Erster ehemaliger DDR-Republikflüchtling vor tschechischem Gericht rehabilitiert

Illustrationsfoto: Filip Jandourek, Archiv des Tschechischen Rundfunks

Im Wendejahr 1989 flüchteten Tausende DDR-Bürger über die Bundesdeutsche Botschaft in Prag in den Westen. Sie hatten Glück, denn die Zeit war reif dafür. Mehrere ihrer Landsleute, die vordem über die Tschechoslowakei flüchten wollten, landeten hingegen im Gefängnis. Jetzt werden einige dieser Fälle in Tschechien aufgearbeitet.

Lubomír Müller  (Foto: ČTK)
Am Donnerstag hat das Bezirksgericht im südböhmischen České Budějovice / Budweis ein wichtiges Urteil gefällt. Rechtsanwalt Lubomír Müller:

„Das ist das erste Urteil auf dem Boden der Tschechischen Republik, bei dem ein Bürger der DDR, der erfolglos versucht hatte, über die Tschechoslowakei zu flüchten, von einem Gericht rehabilitiert wurde. Solch einen Fall gab es hierzulande bisher nicht.“

Müller ist der Verteidiger des früheren DDR-Bürgers, der 1976 wegen sogenannter Republikflucht in einem tschechoslowakischen Untersuchungsgefängnis saß. Dieter Kolbe verbrachte damals 13 Tage in Haft, bevor er an die DDR ausgeliefert und dort mit zwei Jahren Gefängnis bestraft wurde. Richterin Irena Tichá schlussfolgerte, dass Kolbes Verhaftung und Festsetzung in der Tschechoslowakei rechtswidrig gewesen sei. Miroslav Lehký von der Europäischen Plattform für Erinnern und Gedenken begrüßt dieses Urteil:

Illustrationsfoto: Jan Rosenauer,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Ich halte es für bedeutsam, dass das Gericht dem Zweck des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes gefolgt ist. Es hat konstatiert, dass die Gründe für die Inhaftierung und Bestrafung der Menschen damals nicht im Einklang standen mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats.“

Der heute 78-jährige Dieter Kolbe wohnte damals in Dresden. Er wollte aber in die Bundesrepublik übersiedeln, weil dort all seine Geschwister lebten. Mehrmals habe er die Ausreise beantragt, sie sei ihm aber von den Behörden der DDR verweigert worden, sagte er bei seiner Festnahme am 5. Oktober 1976 in der Tschechoslowakei. An jenem Tag hatte er versucht, illegal über das Nachbarland nach Österreich auszureisen. Das Vorhaben scheiterte, weil zivile Grenzschutzbeamte des Landes bei einer Kontrolle im Zug von Budweis nach Horní Dvořiště / Oberhaid bemängelten, dass sein Pass nicht abgestempelt war. Mit diesem Vorwand sollten Ausreisewillige aus der DDR schnell überführt werden. In seinem Rucksack fanden die Beamten zudem eine Landkarte des grenznahen Lipno-Stausees, einen Stromprüfer und ein Fernglas. Die missglückte Flucht von Kolbe sei indes kein Einzelfall gewesen, bemerkt Anwalt Müller:

Illustrationsfoto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Hunderte von ehemaligen DDR-Bürgern haben versucht, in den Westen zu gelangen, und nahmen an, dass der einfachste Weg dazu der über die Tschechoslowakei sei. Das Problem bestand aber darin, dass diese Menschen hier längere Zeit inhaftiert wurden, ohne aber verurteilt zu sein.“

Und genau diese Diskrepanz hat das Bezirksgericht in Budweis nun geradegerückt. Verteidiger Müller ist mit dem Urteil sehr zufrieden. Auch deshalb, weil die rückwirkende Behandlung ähnlicher Fälle nicht zeitlich begrenzt ist. Von daher erwartet den Rechtsanwalt, der sich mit der Aufarbeitung kommunistischen Unrechts bereits einen Namen gemacht hat, auch in den nächsten Wochen noch viel Arbeit:

„Ähnliche Fälle werde ich vor mehreren Gerichten vertreten. Sechs Fälle sind es beim Bezirksgericht in Cheb / Eger, drei Fälle in Domažlice / Taus, einer in Karlovy Vary / Karlsbad, einer in Břeclav / Lundenburg und einer in Prachatice / Prachatitz.“

Die Entschädigungssumme, die Dieter Kolbe nach seiner Rehabilitierung erhalten wird, beträgt übrigens rund zwei Euro je Tag in Haft. Ein sehr bescheidener Beitrag für den Rentner. Ihm sei es jedoch in erster Linie um die moralische Wiedergutmachung gegangen, zitiert Müller seinen Mandaten, der beim Urteilsspruch nicht zugegen war.