Festival „Praha září“ oder Probleme der Kulturbranche in Zeiten von Corona
Die Kultur ist einer der gesellschaftlichen Bereiche, die am härtesten von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen sind. Im Gegensatz zu Deutschland können in Tschechien zwar derzeit größere Veranstaltungen stattfinden. Aber sie sind mit strengen Vorschriften belegt. Diese ermöglichen es den Organisatoren kaum, die finanziellen Ausfälle des letzten halben Jahres zu kompensieren. Und staatliche Hilfsprogramme greifen nur begrenzt.
Die Kultur hat es schwer, und für die nahe Zukunft ist kaum eine Besserung in Sicht. Seit dem 1. September gelten im Land wieder strengere Hygienevorschriften, um der Verbreitung des Corona-Virus entgegenzuwirken. Größere Veranstaltungsorte müssen in Sektoren aufgeteilt werden, in denen sich nicht mehr als 500 Menschen in geschlossenen Räumen beziehungsweise 1000 im Freien aufhalten sollen. In Innenräumen muss weiterhin ab einer Besucherzahl von 100 der Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Desinfektionsmittel sind allerorts inzwischen schon Normalität.
Von diesen äußeren Bedingungen abgesehen, ist auf den ersten Blick nicht gleich zu erkennen, was die Corona-Krise für einzelne Akteure bedeutet. Die Publizistin und Kulturredakteurin beim Tschechischen Rundfunk, Veronika Štefanová, fasst zusammen:
„Die Auswirkungen auf die Kultur sind fatal. Die Lage jetzt ist genauso schlecht, wenn nicht noch schlimmer als im Frühjahr. Der Kultur- und Kunstbereich ist abhängig von Planungssicherheit, die momentan überhaupt nicht gegeben ist. Für einige Organisationen und Einzelpersonen kann diese Situation in den nächsten Monaten das Aus bedeuten.“
Die Betroffenen gehen unterschiedlich damit um. Einige setzen auf eindringliche Appelle an die Politik, wie etwa die Initiative #zazivouhudbu (Für Live-Musik). In einem offenen Brief an Premier Andrej Babiš (Partei Ano) benennt sie die Zahl von 130.000 Angehörigen der Musikbranche, deren Forderung nach staatlicher Hilfe sie vertritt. Kulturminister Lubomír Zaorálek (Sozialdemokraten) hielt eine kurze Ansprache auf ihrer Protestveranstaltung am 27. Juli in Prag, zu der nach eigenen Angaben mehr als 1000 Menschen kamen.
Andere Akteure versuchen, mit den eingeschränkten Mitteln weiterzumachen. David Gaydečka organisiert das Festival „Praha září“ („Prag strahlt“ oder auch „September-Prag“), um die Gemeinschaft mit dem Publikum herzustellen und einen optimistischen Blick in die Zukunft zu richten:
„Dieses Festival soll die Botschaft verbreiten, dass wir langsam wieder zur Normalität zurückkehren können. Dass die Kulturszene die Situation überleben und im nächsten Jahr wieder in Ordnung sein wird. Wir meinen, dass es schlecht wäre, für dieses Jahr schon alles dichtzumachen und so zu tun, als käme da nichts mehr. Denn das könnte lange nachwirken und die Menschen könnten das Gefühl bekommen, dass Kultur überflüssig ist und nicht sein muss.“
Genügend Grund, für dieses Jahr dichtzumachen, hätte der Mann. Er ist Mitorganisator des Metronome-Festivals in Prag, das im vergangenen Jahr 18.000 Zuschauer zählte. Zu seinem traditionellen Termin im Juni konnte es dieses Jahr nicht stattfinden. Darum veranstalten Gaydečka und sein Team nun im September eine Halb-Version, wie sie es nennen, und zwar als einen der vielen Programmteile von „Praha září“.
Das kulturelle Ereignis „Praha září“ könnte als Mega-Festival bezeichnet werden, als Festival im Festival. Die Organisatoren von sieben solcher Veranstaltungen haben sich zusammengeschlossen, um ihre im Frühsommer ausgefallenen Programme zumindest teilweise nachzuholen. So stellt sich ein umfangreiches Programm an Konzerten, DJ-Sets, Theater- und Filmaufführungen sowie Kunstinstallationen zusammen, das vom 8. bis zum 28. September präsentiert wird. Dafür wurde ein weitläufiges, parkähnliches Areal auf dem Prager Messegelände in die vorgeschriebenen Sektoren für je 1000 Leute geteilt und ein System der smarten Quarantäne vorbereitet.
