„Ein Geschenk für die Menschheit“
Die Tschechen lieben ihr Christkind. Doch scheint es bedroht zu sein, ob nun durch Nikoläuse oder den Konsumwahnsinn. Die Initiative „Náš Ježíšek“ will den heiligen Buben retten.
„Das Christkind hat nichts mit einem Lastwagen zu tun, wie ihn beispielsweise der Weihnachtsmann hat. Das Christkind ist einfach das gute Kind, das die Botschaft von Nächstenliebe überbringt. Diese Botschaft schickt es uns von Herzen und das wirkt auf alle. Wir wollen unseren Nächsten an Weihnachten eine Freude machen. Dabei tritt das Christkind in unsere Häuser und jedes Geschenk wird zu einem Geschenk vom Jesulein. Gerade das heilige Kind ist nämlich der Grund, weshalb wir uns überhaupt beschenken. Das Christkind war nämlich das größte Geschenk für die Menschheit.“
Děpold Czernin ist ein großer Fan des Christkinds, das gibt er offen zu. Obwohl seine Briefe an das heilige Kindlein seltener geworden seien, wie er sagt. Vielleicht hat er sich gerade deshalb der Initiative „Náš Ježíšek“ angeschlossen. Diese will die traditionell tschechische Weihnachtsgestalt wieder populärer machen. Das sei wichtig, meint Czernin, da das Christkind schon oft zu verschwinden drohte aus dem Bewusstsein der Tschechen:„Erst wurde das Christkind vom Genossen Antonín Zápotocký ausgetauscht. Er sagte uns einst, dass das Christkind veraltet sei und nun Väterchen Frost kommen sollte. Dieser Alte zog natürlich nicht unter dem Stern von Bethlehem ins Land, sondern unter den roten Sternen der Fabriken, Bergwerke und Schulen. Heute hört man oft, dass das Weihnachtsfest im Kommunismus tatsächlich traditionell war. Da frage ich mich, was diese Tradition ausgemacht haben soll. Sicher nicht, dass wir unsere Bräuche aufgegeben haben, wie zum Beispiel das Singen vor der Krippe auf dem Marktplatz. Damals wurde das Christkind erstmals aus dem öffentlichen Raum verdrängt und versteckte sich in unseren Herzen. Wir wollten unsere Geschenke von jemandem bekommen, dessen Gesicht wir nicht kennen, und deshalb haben wir sicherheitshalber unsere Krippen auf dem Dachboden versteckt.“
Sozialismus und Konsum
Doch auch nach der Wende von 1989 war das Christkind nicht sicher. Bis heute lauern hinter jeder Ecke zahlreiche Gefahren für den Kleinen:
„Als die Freiheit endlich da war, hat sich schon viel verändert. Doch die Beziehung der Öffentlichkeit zum Christkind blieb gleich. Diesmal nicht wegen des strengen politischen Regimes, sondern wegen des globalen Marketings. Eine wichtige Rolle spielt da das symbolische Weihnachtsmaskottchen der Händler – und zwar der Weihnachtsmann. Aber eigentlich muss man mit diesem nicht wirklich kämpfen. Denn hierzulande bringt er nur für weniger als ein halbes Prozent der Familien die Geschenke.“Der Weihnachtsmann ist also keine echte Konkurrenz für das Christkind. Ein Problem sei Santa Claus aber trotzdem, vor allem wegen seines hohen Wiedererkennungswerts, meint der PR-Profi Czernin. Das Christkind hingegen sei eher abstrakt. Aber auch das ist eine Aufgabe für die Initiative „Náš Ježíšek“.
