„Es gibt nicht diese absolute Schwere“ –Schriftstellerin Dückers über ihr Verhältnis zu Tschechien

Tanja Dückers (Foto: Björn Steinz, Archiv des Prager Literaturhauses)

Die Berliner Schriftstellerin Tanja Dückers hat am Montag im Prager Literaturhaus gelesen. Im vergangenen Jahr war sie bereits als Stipendiatin des Literaturhauses in der tschechischen Hauptstadt. Gegenüber Radio Prag schildert sie unter anderem ihre besondere Beziehung zu Tschechien und erklärt, warum sie gerne in Mittel- und Osteuropa unterwegs ist.

Tanja Dückers  (Foto: Prager Literaturhaus)
Frau Dückers, wie ist es für Sie, in Prag zu lesen – Sie sind ja nicht zum ersten Mal hier, vergangenes Jahr haben Sie als Stipendiatin des Prager Literaturhauses einen ganzen Monat hier gelebt.....

„Ich bin immer wieder sehr gerne in Prag. Es ist auf eine interessante Art für mich fremd und vertraut, man kann, finde ich, als Berlinerin hier sehr gut eintauchen. Ich habe hier einige Freundschaften, einige gute Kontakte zu Kollegen. Ich finde die Stadt wirklich sehr spannend. Und dieses Fast-Vorurteil, das mir in Berlin manchmal entgegenschlägt: ‚Ach Prag, das ist doch schon abgegessen und schon so amerikanisiert und teuer und schick’, das ärgert mich, ehrlich gesagt, immer etwas. Natürlich, es gibt einen kleinen Teil von Prag, von der Karlsbrücke zum Hradschin, der ist oft überlaufen. Aber Prag ist eine Millionenstadt, eine wirklich große Metropole, und ich entdecke bei jedem Besuch neue Gegenden, die ich noch nicht kannte, die ich interessant finde. Mir gefällt das Urbane hier, die ganzen Straßenbahnen, wie viele Verkehrsmittel immer über die Brücken donnern, dass man hier auf so engem Raum lebt. In der Stadt hat man das Gefühl hat, dass ärmere und wohlhabende Leute nicht so strikt getrennt sind, wie ich das zum Beispiel in vielen amerikanischen Großstädten erlebt habe. Ich hab das Gefühl, dass die Innenstadt auch noch eine Stadt der Bürger und nicht wie in London oder Paris eigentlich völlig unbezahlbar ist....“

Foto: Verlag DVA
Wie haben Sie die tschechische Gesellschaft erlebt, als Sie hier „eingetaucht“ sind? Sie sind Berlinerin, kommen aus einer, wie Sie es selbst vor einigen Jahren einmal beschrieben haben, „politisierten Stadt der tausend Debatten und Demonstrationen“...

„Ich muss natürlich dazu sagen: Ich bin zwar dabei, Tschechisch zu lernen, aber im Moment ist mein Tschechisch doch noch sehr begrenzt. Ich bin also überhaupt nicht in vergleichbarer Weise befähigt, am intellektuellen Diskurs hier teilzunehmen, wie ich das in Berlin tue oder in den USA getan habe. Was ich sehr positiv finde: Dass ein Buch wie „Ein herrlicher Flecken Erde“ von Radka Denemarková den höchsten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera bekommen hat. Dieses Buch ist ja nun nicht von einem einfachen Inhalt für Tschechen - weil es eben um das Thema Flucht und Vertreibung geht, am Beispiel einer jüdischen Familie zwar, aber das tschechische Verhalten wird hier sehr kritisch betrachtet. Das finde ich doch beachtlich. Das zeigt, dass man über solche Themen recht offen und frei sprechen kann, dass es kein Tabu mehr ist. Das hat mir imponiert, muss ich sagen. Was die persönlichen Kontakte angeht: Ich erlebe die Menschen hier als ausgesprochen offen und zugänglich und sehr beweglich im Kopf. Ich bin hier nicht – wie in anderen Ländern - auf solche Wände von Vorurteilen und Rassismus gestoßen. Aber ich muss dazu immer sagen, dass ich Menschen aus einem bestimmten Milieu hier kenne, das ist also immer sehr ausschnitthaft. Es ist Prag, es ist nicht die Provinz. Ich habe Einiges gelesen über den Umgang mit Roma in Tschechien, das fand ich teilweise schon ziemlich problematisch. Was mir sehr gefällt in Tschechien: Ich habe das Gefühl, dass die Menschen hier immer irgendwie mit einer Form von Humor auch über schwierige Themen sprechen. Es gibt hier nicht diese absolute Schwere. Ich nehme das als sehr angenehm wahr, dass man gern streitet – auch über politische Themen –, aber dass es immer eine Wendung dazu gibt, auch über das selbst eben mit Pathos Vorgetragene selber lachen zu können. Was mir auch gefällt: Ich erlebe Prag als eine sehr subversive Stadt, es gibt eine große Underground-Szene. Rein äußerlich nimmt man hier eine große Pluralität und Heterogenität wahr. Ich war in vielen Städten dieser Welt, wo ich das absolut nicht so erlebt habe und allein vom Äußeren her die Menschen viel einheitlicher sind, und Abweichungen viel weniger toleriert werden. Ich empfinde das hier als recht tolerant.“

