„Entscheidend ist nach der Europawahl“ – Politologe Schuster zur Regierung Sobotka

Regierung Sobotka (Foto: ČT24)

Die tschechische Mitte-Links-Regierung ist seit 100 Tagen im Amt. Am Samstag hat das Kabinett aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der Partei Ano diese Marke erreicht. Welchen Eindruck machen der neue Premier Bohuslav Sobotka und sein Regierungsteam bisher? Dies beurteilt im Folgenden unserer Mitarbeiter, der Politologe Robert Schuster, im Gespräch.

Regierung Sobotka  (Foto: ČT24)
Robert, die ersten 100 Tage einer Regierung sind ja immer sozusagen Schonzeit. Dann wird aber meist eine erste Bilanz gezogen. Wie sieht Deine allgemeine Bilanz für das Mitte-Links-Kabinett von Bohuslav Sobotka aus?

„Ich bin, ehrlich gesagt, überrascht darüber, dass diese Regierungskonstellation bislang relativ geräuschlos funktioniert. Wenn ich mich an vergangene Regierungskoalitionen erinnere, da wurde schon in den ersten 90 Tagen derart gestritten, dass man das Gefühl bekam, diese Bündnisse hätten jederzeit auseinanderbrechen können. Das ist diesmal nicht der Fall. Wenn gestritten wird, dann über ganz konkrete Themen, also sachbezogen. Aber das könnte auch nur die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm sein. Und der Sturm könnte bereits nach den Europawahlen Ende Mai losbrechen. Denn dann wird sich in erster Linie zeigen, welche der beiden größten Regierungsparteien – die Sozialdemokraten oder die Partei Ano des Unternehmers Andrej Babiš – die stärkste Kraft in Tschechien ist. Das könnte dann einiges loslösen.“

Bohuslav Sobotka  (Foto: ČT24)
In den zurückliegenden Wochen war ja von der Regierung Sobotka viel zu sehen und zu hören zum neuen Kurs Tschechiens gegenüber der EU: mehr Engagement und überhaupt eine Hinwendung zu Europa. Wie sehr wird das vergleichsweise positive Bild der Regierung Sobotka vom außenpolitischen Engagement beeinflusst?

„Die Außenpolitik fristete in der Vergangenheit oft eine Art Nischendasein. Hier hat man nach langer Zeit mal wieder das Gefühl, dass es in Tschechien eine Regierung gibt, die außenpolitischen Fragen eine wichtige Rolle zuschreibt – und dabei vor allem der Europapolitik. Wenn man das mit den Vorgängerregierungen vergleicht, dann sind die neuen Akzente, die in den vergangenen Wochen und Monaten von Premier Sobotka und Außenminister Zaorálek gesetzt wurden, sehr erfrischend. Und wenn man die Außenpolitik und die Europapolitik für wichtig hält, dann kann man sich nur wünschen, dass dieser Kurs weiter fortgeführt wird. Wichtig scheint mir der Umstand, dass es bislang nicht - wie früher häufiger- Rivalitäten in der Außenpolitik gibt. Das heißt, sie wird im Konsens festgelegt und von Außenminister Lubomír Zaorálek nach außen vertreten und präsentiert, ohne dass es Querschüsse gibt von Premier Sobotka oder Staatspräsident Miloš Zeman. Die Außenpolitik des Kabinetts Sobotka macht nach den ersten 100 Tagen einen wirklich konsistenten Eindruck – und das unterscheidet sich positiv von den Vorgängerregierungen.“

Andrej Babiš  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Kann man denn dasselbe auch über die Innenpolitik sagen? Warten nicht dort nicht ziemlich viele Streitpunkte – ich denke zum Beispiel an die Frage, wie die wirtschafts- und sozialpolitischen Schritte der Regierung finanziert werden können?

„Die Finanzierungsfrage ist sicher eine der größten Herausforderungen für die Regierungskoalition, und das wird sich nach den Europawahlen zeigen. Dann wird erst klar, ob es sich um eine Übergangsregierung handelt oder um ein mittelfristig tragfähiges Modell, in dem auch wichtige Reformen gerade in der Sozialpolitik oder bei der Sanierung des Haushalts verwirklicht werden können. Das wichtigste Gesetz für die Regierung ist das Haushaltsgesetz, das wird erst im Herbst verabschiedet, bis dahin werden Verhandlungen geführt. Die ersten Eckpunkte sind aber bereits an die Öffentlichkeit durchgesickert, und die weisen bereits einiges Konfliktpotenzial auf. Denn Andrej Babiš, Chef der Partei Ano, der zugleich aber auch Vizepremier und Finanzminister ist, will in erster Linie Einsparungen erzielen. Er setzt - bis auf wenige Ausnahmen - bei allen Ressorts den Rotstift an. Die Sozialdemokraten haben aber ihren Anhängern einige teure Wahlversprechen gemacht und werden das wohl nicht so leicht akzeptieren. Dieses Konfliktpotenzial hätte allerdings auch in den ersten 100 Tagen schon an die Oberfläche kommen können, es ist jedoch nicht geschehen. Die Frage ist daher: Ist das nur Taktik, oder gelingt es Bohuslav Sobotka wirklich, im Hintergrund so die Fäden zu ziehen, dass möglicher Streit in den Koalitionsgremien ausgetragen wird und nicht nach außen, wie in der Vergangenheit? Das heißt, in naher Zukunft wird sich auch zeigen, wie stark die Stellung des Premierministers ist und ob er sich gegenüber dem starken ‚Kontrahenten‘ Andrej Babiš wird durchsetzen können.“

