Ehemalige tschechische Zwangsarbeiter an deutschen Schulen. Ein Zeitzeugenprojekt
Im Rahmen der kürzlich zu Ende gegangenen Tschechischen Kulturtage in Dresden wurde unter anderem ein Zeitzeugenprojekt vorgestellt. Sein Name: "Ehemalige tschechische Zwangsarbeiter als Zeitzeugen in deutschen Schulen." Gerald Schubert hat dessen Koordinator Werner Imhof zu einem Gespräch gebeten. Hören sie mehr in der nun folgenden Ausgabe der Sendereihe "Heute am Mikrophon":
"Das Projekt läuft seit Januar 2003 und wird gefördert von der Stiftung 'Erinnerung, Verantwortung, Zukunft', die ab 1999 die Zwangsarbeiterentschädigung abgewickelt hat, in Prag zum Beispiel zusammen mit der Partnerorganisation 'Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds'. Es läuft jetzt noch bis Ende April 2005. Weil das Interesse von Schulen sehr groß ist und eigentlich ständig zunimmt, sind wir im Moment aber dabei, eine Verlängerung bis Ende 2005 ins Auge zu fassen."
Die Stiftung, die also auf deutscher Seite für die Entschädigungszahlungen verantwortlich war, hat sich nun auch indirekt an dem Zeitzeugenprojekt beteiligt.
Eine so genannte Zeitzeugenbegegnung an einer deutschen Schule beginnt eigentlich bereits mit der unbedingt nötigen Vorbereitungsarbeit, erklärt Projektkoordinator Werner Imhof:
"Wir haben ein großes Programm drum herum gebastelt und während des Projekts noch erweitert. Denn wir haben gemerkt, dass die Arbeit mit Zeitzeugen zwar im Moment unheimlich in Mode ist, aber dass genau darin auch das Problem liegt. Ein Zeitzeuge hat eine unglaubliche Autorität, und gerade Schüler glauben jedes Wort. Sie unterstellen oft, dass ein Zeitzeuge, der zur Hitlerzeit gelebt hat, Hitler auch getroffen hat, in Auschwitz war, mit Goebbels geredet hat und so weiter. Manche Zeitzeugen neigen auch dazu, das zu missbrauchen. Besonders männliche Zeitzeugen weichen hier ein bisschen ab und sehen sich dann auch selbst in der Rolle des Experten für den Nationalsozialismus. Aus diesen und anderen Gründen haben wir gemerkt, dass es ganz wichtig ist, die Schüler und auch die Lehrer sehr gut darauf vorzubereiten, sehr genau abzusprechen, wie der Besuch ablaufen soll, und auch mit den Zeitzeugen intensive Vorgespräche zu führen. Wir haben am Anfang ein bisschen naiv gedacht: Wenn wir eine Zusage von einem Zeitzeugen haben, dann können wir einen Termin vereinbaren, und los geht's. Und dann haben wir festgestellt: Gerade bei den Zwangsarbeitern geht das überhaupt nicht."
Zwischen den verschiedenen Gruppen von Zeitzeugen gibt es nämlich sehr große Unterschiede, sagt Imhof. Unterschiede, die auf die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus ebenso zurückzuführen sind, wie auf die Erfahrungen nach dem Krieg:"Die Holocaust-Überlebenden, die ebenfalls in dem Projekt vertreten sind - sie haben ja auch Zwangsarbeit verrichtet, wenn auch mit dem Charakter 'Vernichtung durch Arbeit' - die sind oft erfahrener. Sie sind teilweise 'Profi-Zeitzeugen' und machen das sehr häufig und seit vielen Jahren. Die ehemaligen Zwangsarbeiter hingegen haben das mit uns fast immer zum ersten Mal gemacht und sind oft unglaublich unsicher. Sie haben uns zum Beispiel Fragen gestellt wie: Werden uns die Schüler denn glauben? Werden sie uns nicht sehr feindselig behandeln? Was soll ich denn sagen, wenn sie nach der Vertreibung fragen? Und da haben wir gemerkt: Wir müssen sie ganz anders vorbereiten, wir müssen ihnen die Sorgen nehmen."
Wenn dies einmal gelungen ist, dann gibt es aber Hoffnung auf sehr fruchtbare Begegnungen, die manchmal zu wirklich einprägsamen Erlebnissen werden. Werner Imhof erinnert sich an eine Zeitzeugin, mit der er einmal eine Schule in Bayern besucht hat:
"Die Schüler wussten nur, dass wir am Sonntag ankommen und in welchem Hotel wir übernachten. Als wir abends um neun dahin kamen, lungerten vor dem Hotel ein paar junge Leute herum. Es stellte sich heraus, dass die seit sechs Uhr auf uns gewartet hatten, um der Zeitzeugin zur Begrüßung einen Blumenstrauß zu übergeben und sie willkommen zu heißen. Sie war zu Tränen gerührt. Und dieses Erlebnis war keine Ausnahmeerscheinung."
Erfahrungen wie diese machen auf sehr anschauliche Art deutlich, dass es nicht nur die Jugendlichen sind, die von dem Zeitzeugenprojekt profitieren.
"Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Projekt neben der eigentlichen Zielgruppe, den Schülern, auch einen ganz großen Einfluss auf die Zeitzeugen selbst hat, auf die beteiligten Lehrer und nicht zuletzt auf mich. Ich möchte diese zwei Jahre nicht missen. Gerade die Gespräche mit den Holocaust-Überlebenden sind sehr wichtig. Ich plädiere immer dafür, diese Menschen nicht auf die zwölf Jahre Nationalsozialismus zu verkürzen, ihnen nicht zu sagen: Du bist ein Zeitzeuge, das ist ein Beruf, und zu allem anderen hast du nichts zu sagen. Man muss das einordnen. Den Bruch in der Biographie kann man gar nicht begreifen, wenn man nicht weiß, was vorausgegangen ist, und aus was für einem Land die Leute kamen - nämlich aus der letzten funktionierenden Demokratie in Europa. Und auch nachher haben diese Menschen ganz interessante Erfahrungen gemacht."
Keine isolierte Geschichtsbetrachtung also, sondern ein kontextuelles Verstehen von Schicksalen vor ihrem historischen Hintergrund. Das ist der Anspruch, den das Projekt an sich selbst stellt. Und dabei kommt es vor allem auf die Perspektive an, sagt Imhof:
"Man kann sich auf vielen Ebenen mit dem Thema Nationalsozialismus beschäftigen. Es gibt über 140.000 Bücher allein über Hitler. Man kann als Historiker im Archiv in staubigen Akten wühlen, und muss das auch. Aber all das gibt meistens nur die Sicht der Täter wieder. Uns ist es ein Anliegen, eben die Perspektive der Opfer zu liefern und den Opern ein Gesicht zu geben. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt in dem Projekt."
90 Begegnungen waren bis Ende 2004 im Rahmen des Projekts geplant. Es werden aber bis zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 120 Begegnungen sein. Erreicht wurden damit ungefähr 2800 Schüler.