Eishockey-WM 2004: Keine neuen Trends, scharfe Kontrollen und ein würdiger Champion
Im heutigen Sportreport lässt Lothar Martin noch einmal das Geschehen bei der 68. Eishockey-Weltmeisterschaft Revue passieren, die am vergangenen Sonntag in Prag zu Ende ging.
16 Tage lang war die Welt in Tschechien eine andere. Denn in dieser Zeit, vom 24. April bis zum 9. Mai, kannten die Menschen zwischen Erzgebirge und Beskiden fast ausschließlich nur ein Thema: Eishockey.
... immer im Anschluss an diese Hymne wurden sie ausgetragen, die 56 Begegnungen der in Prag und Ostrava/Ostrau stattgefundenen Eishockey-Weltmeisterschaft, die - und das können wir vorweg nehmen - einen neuen Zuschauerrekord mit sich brachte. Denn etwas mehr als 550.000 Besucher wollten die Partien um die WM-Krone und gegen den Abstieg aus der A-Gruppe sehen. Die Mehrheit dieser Zuschauer aber - nämlich die gastgebenden Tschechen - wollten ihre eigene Mannschaft siegen sehen und ihr am Turnier-Ende möglichst zum Titel gratulieren. Das Unternehmen "WM-Gold" lief auch prächtig an, denn im ersten Spiel gegen Lettland konnte gleich zu Beginn gejubelt werden:
Diesem Tor durch ihren Kapitän ließen die Tschechen 27 weitere folgen und wähnten sich nach ihren Siegen über Lettland, Kasachstan, Deutschland, Österreich, die Schweiz und Kanada auch im Viertelfinalduell mit den USA auf der Siegerstraße, nachdem sie Jaromír Jágr in der 27. Minute mit 2:0 in Führung gebracht hatte. Doch in diesem Match musste der Titelfavorit in der regulären Spielzeit noch zwei Gegentore einstecken und im abschließenden Penaltyschießen zudem den entscheidenden Treffer durch den in Mannheim spielenden US-Boy Andy Roach. Dieses Penaltytor war gleichbedeutend mit dem frühzeitigen Ausscheiden der ambitionierten Hausherren, die ihre Enttäuschung natürlich nicht verbergen konnten. Auch ihr Superstar Jaromír Jágr nicht, der auf die Frage, worin für ihn die größte Enttäuschung bestehe, wie folgt antwortete:
"Hauptsächlich wegen der Atmosphäre. Da spielst du zu Hause vor deinen Fans, die alles tun, um dir zu helfen. Du kannst sie direkt spüren, sie hören, was man so ja nicht oft erlebt. Die Zuschauer waren wirklich phantastisch das ganze Spiel über, aber wir haben den Druck einfach nicht verkraftet."
Die ausgezeichnete Atmosphäre, die insbesondere bei den Spielen der tschechischen Mannschaft herrschte, wusste auch der Trainer des siegreichen US-Teams, Peter Laviolette, zu schätzen:"Die Atmosphäre ist sehr toll für alle, und ich denke, es gibt wohl kein Team, das vor einem leisen oder eingeschüchterten Publikum spielen will. Also war die Atmosphäre auch ausgezeichnet für uns."
Slavomír Lener hingegen konnte auf seiner letzten Pressekonferenz als tschechischer Auswahlcoach immer noch nicht begreifen, was wenige Minuten zuvor geschehen war. Da hatte er eine Supermannschaft zusammengestellt, die sechs Spiele gewonnen und ein Remis erzielt hatte, das aber durch das Desaster im Penatyschießen zur Niederlage wurde. Doch gerade deshalb hob Lener abschließend hervor:
"Zum Abschluss möchte ich sagen, dass ich sehr stolz auf meine Spieler bin, stolz auf das, was sie geleistet haben. Es war für mich eine außergewöhnliche Erfahrung, mit ihnen gearbeitet zu haben."
Stolz auf ihre Cracks konnten jedoch auch andere Trainer sein. Zum Beispiel Herbert Pöck, der Schutzbefohlene der Österreicher. Gleich zum Auftakt gelang ihnen nämlich eine gehörige Überraschung:
Auch gegen die benachbarte Schweiz waren die Österreicher lange auf Erfolgskurs, führten schon 4:1, mussten aber in der Schlussminute noch den schmerzhaften 4:4-Ausgleichtreffer hinnehmen. Daher musste ich Herbert Pöck einfach diese Frage stellen: Glauben Sie, dass Ihre junge Mannschaft, die hier herzerfrischend aufspielt, noch zu viel Lehrgeld zahlen muss, oder hoffen Sie, dass sie eines Tages aus diesen Rückschlägen gestärkt hervorgehen wird?"Wenn wir mit diesem einen Punkt noch Lehrgeld zahlen, dann bin ich zufrieden. Denn das ist das Wenigste, was uns passieren konnte. Ich hoffe aber, das Lehrgeld heißt auch, dass wir es beim nächsten Male besser machen werden. Dann haben wir es tatsächlich gelernt. Sonst nicht."
