Von der Zuwanderung zum Holocaust: jüdische Gemeinde Strážnice 1490-1943

Foto: Ben Skála, CC BY-SA 3.0

In der Geschichte des Königreichs Böhmen spielte seit eh und je das Phänomen ethnischer, religiöser, sprachlicher sowie kultureller Unterschiede in der Bevölkerung eine bedeutende Rolle. Dazu gehört auch das Schicksal der Juden. Während im böhmischen Landesteil die jüdische Bevölkerung vor allem in den Ballungsgebieten lebte, war sie in Mähren auf viele Städte und kleinere Ortschaften verteilt. Im Folgenden mehr über die Geschichte der jüdischen Gemeinde im südmährischen Strážnice / Straßnitz.

Foto: Dale Eurenius,  Free Images
Schon für das 13. Jahrhundert lassen sich jüdische Gemeinden in den vier wichtigsten königlichen Städten in Mähren belegen: in Olomouc / Olmütz, Brno / Brünn, Jihlava / Iglau und Znojmo / Znaim. Über ihre Herkunft gibt es nur vage Vermutungen. Bekannt ist aber, dass nach 1421 zum Beispiel ein Großteil der aus Wien und Niederösterreich vertriebenen Juden nach Südmähren ging. Abstrafungen und Ausweisungen jüdischer Gemeinschaften wegen – wie es oft hieß – „gotteslästerlicher Handlungen“ gab es jedoch auch in Mähren.



Mährische Markgraf Albrecht
Als Vorreiter gilt in diesem Zusammenhang Iglau. 1426 befahl der mährische Markgraf Albrecht, alle dort seit 80 Jahren ansässigen Juden aus der Stadt zu vertreiben. Dies geschah wegen ihrem angeblichen Einverständnis mit dem radikalen hussitischen Flügel der Taboriten. Die Häuser der Juden wurden dann unter den christlichen Einwohnern verteilt und die ausstehenden Schuldforderungen gestrichen. Viele der jüdischen Familien aus Iglau zogen in die benachbarten Ortschaften. Später ließ Albrechts Sohn, Ladislaus Postumus, die Juden auch aus Brünn, Olmütz, Znojmo und weiteren Orten vertreiben. Nach 1454 fanden viele von ihnen ihr Domizil auf den Besitzungen südmährischer Adeliger. Wie das in Strážnice war, ist aber nicht ganz klar. In jedem Fall werden die Juden dort erstmals im Jahr 1490 erwähnt. Jiří Pajer ist Historiker und Ethnologe:

Jüdischer Friedhof in Strážnice  (Foto: Jitka Mládková)
„Strážnice war damals eine relativ große Stadt von strategischer Bedeutung. Sie lag an der mährisch-ungarischen Grenze. Handfeste Belege über die Juden in Strážnice lassen sich in den Grundbüchern aus dem 16. Jahrhundert finden. Die jüdische Gemeinde war anfangs in der Altstadt angesiedelt, wo manche einen christlichen Nachbarn hatten. In der Nähe befanden sich auch die aus Holz gebaute älteste Synagoge und der Friedhof. Die Zahl der Juden wuchs kontinuierlich. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stellten sie bereits ein Zehntel der insgesamt 5000 Stadtbewohner.“

Die verschuldete Obrigkeit brauchte Geld

Wappen der Grafen von Zierotin  (Quelle: Public Domain)
Für damalige Verhältnisse war dies viel. Die ursprünglich königliche Stadt Strážnice kam mit Beginn des 14. Jahrhunderts in den Besitz von einflussreichen mährischen Adelsfamilien. Es waren zunächst die Herren von Krawarn und später die Žerotíns. Sie wollten ihre eigene wirtschaftliche Lage verbessern, und die gut betuchten Juden sollten den oft verschuldeten Herren dabei helfen. Die meisten restlichen Untertanen waren Landwirte, weswegen Strážnice seinerzeit auch als Bauernstadt bezeichnet wurde. In welchen Bereichen waren also die Juden tätig?

