EU-Vorsitz 2009: Prag auf Prioritätensuche
Tschechien wird Anfang 2009 für sechs Monate den Ratsvorsitz in der Europäischen Union übernehmen. Für die Vorbereitung auf diesen diplomatischen Kraftakt bleiben also nur noch etwas mehr als anderthalb Jahre. Derzeit stellt die tschechische Mitte-Rechts-Regierung ihre Prioritäten für den EU-Vorsitz zusammen. Fix und fertig ist die Liste noch nicht, aber einige Schwerpunkte zeichnen sich bereits recht deutlich ab. Klar, dass in dieser Phase auch die innenpolitische Begleitmusik nicht fehlen darf. Einige Oppositionspolitiker befürchten schon jetzt, dass die tschechische Präsidentschaft eine Blamage wird. Werden schließlich trotzdem alle an einem Strang ziehen? Oder bleibt die Europapolitik ein Zankapfel in Prag? Ein Gespräch mit dem Politologen Robert Schuster, freier Mitarbeiter von Radio Prag.
"Ich würde sagen, sie läuft eher verhalten. Einerseits gibt es hier eine Mitte-Rechts-Koalition aus Bürgerdemokraten, Christdemokraten und Grünen, die recht klare Vorstellungen davon hat, wie die Europäsche Union ihrer Meinung nach aussehen soll. Sie befürwortet etwa eine stärkere Liberalisierung oder unterstützt den Abbau von Subventionen innerhalb der EU. Auf der anderen Seite gibt es aber einen recht großen Unsicherheitsfaktor: nämlich den, dass diese Regierung auf sehr wackeligen Beinen steht. Mit anderen Worten: Man weiß nicht, wie lange diese Koalition halten wird, und ob im ersten Halbjahr 2009, wenn Tschechien in der EU den Vorsitz führt, die Regierung, die sich ja jetzt schon vorbereiten sollte, überhaupt zum Zug kommen wird."
Überlegen wir uns dieses Worst Case Szenario: Stellen wir uns vor, dass die Regierung zum Beispiel Ende 2008 zerfällt, was ja rein theoretisch möglich ist. Was würde das konkret bedeuten? Kann man den EU-Vorsitz in Absprache mit den Partnern in den anderen europäischen Ländern und in Brüssel auf technischer Ebene ganz gut über die Bühne bringen? Oder handelt es sich doch um ein Politikum, so dass eine Regierungskrise diesen EU-Vorsitz wesentlich stören würde?
"Ich würde sagen, beides. Einerseits darf man nicht vergessen, dass Tschechien zum ersten Mal den EU-Vorsitz führen wird. Das ist für jedes Land eine riesengroße Herausforderung - schon rein logistisch und natürlich auch finanziell gesehen. Gerade beim ersten Mal ist der Vorsitz auch mit sehr viel Prestige verbunden, und da will man keine schlechte Figur abgeben. Dies ist ein Punkt, der letztendlich vielleicht zu einer Art Stillschweigeabkommen zwischen den beiden großen Blöcken in Tschechien führen könnte. Wir haben das ja auch in anderen Ländern gesehen. Österreich zum Beispiel hat schon im Vorfeld seiner Präsidentschaft versucht, einen Haushalt zu verabschieden, der gleich für zwei Jahre gilt, um während der Präsidentschaft in der Koalition keine Budgetauseinandersetzungen führen müssen. Das war eine sehr weise Vorgangsweise. Wie es in Tschechien sein wird, das wird man erst sehen. Aber wenn es wirklich zu diesem Worst Case Szenario kommen solle, dann würde es höchstwahrscheinlich eine Übergangsregierung geben, die - etwa von einem parteiunabhängigen Experten angeführt - diese sechs Monate an der Spitze der EU abwickeln würde."
In Tschechien haben aber die regierenden Bürgerdemokraten europaweit den Ruf, besonders EU-skeptisch zu sein, während die oppositionellen Sozialdemokraten sich immer als Partei präsentiert haben, die für die europäische Integration und auch für die europäische Verfassung eintritt. Ist nicht gerade das Thema Europa ein so großer Streitpunkt, dass man auf diesem Spielfeld erneut die Klingen kreuzen wird?"Setzen wir voraus, dass die jetzige Regierung bis 2009 halten wird: Wenn man jetzt die ersten zaghaften Versuche sieht, die Prioritäten für den Vorsitz festzulegen, dann erkennt man doch Themen, die lagerübergreifend konsensfähig sind. Zum Beispiel das so genannte barrierefreie Europa, also der Abbau aller möglichen Barrieren wie etwa beim freien Personenverkehr oder der Freizügigkeit am Arbeitsmarkt, wo Tschechien nach wie vor benachteiligt ist. Da gibt es zwischen Bürger- und Sozialdemokraten einen Konsens darüber, dass diese Barrieren als ungerecht empfunden werden und sehr schnell abgebaut werden sollten. Ein anderer Punkt ist die Reform der Agrarpolitik. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Sozialdemokraten, die ja nicht gerade als die Partei der Landwirte gelten, den Abbau der Subventionen für die gemeinsame Europäische Landwirtschaftspolitik nicht unterstützen würden. Der einzige Punkt, wo es vielleicht zu Spannungen kommen könnte, betrifft die Vertiefung der transatlantischen Beziehungen, also das Verhältnis zwischen Europa und Amerika. Schon bei der Debatte um die Errichtung einer US-amerikanischen Radaranlage in Tschechien zeigt sich, dass es zwischen Bürgerdemokraten und Sozialdemokraten gewisse Spannungen gibt - obwohl man auch hier nicht sagen kann, dass die einen eindeutig dafür und die anderen eindeutig dagegen wären."