Eine einzigartige Sicht auf die Welt

Foto: Archiv ABCD, z. s.

Er ist einer der im Ausland meistverkauften tschechischen Künstler, er selbst weiß jedoch nichts davon. Ota Prouza ist derzeit einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten Art brut, also der Kunst, die von geistig behinderten geschaffen wird. Der Versuch eines Porträts.

Ota Prouza  (Foto: Ľubomír Smatana,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Rumburk – Brtníky: das ist die Strecke, die Ota Prouza fast täglich zurücklegt. Der Mittfünfziger lebt in einem betreuten Wohnheim im nordböhmischen Rumburk. Dorthin konnte er umziehen, da er trotz seiner geistigen Behinderung selbstständig ist. Davor wohnte er aber noch in der Einrichtung in Brtníky, wo Prouza heute in der Wäscherei arbeitet. Ivana Trojanová leitet das Heim:

„Er ist aus einem Kinderheim aus Liberec zu uns gekommen, damals betreuten Ordensschwestern die Menschen in Brtníky. Aus seiner Kindheit ist nur eine Geburtsurkunde erhalten, in der wenigstens die Namen der Eltern stehen. Ota selbst behauptet, dass diese noch leben, was immer wieder Gegenstand unserer Diskussionen ist. Ich habe nachgeforscht und herausgefunden, dass Otas Mutter irgendwann ihren Schwager geheiratet hat. Otas Vater selbst war bei der Geburt seines Sohnes 72 Jahre alt, seine Mutter 42. Lange hieß es, dass Ota noch einen Zwilling hätte, das konnten wir bisher aber nicht beweisen.“

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In den gut 50 Jahren in Brtníky wurde aus dem Waisenkind Ota einer der wichtigsten Maler der europäischen sogenannten Art brut. Eigentlich wird darunter jegliche Laienkunst verstanden, aber insbesondere die Kunst von Kindern oder psychisch Kranken. Lange blieb das Talent Prouzas unerkannt, seine großformatigen Zeichnungen gehörten nur irgendwie zum Kolorit des Heimes in Brtníky. Die Malerin Johanna Uhlířová ist dort für die Kunsttherapie zuständig:

„Er hat eigentlich schon immer gezeichnet, wenn ich das so sagen darf. Ota ist dabei eher introvertiert und geht nicht in die gemeinsamen Werkstätten. Er schafft seine Werke allein auf seinem Zimmer.“

Stundenlang sitzt Ota Prouza über langen Papierbögen – dabei entstehen aufsehenerregende Stadtlandschaften mit Wolkenkratzern, Trambahnen, weitläufigen Parks. Die Stadt fasziniert den Künstler am meisten, auch wenn er zeitlebens in der nordböhmischen Provinz wohnt. Die Inspiration dazu findet er vor allem in Zeitschriften, erklärt Kunsttherapeutin Johanna Uhlířová:

„Ich glaube, dass er täglich zeichnet. Meist vor und nach dem Mittagessen. Bei den Spaziergängen sammelt er dann Material. Dazu gehört alles, was ihm ins Auge sticht und was ihm gefällt. Vor allem gefallen ihm Zeitschriften, in denen Städte aus der Vogelperspektive gezeigt werden. Er selbst fliegt ja nicht oft, daher kennt er seine Welt vor allem aus der Presse und Büchern.“

Foto: Archiv ABCD,  z. s.
Sie selbst setze Prouza keine Vorgaben und lasse ihn einfach schaffen, meint Uhlířová. Seit einiger Zeit erschweren jedoch gesundheitliche Probleme die Arbeit ihres Schützlings, er sieht nämlich immer schlechter. Eine mögliche Operation lehnt er bisher jedoch ab. Danach wäre er wahrscheinlich auch nicht mehr derselbe, heißt es dazu von seinen Betreuern.

Mitten in die Zentren der Kusntwelt

Seine Bilder verschenkt der Künstler schon immer an die Schwestern in der Einrichtung in Brtníky, aber auch an die Bewohner des Dorfes oder die Besitzer der Wochenendhäuser in der Gegend. Mittlerweile schmücken die Zeichnungen Prouzas aber auch Galerien in Paris oder New York, und Kunstsammler bieten für diese mehrere Tausend Euro. Seine erste Ausstellung fand jedoch in einem Gymnasium in Varnsdorf / Warnsdorf statt, wie sich die dortige Mathematiklehrerin Darina Bočková erinnert:

„Eines Tages habe ich in Brtníky die Zeichnungen von Ota gefunden. Ich habe mich wie Alice im Wunderland gefühlt, als ich den Schrank aufmachte und mir die Mappen mit den Bildern entgegenfielen. Ich habe darüber gestaunt, was ich da eigentlich vor mir habe. Danach ist Ota aber öfter zu mir gekommen und wollte mir seine Zeichnungen zeigen.“