„Der Großteil betätigte sich im Handel. Sie waren vor allem Geschäftsbesitzer und Finanziers, einschließlich dem Geldverleih, wie dies auch anderswo der Fall war. Die historischen Quellen berichten, dass sich die Obrigkeit von Strážnice über regelmäßige Anleihen reicher Juden freuen konnte. Diese wiederum erhielten als Belohnung bestimmte Vorteile. Anfangs waren nur die wenigsten Juden Handwerker oder Weinbauer. Selbst wenn sie Grundstücke oder Güter besaßen, wurden die Arbeiten dort oft von christlichen Dienstmädchen und Knechten verrichtet. Es bestanden also nicht die ansonsten häufigen Feindseligkeiten beider Konfessionen. Die Stadtbewohner lebten im Grunde genommen friedlich miteinander.“

Graf Magni  (Foto: Archiv NÚLK,  CC BY-SA 3.0)
Dabei blieb es auch, als die jüdische Gemeinde an den Stadtrand umzog in eine etwas kompaktere Siedlung. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bewohnten ihre Angehörigen insgesamt 43 Häuser. Zudem wurde eine neue Synagoge errichtet, die erneut aus Holz war. Die Häuser in der Altstadt und die ursprüngliche Betstätte waren während der Hussitenkriege abgebrannt.

Mitte des 17. Jahrhunderts bekam die Gemeinde von Graf Magni, dem neuen italienischen Stadtbesitzer, ein Grundstück für einen neuen Friedhof geschenkt. Dorthin wurden auch die Gebeine der Vorfahren und deren Grabsteine gebracht. Die ältesten lesbaren Inschriften stammen aus dem Jahr 1648.

„Auf dem Friedhofsgelände befinden sich rund 1200 Grabsteine. Schätzungsweise fanden hier rund 3000 jüdische Mitbürger ihre letzte Ruhestätte. Zum Teil sind sie übereinander begraben. Dicht an der östlichen Mauer der Synagoge befinden sich die Gräber der Rabbiner und ihrer Familienangehörigen. Im oberen Teil des Friedhofs liegen die prominenten Juden begraben: vor allem Unternehmer, Ärzte und Rechtsanwälte, die vor Ende des 19. Jahrhunderts in der Stadt lebten. In einem anderen Teil des Friedhofs wurden Juden aus umliegenden Ortschaften bestattet. Separat wurden die Kindergräber angelegt. Es handelt sich um die typische Gliederung eines jüdischen Friedhofs entsprechend der gesellschaftlichen Hierarchie in der Gemeinde“, so Jiří Pajer.

Einzig erhaltene Mikwe in Tschechien

Foto: Ben Skála,  CC BY-SA 3.0
Auf den Grabsteinen der obersten Würdenträger sind jeweils zwei segnende Hände mit gespreizten Fingern abgebildet. Dies symbolisiert die Zugehörigkeit zum Priesterstand. Die Abbildung einer Kanne hingegen gilt als Symbol der Leviten. Nur sie durften als Nachfahren ihres Stammvaters Levi die Hände des Priesters waschen, bevor er seinen Segen erteilte.

Die hölzerne Synagoge wurde wesentlich später durch das heutige Steingebäude ersetzt.

