Fernöstliches Kunsthandwerk als mährische Tradition: Die Indigofärberei in Strážnice
Indigo, das ist die Farbe, die unsere Jeans haben. Bevor aber diese Hose berühmt wurde, importierten die Niederlande bereits in großem Maß den Indigostrauch nach Europa. Das war ab etwa 1600. Später gelangte sie auch in die Böhmischen Länder. Das Blaufärben von Textilien wurde hierzulande unter dem Namen „Modrotisk“ bekannt. Heutzutage widmen sich nur noch zwei Werkstätten in Südmähren diesem traditionsreichen Volkshandwerk.
„In unserer Familie war es mein Großvater Cyril Joch, der als erster das Färberhandwerk zu betreiben begann. Nach seiner Berufsausbildung und der Hochzeit mit meiner Großmutter Anna Gerstberger im Jahr 1906 eröffnete er gemeinsam mit ihr eine eigene Werkstatt. In Strážnice waren sie nicht allein, doch die Konkurrenten teilten sich den Absatzmarkt auf. Mein Opa lieferte seine Produkte überwiegend in die nahe gelegenen Regionen der Westslowakei. Ich kannte ihn nicht, weil er ziemlich früh gestorben ist. Vom Hörensagen, von der Oma also, weiß ich, dass sie die gemusterten Stoffe von Zeit zu Zeit auf einen Pferdewagen luden und in die Slowakei zum Verkauf fuhren.“
Das Blaufärben garantierte eine Zeitlang ein relativ gutes Auskommen. 1914 brach jedoch der Erste Weltkrieg aus, und Cyril Joch wurde in die Armee eingezogen. Seine Frau Anna leitete nun die Werkstatt, sie musste die Produktion stark herunterfahren. Es fehlte an weißem Baumwollstoff und an der Indigo-Farbe. Nach dem Krieg kam aber ein neuer Aufschwung.1924 stirbt Cyril Joch mit 44 Jahren an Tuberkulose. Seine Frau übernimmt nun den Betrieb. Sohn František ist 15 Jahre alt und muss mithelfen. Parallel dazu lässt er sich im nahen Veselí nad Moravou / Wessely an der March zum Färber ausbilden. 1927 erhält er den Gesellenbrief und geht für zwei Jahre nach Klatovy /Klattau in Westböhmen, um Erfahrungen zu sammeln.
In den 1940er Jahren wird der kleine Betrieb einigermaßen modernisiert. Die bislang manuell bediente Wäschemangel erhält zum Beispiel einen Motor. 1949 kauft František Joch Sr. einen Dampfkessel, um die Betriebsräume zu beheizen und das Wasser zum Stärkekochen und Waschen des Stoffes zu erhitzen.
Angestellt im eigenen Betrieb – Kunsthandwerk im Kommunismus
Nach ihrer Machtübernahme (1948) beginnen die Kommunisten, alle Wirtschaftszweige der Tschechoslowakei zu verstaatlichen. 1951 müssen auch die Jochs ihr Gewerbe vorübergehend an den Nagel hängen:„Die Kommunisten haben nicht nur die großen Unternehmen verstaatlicht, sondern auch alle kleinen Werkstätten von Privateigentümern geschlossen. Kurios war, dass dies damit begründet wurde, dass man die Ausbeutung der Menschen beenden wollte. Mein Vater hat aber höchstens sich selbst und seine Familie ausgebeutet. Denn natürlich mussten alle Familienangehörigen mithelfen im Betrieb – mein Bruder Sáva und ich genauso sowie unsere Mutter und Großmutter. Doch was war das für eine Ausbeutung? In Strážnice wurden zum Beispiel auch Werkstätten geschlossen, in denen Keramikgegenstände oder Figürchen aus getrockneten Maisblättern und Holz hergestellt wurden. Die Blaudruck-Herstellung wurde jedenfalls für drei Jahre lahmgelegt. Mein Vater fand einen Ersatzjob in einer Wäscherei im nahen Hodonín.“
Ab 1953 tauchten die ersten Bemühungen auf, das traditionelle Handwerk zu retten. Auf Initiative des Kulturministeriums entstand in der Folge ein Zentrum für Volkskunsthandwerk, in diesem schlossen sich ehemalige Kleinproduzenten zusammen. Geleitet wurde das Zentrum von einer Produktionsgenossenschaft. Und die Filiale im südmährischen Uherské Hradiště / Ungarisch Hradisch bot František Joch Sr. an, dass er als Angestellter des „Zentrums“ das Blaudruck-Verfahren wieder aufnehmen könnte. Und zwar in der Werkstatt, die sich noch immer in seinem Einfamilienhaus befand, ihm aber im Grunde genommen nicht mehr gehörte. 1954 war es so weitEtwas später stieg auch František Joch Jr. als gelernter Färber in das Geschäft ein. Dabei hatte er sich als Kind schwer getan mit der Arbeit im elterlichen Betrieb:
„Ich kann mich noch gut daran erinnern. Wenn mein Bruder und ich unseren Eltern helfen sollten, ging das oft nicht ohne Streit. Viel lieber hätte ich mit meinen Freunden Fußball gespielt auf dem Platz direkt gegenüber unserem Haus. Doch man musste eben helfen. Ich war nie ein exzellenter Schüler. Deswegen bin ich nach der Grundschule bei meinem Vater in die Lehre gegangen. Es war nicht leicht, weil ich von früh bis abends die meiste Zeit mit meinen Eltern verbracht habe. Dabei wollte ich ausgehen oder lieber in einer Fabrik arbeiten. Ich glaube, erst nach dem Militärdienst hatte ich wirklich Spaß am Blaudruck. Bis heute bin ich in dem Metier tätig. Seit etwa 55 Jahren!“Viereinhalb Meter Stoff für einen Rock
