nach nicht der deutschen Kultur entsprechen. Das heißt, sie versuchten festzuschreiben, was deutsche Kultur ist. Alles andere sollte deswegen auch nicht am deutschen Theater in Brünn gespielt werden.“
Lässt sich dem Brünner Theater eine bestimmte politische Haltung zuordnen? Oder anders gefragt: Ist das Brünner Theater national deutsch oder ist es eher demokratisch orientiert?„Das Brünner Theater ist eindeutig demokratisch orientiert. Sowohl Mitglieder und Leitung des Theatervereins, als auch die berufenen Direktoren nehmen auf verschiedene Art und Weise immer wieder eine demokratische Haltung ein. Das geht über die Inszenierung bestimmter Werke, zum Beispiel Anti-Kriegs-Stücke, die sich nicht nur generell gegen den Krieg wenden, sondern auch gegen die nationale Frontstellung, die Kriege mit sich bringen. Das ist ein Thema, welches in Brünn Ende der 1920er Jahre und Anfang der 1930er Jahre am Theater explizit angesprochen wurde und ganz klar die politische Haltung zeigt. Andererseits ist das Brünner Theaterpublikum zu klein, um wirklich nur eine politische oder künstlerische Richtung zu unterstützen. Im Spielplan war darum immer alles vertreten. Vor allem nach 1933 stehen im Spielplan Stücke von Autoren, die in Deutschland verboten sind, und in derselben Saison, kurze Zeit später, wird ‚100 Tage’ von Mussolini gespielt. Wenn man aber die Inszenierungen insgesamt betrachtet, kann man schon sagen, dass die demokratischen Stücke mit wesentlich mehr Sorgfalt inszeniert wurden.“
1933 verstärkt sich der Nationalismus, auch am Theater. Bilden die Schauspieler daraufhin selbst politisch orientierte Gruppen oder wie ist verhalten sie sich in dieser Zeit?„Die Situation im Brünner Ensemble ist ziemlich komplex, weil hier viele verschiedene Ansichten aufeinander treffen. Es gibt also sowohl deutsche Nazis im Ensemble, deutsche Antifaschisten als auch deutsch-jüdische Schauspieler, die aus rassischen Gründen fliehen mussten. Außerdem sind dort auch deutschsprachige tschechoslowakische Schauspielerinnen und Schauspieler, die rechts oder links sind. Es ist also alles vertreten. Als sich 1938 die politische Lage mehr und mehr zuspitzt, wird dies auch im Brünner Ensemble direkt spürbar. Die Konflikte zwischen den Schauspielern werden so groß, dass sich zwei Gruppen bilden, die nicht mehr im Stande sind, sich zu einigen. Sie wollten zwei verschiedene Theater mit zwei Spielplänen gründen: ein völkisch-nationales, eigentlich schon offen nationalsozialistisches Theater, und ein demokratisch, staatsloyales.“
Das Münchner Abkommen von 1938 betrifft Brünn ja eigentlich nicht. 1939 kommt es aber zur Besetzung des Landes und der Schaffung des ‚Protektorat Böhmen und Mähren’. Was passiert in diesen stürmischen Zeiten mit dem Brünner Theater?„Wie gesagt spaltet sich das Schauspielensemble in zwei Gruppen, die den gesamten Frühling und Sommer über darum kämpfen, wer im Herbst weiterspielen darf. Man brauchte dafür eine Konzession und am Ende bekamen beide Gruppen diese erteilt. Der Plan war daher eigentlich, dass in der Spielzeit 1938/39 Brünn nicht nur ein tschechisches und ein deutsches Theater hat. Stattdessen sollte es ein tschechisches Theater und zwei deutsche - also ein nationalsozialistisches und ein tschechoslowakisch-demokratisches – geben. Dazu kam es aber nicht mehr, denn durch den Rechtsruck in der tschechischen Politik, eine Reaktion auf das Münchner Abkommen, wird der demokratischen Gruppe die Konzession nicht mehr erteilt. Es durfte ab 1938 nur noch die nationalsozialistische Gruppe in Brünn Theater machen. Damit waren auch die Schauspielerinnen und Schauspieler schon zu dem Zeitpunkt gezwungen, zu emigrieren.“
Warum erlaubt der tschechoslowakische „Reststaat“ ausgerechnet den Nationalsozialisten, das Ensemble weiterhin zu betreiben und verweigert den staatstreuen Deutschen die Tätigkeit?„Das liegt daran, dass die verschiedenen tschechoslowakischen Behörden sehr unterschiedliche Haltungen hatten. Der Brünner Gemeinderat hat zum Beispiel immer die demokratische, staatsloyale Gruppe unterstützt, während das mährische Landesamt immer eher auf Seite der Nationalsozialisten war. Die Argumentation des Landesamt gab sich politisch pragmatisch: Um den Deutschen Reich entgegenzukommen und keine Repressionen zu riskieren, könne man ein demokratisches, antifaschistisches Theater nicht unterstützen. Und das mährische Landesamt war damals jene Stelle, die die Konzessionen erteilte beziehungsweise in dem Fall entzog.“