Dennoch, trotz des wohl unnötigen Punktverlustes gegen die Eidgenossen, Herbert Pöck und seine Österreicher waren zufrieden mit der Visitenkarte, die sie in Prag abgegeben haben. Denn sie war gleichzeitig die beste Empfehlung für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr, da diese nirgendwo anders als in der Alpenrepublik selbst, und zwar in Wien und Innsbruck ausgetragen wird.
Einer, der seit längerer Zeit endlich einmal wieder bei einem großen Weltturnier mit von der Partie gewesen ist, war der deutsche Goalie Olaf Kölzig. Der ansonsten für die Washington Capitals spielende und auch in den Staaten lebende Zwei-Zentner-Mann wusste sich daher trotz seiner deutschen Sprachdefizite auch ganz relaxt dem Smalltalk mit Radio Prag zu stellen:
Der Teamgeist stimmt, sind Sie daher zufrieden, dass Sie nach mehreren vergeblichen Anläufen endlich in der deutschen Mannschaft halten können?"Ja, ich bin zufrieden. Ich bin seit längerer Zeit wieder im deutschen Team dabei. Das letzte Mal war es 1998 bei der Olympiade in Nagano. Schon die letzten drei Jahre wollte ich zur Mannschaft stoßen, doch es kam immer wieder etwas dazwischen. Aber diesmal hat es endlich geklappt, und das freut mich."
Haben Sie schon Zeit gehabt, sich Prag anzuschauen?
"Ja, jeden freien Tag bin ich in die Stadt gegangen. Ja und Prag ist hübsch, sehr hübsch."
Aber es gab nicht nur zufriedene Gesichter bei dieser Weltmeisterschaft. Nach dem Ticketchaos im Vorfeld des Championats sorgten vor allem die scharfen Sicherheitskontrollen und das restriktive Vorgehen der tschechischen Ordnungskräfte für Verdruss, wie mir ein Schweizer Fan mitteilte:
"Für mich ist eine Eishockey-Weltmeisterschaft wie eine Familie, ein Erlebnis unter Freunden und mit den Fans der anderen Teilnehmerländer. Ich habe so auch viele Freunde aus Deutschland kennen gelernt bei den Weltmeisterschaften in Schweden, in Finnland, in der Schweiz usw. Deshalb finde ich es schade, dass hier relativ viele scharfe Sicherheitskontrollmaßnahmen gemacht wurden. Ich glaube, man sollte sich ein bisschen an den englischen Verhältnissen bei Fußball-Länderspielen orientieren, wo zum Beispiel die Sicherheitsbeamten nicht so vordergründig auftreten wir hier, wo die Vorgehensweise der Ordnungskräfte meiner Meinung nach sehr provokativ ist."
Auch überzogene und vor allem nach in- und ausländischen Gästen differenzierte Hotelpreise sorgten dafür, dass das WM-Turnier 2004 nicht für Jedermann in bester Erinnerung bleibt. Rein sportlich gesehen gab es nicht viel Neues zu entdecken, da auch die Weltspitze im Eishockey immer näher zusammenrückt. Dies jedenfalls ist die Meinung von Frantisek Výborný, einem ausgewiesenen Eishockeyfachmann, der in der neuen Saison den tschechischen Spitzenclub HC Moeller Pardubice trainieren wird.
"Ich denke, dass ähnlich wie im Fußball sich auch der Eishockeysport rasch in seiner Spitze verbreitert hat. Heutzutage sind es nicht mehr nur vier fünf Teams, die den Ton angeben, sondern mittlerweile kann jeder Favorit gegen eine noch unlängst als Außenseiter angesehene Vertretung auch verlieren. Mannschaften wie die Schweiz und Deutschland haben inzwischen ebenso NHL-Spieler in ihren Reihen und dadurch auch an Qualität gewonnen. Der Trend der letzten Jahre hat sich auch bei dieser WM fortgesetzt: Es wird geradliniger und schnörkelloser gespielt, die Begegnungen werden zumeist im Überzahlspiel entschieden, Torschüsse der Verteidiger sind oft der Ausgangspunkt für die geringer gewordenen Chancen, die sich zum Großteil aus Abprallern ergeben. Individuelle Aktionen, wie sie gerade die Zuschauer in Tschechien mögen, gibt es verhältnismäßig wenige."
Da die Kanadier die von Výborný beschriebene moderne Spielweise derzeit am besten beherrschen, sind sie auch zu Recht erneut Weltmeister geworden.
Und mit dieser WM-Nachbetrachtung wird das dynamische Puckspiel von uns nun auch für einige Monate auf Eis gelegt. Den nächsten Sportreport allerdings können Sie schon wieder heute in 14 Tagen hören.