Foto: Archiv Radio Prag
Was ist Ihnen nach Ihrer Rückkehr aus Prag in Deutschland anders aufgefallen – oder auch aufgestoßen?

„Das ist eine gute Frage. Mir hat, glaube ich, schon dieses humorige Element in ernsthaften intellektuellen Diskursen gefehlt. Was ich auch vermisst habe: In Deutschland ist schon vieles sehr geleckt und sehr glatt geputzt. Berlin ist da noch eine gewisse Ausnahme oder manche ostdeutsche Städte. Aber Prag ist schon noch urwüchsig und ein bisschen schmuddelig und chaotisch zum Teil. Und wenn man dann wieder in Deutschland ist, dann kommt einem doch manchmal alles ein bisschen zu perfekt vor. Das ist ein bekanntes Vorurteil über Deutschland, aber da ist ja immer auch ein Fünkchen Wahrheit dran. Wenn ich auf Lesereisen durch so manche Einkaufspassagen gehe, dann sehe ich da schon eine Mentalität, die rein optisch zu einem durchdringt und die mich schon auch erschreckt. Da hat man in Prag eher ein Gefühl von leben und leben lassen. Das hab ich dann vermisst. Ich merke einfach, wenn ich länger nicht in Tschechien war, dass mir dann etwas fehlt. Das ist ganz emotional, das hat mit der Sprache zu tun, dass ich Tschechisch total gerne höre, dass ich bestimmte Speisen hier gerne esse. Das ist fast eher so eine sinnliche Erfahrung, die mir dann fehlt. Ich vermisse Tschechien dann einfach.“

Riga  (Foto: Brunswyk,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Sie waren auch in mehreren anderen mittel- und osteuropäischen Ländern unterwegs – etwa in Polen, Rumänien, der Ukraine, der Republik Moldau. Was reizt Sie an dem Osten?

„Das hat einfach mit dem Aufwachsen in Berlin zu tun. In meinem Fall hat man 21 Jahre lang die Mauer von der anderen Seite gesehen und sich natürlich immer gefragt hat: Was ist dahinter? Man war so im Epizentrum dieser ganzen Kalten-Kriegs-Katastrophe, dass es mich immer sehr interessiert hat, dorthin zu reisen, wo es früher für mich sehr schwer war hinzureisen. Und auch zu überprüfen, wir sind ja nun auch in einer Ideologie aufgewachsen, wie man das sieht und erlebt. Und was ich ganz spannend finde – darüber habe ich auch in einem meiner Romane geschrieben: In unserem Schulatlas, dem Diercke-Weltatlas, war der gesamte Ostblock einfach rosa. Das war von Wladiwostok bis Prag eine einzige Einheitssoße. Das ist einfach furchtbar. Und nach der Wende habe ich angefangen, für mich diesen Block, der sich uns nur als homogener Block präsentiert hat, in seiner Vielfältigkeit zu begreifen. Riga ist eben völlig anders als Herrmannstadt, ganz platt gesagt. Dass für mich jetzt jedes dieser mittel- und osteuropäischen Länder seine eigene Färbung annimmt und diese Unterschiede zwischen den Ländern und Regionen sinnlich erfahrbar werden, das finde ich total spannend.“

Lesung Tanja Dückers  (Foto: Prager Literaturhaus)
Woran arbeiten Sie jetzt gerade?

„Ich arbeite gerade an einem Roman, der sich mit Berlin als Tor zum Osten in Europa beschäftigt und mit Einwanderern aus Mittel- und Osteuropa in Berlin - also mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Berlin. Es hat mit Osteuropa zu tun, aber das Setting ist doch in Berlin. Es wird ein größeres Projekt.“