Epidemiologe Chlíbek: Tschechien an Impfstoff gegen Corona interessiert
Am Montag vergangener Woche ließ eine Meldung weltweit aufhorchen: Die deutsch-amerikanische Biontech-Pfizer-Allianz hat einen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt, der zu 90 Prozent wirksam sein soll. Die USA und die EU haben bereits Verträge mit beiden Pharmaunternehmen über den Kauf des Impfstoffs abgeschlossen. Auch Tschechien habe Interesse am Erwerb einer großen Menge an Impfdosen, informierte Roman Chlíbek in einer Inlandsendung des Tschechischen Rundfunks.
Roman Chlíbek ist der Vorsitzende der Tschechischen Impfstoffgesellschaft und Mitglied des Corona-Expertenteams der tschechischen Regierung. Im Rundfunkgespräch erläutert er zunächst, auf welchem Prinzip der Impfstoff basiert:
„Es handelt sich um einen Impfstoff der dritten Generation, einen sogenannten genetischen Impfstoff. Er beinhaltet genetische Informationen, die auf den menschlichen Körper angewendet werden. Auf dieser Basis wird ein notwendiges Antigen produziert, auf das das Immunsystem reagiert. Dieses wird stimuliert, Antikörper zu bilden und zelluläre Antworten zu geben.“
Laut Angaben der Hersteller sei der Impfstoff angeblich zu 90 Prozent wirksam. Auf die Frage, ob dies ein klassischer Wert für diesen Impfstofftyp sei, antwortet Chlíbek:
„Es muss zunächst gesagt werden, dass genetische Impfstoffe bisher noch nicht in der Humanmedizin genutzt worden. Erst im Zusammenhang mit dem Coronavirus ist es zu einer Beschleunigung in deren Entwicklung gekommen. Es gibt Impfstoffe, die eine Wirksamkeit von 99 Prozent erreichen. Demgegenüber gibt es bei den noch im Entwicklungsverfahren steckenden Impfstoffen gegen das Coronavirus einige Substanzen mit einer geringeren Wirksamkeit von beispielsweise 70 oder 80 Prozent. Aus meiner Sicht ist eine Wirksamkeit von 90 Prozent eine tolle Nachricht.“
Ist garantiert, dass der Impfstoff später keine Nebenwirkungen haben wird?
„Es wurden mehrere Laboruntersuchungen durchgeführt. Sie haben gezeigt, wie der Impfstoff aufgebaut ist. Es ist demnach nicht möglich, dass es zu einer Reproduktion genetischen Materials kommt oder genetische Informationen in unserem Genom gespeichert werden. Der Impfstoff sollte sicher sein. Bei jedem Vakzin können nach fünf oder auch 15 Jahren seltene Nebenwirkungen auftreten, die sich wiederum bei Zehntausenden weiteren geimpften Personen nicht zeigen müssen. Aber das kommt bei jedem Medikament und jedem Impfstoff vor.“
Viele Unternehmen wollen die Zulassung eines Krisenimpfstoffs beantragen. Chlíbek erklärt, weshalb der Bedarf so groß ist:
„In dem Falle wird ein großer Wert daraufgelegt, dass der Impfstoff rasch und ohne administrative Verzögerungen für eine größere Anzahl von Menschen verwendet werden kann. Die Dringlichkeitsgenehmigung erfolgt in Situationen, in denen das Risiko besteht, dass eine Verzögerung zu unabsehbaren Konsequenzen führen kann. Gleichzeitig müssen jedoch die Mindestsicherheitsanforderungen eingehalten werden.“
Gegenwärtig bemüht sich vor allem die Europäische Union um den Erwerb von Impfdosen. Ist dies der Impfstoff, den auch die Tschechische Republik bekommen könnte?