OKD  (Foto: Podzemnik,  CC BY-SA 3.0)
Du hast es schon angesprochen: Es gibt mit Andrej Babiš neben Sobotka noch einen weiteren wichtigen Mann im Kabinett – er ist der Chef von Ano, also der zweitgrößten Partei, Finanzminister und Vizepremier. Doch zwischen beiden ist es in den zurückliegenden Wochen schon zu Streitereien gekommen: So hat Sobotka von Babiš gefordert, seine unternehmerischen Tätigkeiten aufzugeben. Babiš wiederum hat Sobotka Fehler bei der Privatisierung der Kohlefördergesellschaft OKD vorgeworfen. Wie schwerwiegend sind diese Differenzen zwischen beiden?

Foto: Europäische Kommission
„Ich denke, dass dies nur Säbelrasseln ist, das dazu dient, die eigene Basis bei der Stange zu halten – und vielleicht auch für die Europawahlen zu mobilisieren. Denn diese Wahlen sind leider nicht deswegen wichtig, weil die Tschechen dabei ihre Vertreter ins Europaparlament wählen, sondern weil die Sozialdemokraten und die Partei Ano das als einen wichtigen Stimmungstest sehen. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus lagen beide ja knapp beieinander, mit einem hauchdünnen Vorsprung für die Sozialdemokraten. Nun könnte sich zeigen, welche der beiden Parteien wirklich die stärkste Kraft ist in der Regierung und überhaupt in der tschechischen Gesellschaft. Die Umfragen deuten in Richtung Ano von Andrej Babiš. Es könnte daher zur paradoxen Situation kommen, dass die Sozialdemokraten als formal stärkste Regierungspartei, die auch den Premierminister stellt, nach der Europawahl nicht mehr die stimmenstärkste Partei in der Öffentlichkeit wäre. Das könnte dann zu heftigen Auseinandersetzungen führen, bei denen Sobotka damit rechnen muss, dass sich auch seine innerparteilichen Gegner wieder melden. Diese Gegner hatte er beiseite schieben können, sie könnten dann aber versuchen, ihm die Führungsposition innerhalb der Sozialdemokraten streitig zu machen.“

Miloš Zeman  (Foto: ČTK)
In der Zeit nach dem Sturz der Regierung Nečas war Staatspräsident Zeman so ziemlich der stärkste Mann in der tschechischen Politik. Er hat auch immer wieder in die Regierungsverhandlungen von Sobotka eingegriffen. Mir scheint aber, als habe Sobotka mit der Bildung seiner Regierung einen entscheidenden Sieg über den Staatspräsidenten errungen. Wie siehst du dieses Verhältnis Zeman - Sobotka?

„Ich denke, auch für Zeman gilt, dass er derzeit abwartet, wie die Wahlen ausfallen – und wie vor allem die Sozialdemokraten dabei abschneiden. Er hat in den vergangenen Wochen mehrmals erklärt, dass er bei diesen Wahlen den Sozialdemokraten seine Stimme geben wird. Es ist das erste Mal seit fünf oder sechs Jahren, dass sich Zeman so dezidiert für seine frühere Partei ausgesprochen hat. Das könnte aber auch ein Todeskuss sein für Bohuslav Sobotka. Denn dessen innerparteilichen Gegner könnten das als ein Signal von Miloš Zeman sehen, dass dieser wieder bereit sei, mit den Sozialdemokraten gemeinsame Sache zu machen und sich einspannen zu lassen. Der Preis wäre dann aber, Sobotka zu opfern, denn Zeman mag ihn auch persönlich nicht – was ein offenes Geheimnis ist. Ich würde sagen, dass man nicht alles, was Zeman von seinem Amtssitz auf der Prager Burg über Sobotka und die Regierung verlauten lässt, für bare Münze nehmen kann. Das wirklich Entscheidende wird nach der Europawahl stattfinden. Ein wichtiger Hinweis: Schon einmal ist eine tschechische Regierung nach einer Europawahl gestürzt. Das war 2004 das Kabinett des späteren EU-Kommissars Vladimír Špidla, weil die Sozialdemokraten damals schlecht abgeschnitten haben. Und einer, der die Fäden im Hintergrund gezogen hat beim Sturz Špidlas, war eben Miloš Zeman.“