„Es ist wirklich schade, dass wir eigentlich nicht wissen, wie das Christkind ausschaut. Viele wissen ja nicht, dass es das Kind aus Bethlehem ist, das uns die Geschenke ins Haus bringt. Unser Projekt will dem Jesuskind seine Gestalt zurückgeben. Wir leben in einem Land mit einer großartigen Weihnachtstradition. Das zeigt sich vor allem in der Kunst der Weihnachtskrippen, die einzigartig ist auf der Welt. Ebenso aber in der Anzahl der Weihnachtslieder, in deren Mittelpunkt immer das Christkind steht. Wir sollten also wissen, wie es aussieht und dass es meist schon nicht mehr in der Wiege liegt, sondern gehen kann. Abgesehen davon haben wir in Tschechien die berühmteste Darstellung des Christkinds – und zwar das Prager Jesulein.“Ist die Gefahr aber nicht groß, dass das Christkind nur zu einem Marketing-Gag wird und eher die Geschenke und damit der Konsum im Vordergrund stehen? Für Děpold Czernin ist die Verbindung von Geschenken und der Tradition des Jesuleins jedoch nichts Schlechtes:
„Das zu trennen ist unmöglich, Geschenke werden immer zu Weihnachten dazugehören. Wir sind aber nicht mehr so bescheiden wie früher und erwarten immer größere Geschenke. Damals reichte schon ein Apfel aus dem Garten. Wir wollen die Geschenke also kaufen. Nun ist es aber so, dass uns die meisten Händler die Geschenke im Schatten, im Beisein des Weihnachtsmannes anbieten. Einer Gestalt also, die uns hierzulande eigentlich nie etwas gebracht hat.“Wunschzettel und Glühweintassen
Doch wie will die Initiative das Christkind populärer machen? Vor allem durch viel Präsenz auf den Weihnachtsmärkten in Tschechien. Die Organisatoren haben sich dazu eine ganze Reihe schöner Aktionen ausgedacht. Eine davon hat etwas mit dem Wünschen zu tun:
„In Brünn hat das Christkind auf dem Platz Zelný trh sein Büro, wo der größte Weihnachtsmarkt der Stadt ist. Dort ist eine große Rolle Papier – sie ist insgesamt 300 Meter lang –, wo jeder seinen Wunsch aufschreiben kann. Im vergangenen Jahr haben wir insgesamt 615 Meter vollgeschrieben, und die meisten Wünsche waren sehr schön. Am häufigsten wünschten sich die Menschen Gesundheit, Liebe, aber auch ein Kind. Da war ich baff, wie positiv die Leute da gestimmt waren. Natürlich gab es auch typische Kinderwünsche, wie einen Schlitten, ein Lego-Set oder eine Spielekonsole. Ein Kinderwunsch hat mir besonders gut gefallen – ein Junge wollte nämlich beliebt sein in der Schule. In diesem Jahr wollen wir die Aktion ausweiten und in zehn weiteren Städten präsent sein.“Die Initiative fand indes einen noch wirksameren Weg, das Christkind sichtbar zu machen auf den Weihnachtsmärkten. Nebenbei wollte man auf ein ökologisches Anliegen aufmerksam machen. Denn auf tschechischen Weihnachtsmärkten trinkt man seinen Glühwein noch meist aus dem Styropor-Wegwerfbecher:
„Ich wollte das Christkind unter die Leute bringen und dachte mir, dass man es doch auf die Glühwein-Becher drucken könnte. Ich habe mich dann aber umgeschaut und festgestellt, dass das nicht geht. Das Christkind würde nämlich überall herumliegen, oder aus jedem Papierkorb quellen. Auf ihm würde herumgetrampelt werden und man würde es bespucken, weil man es für die Unordnung verantwortlich machen würde. Das wäre unwürdig. Das Christkind musste also auf eine Mehrwegtasse. Im Ausland gibt es eine gewisse Kontinuität, da werden die Glühweinstände samt Porzellantassen von Generation zu Generation weitergegeben. Traurig ist allerdings, dass die meisten Tassen aus China kommen. Diesen Weg wollten wir nicht gehen und haben unsere Tassen im tschechischen Dubí herstellen lassen. So unterstützen wir die heimischen Hersteller und die Leute können stolz darauf sein, dass das Christkind auf der Tasse wirklich aus Tschechien kommt.“Weihnachten mit Knoblauch und Honig
Zum tschechischen Weihnachtsfest gehört also das Christkind genauso wie der panierte Karpfen mit Kartoffelsalat oder das Bleigießen. Für Děpold Czernin gehört aber noch etwas anderes untrennbar zum Weihnachtsfest. Doch auch dies hat wieder etwas mit dem Jesuskind zu tun:„Für mich bedeutet Weihnachten den Kreis der Familie, und die Krippe ist da so ein Archetyp dafür. Die tschechischen Krippen sind einzigartig, weil da nicht nur die heilige Familie samt der heiligen drei Könige dargestellt wird. Zur Krippe kommen alle Dorfbewohner, viele Musikanten und die Vertreter der Zünfte. Bei den Tschechen betonte man immer, dass mit der weihnachtlichen Botschaft ebenso das größte Geschenk von allen kommt – und das ist das Christkind. Das spiegelt sich auch in den Weihnachtsliedern und darin, dass die Kinder auch heute noch sehnsüchtig auf das Christkind warten.“
Děpold Czernin ist tatsächlich ein Familienmensch, er ist nämlich Vater von fünf Kindern. Demnach ist das Weihnachtsfest für die Familie auch ein großes Ereignis. Welchen Stellenwert hat dabei aber das Christkind? Und was für andere Traditionen werden bei den Czernins hochgehalten?„Wir haben so ein paar Bräuche, die meine Frau in die Familie eingebracht hat und die wir sehr gern haben. Einen nennen wir Honigsegen – es geht da um eine Vorspeise, die wir zuhause nicht hatten, und zwar eine Knoblauchzehe mit Honig. Wir kamen damals immer vor der Krippe zusammen und haben dort gebetet, und das machen wir bei uns im Haus auch weiterhin. Auch ich hatte vier Geschwister. Jeder von uns ist dann immer zu seinem Tisch gegangen, wo die Geschenke auf uns warteten. Bei uns ist das heute so, dass unsere Jüngste die Gaben verteilt. Jeder freut sich natürlich darüber, was das Christkind ihm gebracht hat.“