Roman Chlíbek: „Tschechien ist unter der Federführung der Europäischen Kommission an einem Gemeinschaftskauf von Impfstoffen beteiligt. Bereits unterschrieben ist ein Vertrag mit der Firma AstraZeneca. Dazu wird ein Liefervertrag zwischen der Firma Pfizer und Tschechien vorbereitet. Es ist von etwa zwei Millionen Dosen die Rede.“
„Es stimmt, die Tschechische Republik ist unter der Federführung der Europäischen Kommission an einem Gemeinschaftskauf von Impfstoffen beteiligt. Bereits unterschrieben ist ein Vertrag mit der Firma AstraZeneca, sie bietet einen Impfstoff der zweiten Generation an. Derzeit wird ein Liefervertrag zwischen der Firma Pfizer und Tschechien vorbereitet. Es ist von etwa zwei Millionen Dosen die Rede.“
Gesundheitsminister Jan Blatný (parteilos) hat das Interesse und die Menge am vergangenen Mittwoch bestätigt. Doch wann könnten die ersten Impfungen beginnen?
„Ich vermute mal, dass Pfizer nicht als Erster einen Impfstoff zur Verfügung haben wird. Demgegenüber wird beispielsweise der Impfstoff der Firma AstraZeneca einer der ersten sein, der in Europa und Tschechien auf den Markt kommt. Wir dachten ursprünglich, dass es im Dezember sein würde, doch nun wird es wahrscheinlich erst im Februar oder März nächsten Jahres soweit sein. Ich glaube aber nicht, dass der Impfstoff von Pfizer eher verfügbar sein wird.“
Wie vielen Menschen in Tschechien müsste eine Dosis verabreicht werden, damit die Bevölkerung durchgeimpft ist und sich der Corona-Impfstoff als erfolgreich erweist?
„Es gibt zwei Ansichten: Die erste ist der individuelle Schutz, der für den Einzelnen selbst wichtig ist. Wenn er geimpft ist, wird er nicht krank. Bei einer derart schweren Krankheit wie Covod-19 ist aber auch ein sogenannter kollektiver Schutz erforderlich. Und dazu muss in der Bevölkerung eine gewisse Impfrate erreicht werden. Je höher die Wirksamkeit des Impfstoffs ist, desto geringer muss der Anteil der geimpften Bevölkerung sein.“
Und Chlíbek konkretisiert:
„Das Minimum sind üblicherweise 60 Prozent. Wenn der Impfstoff nicht sehr wirksam ist, würde das jedoch nicht ausreichen. Für einen Impfstoff, der zu über 90 Prozent wirksam ist, liegt die unterste Grenze aber bei den gerade erwähnten 60 Prozent.“
Chlíbek zum Rückgang der Neuinfektionen: „Es kamen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen wurde der erste Rückgang an einem Wochenende verzeichnet. Da wird bekanntlich weniger getestet. Der Prozentsatz von positiven Befunden war aber auch niedriger. Das ist eine gute Nachricht. Wir haben aber definitiv noch nicht gewonnen.“
Die aktuelle epidemiologische Lage in Tschechien zeigt mittlerweile eine rückläufige Tendenz. Am Mittwoch der ersten Novemberwoche wurde die bisherige Rekordzahl an Neuinfektionen registriert. In den nachfolgenden Tagen aber ging die Kurve teilweise stark zurück. Wie dieser Rückgang zu erklären sei, dazu sagte Chlíbek:
„Es kamen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen wurde der erste Rückgang an einem Wochenende verzeichnet. Da wird bekanntlich weniger getestet. Der Prozentsatz von positiven Befunden war aber auch niedriger. Das ist eine gute Nachricht, andererseits müssen wir noch vorsichtig sein. Wir haben definitiv noch nicht gewonnen.“
Kann es auch andere Gründe für den starken Rückgang geben – zum Beispiel, dass infizierte Menschen zu Hause bleiben und so nicht getestet werden?
„Es ist die beste Option, wenn die infizierte Person zu Hause bleibt. Wir stellen aber auch fest, dass Menschen nicht nur versuchen, Tests zu vermeiden, sondern eine verordnete Quarantäne zu umgehen. Das ist sehr gefährlich und kurzsichtig. Wenn sich so die Mehrheit verhält, dann wird die Epidemie nur langsam abschwächen und fortdauern, und damit könnten wir uns auch Weihnachten ziemlich verderben.“