Foto: Archiv ABCD,  z. s.
Später kamen einige der Bilder von Ota Prouza nach Prag, die Tochter von Darina Bočková hatte sie im Gepäck. Sie habe die Zeichnungen einer ihrer Dozentinnen an der Theaterhochschule gezeigt, erzählt Paulina Bočková:

„Meine Eltern haben mir die Bilder immer wieder eingepackt, damit ich sie in Prag irgendjemandem zeige. Ich fand die Zeichnungen schon interessant, habe aber nicht geahnt, was für einen künstlerischen Wert sie eigentlich haben. Als ich sie dann auf dem Gang der Uni ausgebreitet hatte, war Ivanka hellauf begeistert.“

Gemeint ist die Prager Bühnenbildnerin und Hochschuldozentin Ivana Bradková. Sie ist nicht nur im Theater, sondern auch in der Kunstszene aktiv. Unter anderem stand sie an der Wiege des Vereins ABCD, der sich um geistig behinderte Künstler kümmert. „In der Art brut ist Ota Prouza ohne Frage eine Ausnahmeerscheinung“, meint die Pädagogin. Und nicht nur sie war bei einer Prager Ausstellung Prouzas begeistert.

„Da war auch ein berühmter französischer Kenner der Art brut, der Pariser Kunstsammler Bruno Decharme. Er kniete vor den Bildern Prouzas nieder und rief ‚Magnifique!‘ Decharme wollte einige Zeichnungen in seine Sammlungen aufnehmen und so sind wir auf die Art-brut-Fair nach Paris gefahren. Das ist so eine Art Fachtreffen in dem Genre. Mit Galleristen haben wir dann die Teilnahme an einer Ausstellung in New York verabredet, wohin wir etwa zehn Bilder geschickt haben. Und gerade die waren bei der Vernissage der größte Publikumsmagnet.“

Foto: Archiv ABCD,  z. s.
Mittlerweile gehört Ota Prouza international zu den wichtigsten Künstlern seines Genres. Höhepunkt seiner Karriere war, als er vergangenes Jahr in München mit dem zweiten Preis beim Euward ausgezeichnet wurde, das ist sozusagen der Oscar für Künstler der Art brut. Ivana Bradková ist vor allem von der Reinheit der Kunst Ota Prouzas fasziniert:

„Schon allein vom Format her ist seine Kunst einzigartig. Als wir damals in München waren, stach er deutlich unter den Mitbewerbern des Euwards hervor. Er war nämlich allgegenwärtig. Seine Bilder beginnen an der Decke, gehen die gesamten Wände hinunter und setzen sich noch weitere vier Meter auf dem Boden fort. Es ist ganz einfach ein überwältigender und fast größenwahnsinniger Blick auf die Welt. Das ist auch der größte Unterschied zu ausgebildeten Künstler, die haben nicht so einen inneren Schaffensdrang. Die wissen meist schon vorher, wo ihr Werk hängen wird. Ota Prouza ist das vollkommen egal.“

Erfolg ist nicht relevant

Mittlerweile finden Sammler aus der ganzen Welt ihren Weg nach Nordböhmen, um einen echten Prouza zu ergattern. Pavel Konečný hat es hingegen nicht so weit, er kommt aus dem mährischen Olomouc / Olmütz:

Ota Prouza  (Foto: Archiv ABCD,  z. s.)
„Ein Prouza hängt bei mir leider noch nicht an der Wand. Ich bin jetzt aber auch kein militanter Sammler, der alles unbedingt haben möchte. Außerdem bin ich ja auch kein Millionär. Ich warte einfach auf eine gute Möglichkeit.“

Der Art-brut-Sammler Bruno Decharme zahlte für ein Bild von Ota Prouza vor gut zehn Jahren 2500 Euro. Die Preise für die Bilder des Künstlers sind mittlerweile etwas höher. Ota Prouza selbst bekommt das Geld jedoch nicht direkt, er wurde nämlich entmündigt und kann deshalb kein Konto haben. „Auch wenn man ihm das Geld in die Hand drücken würde, weiß Ota leider nicht, wozu er es verwenden sollte“, erklärt die Heimleiterin Ilona Trojanová. Dennoch stehen dem Künstler seine Honorare voll zur Verfügung.

„Ota braucht das Geld ja trotzdem. Einerseits mag er Süßigkeiten, die er sich davon kauft. Außerdem verwendet er es für die Zeitschriften und Zeitungen, die ihm als Inspiration dienen.“