Sein Vater und Großvater färbten den dicht gewebten Baumwollstoff ausschließlich als Meterware. Der dunkelblaue Stoff mit den typischen weißen Mustern wurde hauptsächlich für Trachten verwendet. Doch werden diese heute nur noch von Folkloreensembles getragen.„Wenn früher eine Kundin zu uns kam, kaufte sie, soweit ich mich erinnern kann, viereinhalb Meter Blaudruck-Stoff. Soviel brauchte man für einen Rock, der stark gerafft werden musste. Die Röcke wurden in der Regel nicht gewaschen, weil man sie praktisch nur zum Kirchgang anzog. Die Woche über lagen sie in einer Truhe. Erst wenn der Rock schon abgetragen beziehungsweise schmutzig war, wurde ein neuer gekauft. Dank der dichten Webart des Stoffes war der Blaudruck-Rock äußerst langlebig. Die Mehrheit der Frauen auf dem Lande brauchte im Schnitt zeitlebens nur zwei oder drei Stück davon.“
Unter der Regie des „Zentrums für Volkskunstproduktion“ erweiterte sich kontinuierlich das Sortiment der Färberei in Strážnice. In den Leitlinien hieß es: Die Technologie mit dem traditionsreichen Anteil an manuellen Eigenleistungen solle weiterhin eingesetzt werden, und zugleich wolle man auf die aktuelle Nachfrage reagieren. In der Praxis sah das so aus, dass man außer der Meterware zum Beispiel auch moderne Kleider, Fenstervorhänge, Tischsets und Platzdecken im Blaudruck-Verfahren anbot. An der Herstellung waren auch Designer und Schneiderinnen beteiligt, die für das „Zentrum für Volkskunstproduktion“ arbeiteten. Trotzdem handelte es sich nicht um Massenproduktion, sondern eher um ein exklusives Segment der Textilindustrie. Das lag auch am vergleichsweise hohen Preisniveau. Denn die Fertigungstechnik war anspruchsvoll und zeitaufwendig.„Die Stoffbehandlung beginnt mit einer Heißstärke für das Gewebe. Es folgt das Auspressen, Trocknen und Bügeln. Der nächste Arbeitsvorgang erfordert viel Zeit und Präzision. Man taucht die sogenannte „Reserve“ – eine kleine Form aus Holz mit einem geschnitzten Muster – in eine klebrige Masse aus Kaolin, Gummiarabikum und weiteren Chemikalien. In der Färbersprache heißt sie „Pap“. Ihr Abdruck auf dem Gewebe soll verhindert werden, dass die Indigofarbe später entlang der Baumwollfäden dorthin sickert, wo das Muster weiß bleiben soll. Der mit der „Reserve“ bedruckte Stoffstreifen, 13 Meter lang und 1,40 Meter breit, muss über eine Woche lang gründlich trocknen. Danach wird er in eine Lauge getaucht, die Indigo-Farbe enthält. Das muss mehrmals widerholt werden, weil das Gewebe erst beim Trocknen an der Luft durch die Oxidation nach und nach seinen charakteristischen dunkelblauen Farbton erhält. Abschließend wird der gefärbte Stoff gewaschen, getrocknet und gebügelt.“Färberhandwerk kehrt in Privathände zurück
Nach der politischen Wende kauften die Brüder František und Sáva Joch ihren inzwischen wesentlich modernisierten Betrieb dem Staat wieder ab. 1993 gründeten sie die Arimo GmbH. Auf die Frage, wie es heutzutage um das Interesse der Kunden bestellt sei, reagiert František Joch etwas zögerlich:„Was man nicht zum Essen und Trinken braucht, wird nicht so oft gekauft. Und unsere Produkte sind nicht lebensnotwendig. Was uns sozusagen über Wasser hält, sind die Röcke, die speziell in der Region Valašsko (Wallachei, Anm. d. Red) gefragt sind. Und zum Teil auch in der Slowakei, wo nicht mehr im Blaudruck gefertigt wird. Wichtig sind für uns auch Touristen, die ein Souvenir aus Tschechien haben wollen. Insbesondere Japaner besuchen uns ungefähr zweimal im Jahr. Sie sind jedes Mal von unserem Blaudruck-Angebot hingerissen, und das bedeutet für uns guten Umsatz.“
František Joch hat selbst keine Kinder. Dennoch besteht Hoffnung, dass die Familientradition fortgesetzt wird. Die ruht auf der 25-jährigen Tochter seiner Nichte, sie gehört zu Jochs Mitarbeitern. Das Handwerk macht ihr viel Spaß, sagt Joch. Er selbst, so der 76-jährige vitale Färbermeister, könnte als Rentner eigentlich zu Hause bleiben. Doch was würde er dort machen? Es ist eine rhetorische Frage:„Ich würde mich zu Tode langweilen. Ich besitze keinen Ackerboden, keinen Weinberg, nur einen kleinen Garten. Ab und zu gehe ich mit einem Wanderverein auf Tour oder steige aufs Rad, doch das kann man nicht ständig machen. Deswegen gehe ich lieber arbeiten.“
2004 wurde František Joch Jr. vom Kulturministerium geehrt. Er erhielt den Ehrentitel „Träger der Tradition im Volkskunsthandwerk Blaudruck“. 2014 ließ Tschechien das traditionsreiche Produktionsverfahren von der Unesco schützen – und zwar als „Erbe der Menschheit“.