„Die neue Synagoge entstand 1804 zunächst im klassizistischen Baustil. 1870 folgte der neuromanische Umbau. Die Synagoge ist von drei Seiten vom Friedhof umgeben, was hierzulande absolut ungewöhnlich war. Ähnliches gibt es nur noch bei der Klausen-Synagoge in Prag. Die jüdischen Friedhöfe wurden ansonsten außerhalb der Synagogen angelegt. Der genaue Grund dafür ist nicht bekannt. Auf dem kleinen Platz vor dem Gebäude wurden das Jahr hindurch auch verschiedene Feste gefeiert. Im Oktober zum Beispiel war es traditionell das sogenannte Sukkot, das ‚Laubhüttenfest‘.“

Synagoge in Strážnice  (Foto: Ben Skála,  CC BY-SA 3.0)
Zum Areal der Synagoge gehörten auch das Haus des Totengräbers sowie das Haus mit der Mikwe, dem rituellen Tauchbad der Juden. Die Mikwe ist als einzige hierzulande noch erhalten, sie es ist eine unterirdische Quelle. Heutzutage befindet sie sich im Kellerraum des jüngst restaurierten Privathauses, in dem der Stadtkenner Jiří Pajer wohnt. Das Mikwe-Quellwasser wurde einst für rituelle Waschungen verwendet. Von einem früheren jüdischen Spital lassen sich auf dem Gelände hingegen keine Spuren mehr finden.

Strážnice war früher auch ein wichtiges geistiges und kulturelles Zentrum der Region. Über die älteste jüdische Schule ist allerdings nur wenig bekannt:

Synagoge in Strážnice  (Foto: Ben Skála,  CC BY-SA 3.0)
„Schriftstücke der Stadt aus dem 16. Jahrhundert weisen aber auf den Schulunterricht für jüdische Kinder hin. Höchstwahrscheinlich fand er in der Synagoge statt. Belege für eine jüngere Schule, die aus dem 19. Jahrhundert stammen, nennen Deutsch und Hebräisch als Unterrichtssprachen. Später war es wahrscheinlich nur noch das Deutsche. Davon zeugt, dass die Grabsteine der verstorbenen Juden ab einer bestimmten Zeit nicht mehr auf Hebräisch, sondern nur auf Deutsch beschriftet wurden. Erst während der Ersten Tschechoslowakischen Republik kommt auch das Tschechische zum Vorschein.“

Foto: Jitka Mládková
Und wie war es um die Kommunikation der Stadtbewohner in Tschechisch und Deutsch bestellt?

„Die tschechisch sprachige Bevölkerung bildete in Strážnice immer die Mehrheit. Deutschsprachig waren nur die Juden und die Beamten des Grafen. Beide Minderheiten konnten sich aber auch auf Tschechisch verständigen. Umgekehrt galt dies nicht. Die tschechische Bevölkerung war nicht zweisprachig“, so Pajer.

Nur 13 Juden der Stadt überlebten den Holocaust

Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahr 1781 und insbesondere durch die Lockerung der politischen Verhältnisse in der Donaumonarchie nach 1848 erlangte die multiethnische und multikonfessionelle Bevölkerung einschließlich der Juden nie da gewesene Freiheiten. Das umschloss sowohl die Freizügigkeit, aber auch die Möglichkeiten gewisser Verwaltungsautonomie. In Strážnice bestanden dann zwei Verwaltungen und ihre Bürgermeister nebeneinander: die tschechische und die deutsch-jüdische. Die jüdische Gemeinde begann aber langsam zu schrumpfen. Besonders die Jüngeren verließen die Stadt, um eine Arbeit in Wien oder im nahe gelegenen Uherské Hradiště / Ungarisch Hradisch zu finden. Von 1900 bis 1920 sank ihre Zahl von rund 400 auf 250. Der Trend hielt auch in der Folge an, obwohl die Gemeinde eine Zeit großen Wohlstands erlebte.

Jüdischer Friedhof in Strážnice  (Foto: Jitka Mládková)
1940 lebten insgesamt 157 Juden in Strážnice. Die deutschen Besatzer deportierten sie im Januar 1943 ins Konzentrationslager Terezín / Theresienstadt und später meist nach Auschwitz. Nur 13 von ihnen überlebten den Holocaust und kehrten nach dem Krieg zurück in ihre Heimatstadt. Die anderen sind in den KZs und Vernichtungslager ermordet worden.

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