Das Organisationsteam von „Praha září“ setzt auf gegenseitige Solidarität und Selbsthilfe. Denn derzeit eine solche Großveranstaltung zu organisieren, ist ungewohnt schwierig, wie Veronika Štefanová verallgemeinernd erläutert:
„Das Festival ist kleiner, von kürzerer Dauer und wird von weniger Zuschauern besucht. Man darf nämlich nur 500 Menschen in einen geschlossenen Raum lassen, und diese müssen einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Alles muss dauernd desinfiziert werden, überall muss Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen – was in der heutigen Zeit schon Standard ist. Aber die Kosten dieser Veranstaltung sind immer noch die gleichen, und sie sind hoch. Zahlende Gäste gibt es aber weniger.“
Quer durch den Kulturbereich bestätigen Veranstalter, dass sich zurzeit kaum Eintrittskarten verkaufen, schon gar nicht im Vorverkauf. Der Umsatz liegt bei nur 28 Prozent der Vor-Corona-Zeiten. Auch Gaydečka weiß, dass die Menschen im Moment vorsichtig sind und ihre kulturellen Aktivitäten nicht allzu weit in der Zukunft planen. Darum ist das Programm von „Praha září“ kostenlos:
„Wir waren uns einig, dass das Angebot kostenlos sein sollte. Die Menschen haben immer noch Bedenken, sich Karten im Vorfeld zu kaufen, weil sie im Frühjahr im Vorverkauf für etwas bezahlt haben, was dann nicht stattgefunden hat.“
Sponsoren und Partner gibt es eine ganze Reihe. Trotzdem weiß der Veranstalter bis zur Beendigung des Festivals nicht, ob er sich finanziell danach im schwarzen oder roten Bereich befinden wird. Immerhin hat Gaydečka als Mitinhaber eines größeren Kulturunternehmens relativ stabile Strukturen hinter sich. Für Veranstaltungen im kleineren Rahmen und im nicht gewinnorientierten Kulturbereich ist die Situation schwieriger, sagt Štefanová:
„Man kann das nicht für den ganzen Kulturbereich verallgemeinern. Das System und die Struktur, wie einzelne Organisationen oder Künstler arbeiten, sind kompliziert. Es wäre nicht fair zu sagen, dass es jemanden härter getroffen hat als andere. Denn wir haben im Moment keine genauen und harten Daten. Aber dieser Kulturbereich ist wirklich sehr breit.“
Daten werden derzeit vom Institut umění – Divadelní ústav / dem Kunst- und Theaterinstitut, das dem Kulturministerium unterstellt ist, in Zusammenarbeit mit Hochschulexperten gesammelt. Diese können in naher Zukunft vielleicht zu einer besseren staatlichen Hilfe für die Kulturbranche beitragen. Die aktuellen Corona-Hilfsprogramme sind nach Ansicht der Kulturschaffenden nicht ausreichend und schließen viele Akteure sogar aus. Gaydečka berichtet aus eigener Erfahrung:
„Ich muss sagen, dass der Staat total langsam ist. Es ist unglaublich. Ich gebe mein eigenes Beispiel: Ich bin seit März in meiner sechsköpfigen Familie der Einzige, der eine Ausgleichszahlung bekommen hat, und zwar in einer Höhe von 44.500 Kronen. Das sind umgerechnet etwa 1.600 Euro. Auf die einzelnen der sechs Monate aufgeteilt, haben wir zu Hause zu sechst etwas mehr als 250 Euro zur Verfügung gehabt. Das sind für jedes Familienmitglied nicht einmal 45 Euro im Monat.“
Das neueste Hilfsprogramm des Kulturministeriums zur Unterstützung der Kreativindustrie soll „verpasste Kosten“ ersetzen. Dazu kommentiert Veronika Štefanová:
„Dafür steht eine Summe von 900 Millionen Kronen (34,1 Millionen Euro) bereit. Aber die Frage ist, wer darauf tatsächlich Anspruch hat. Ein Musiker, der zu Hause ist und sich auf ein Konzert vorbereitet oder ein Festival, von dem nicht klar ist, ob und wann es stattfindet, kann keine ‚verpassten‘ Kosten nachweisen. Für ihn greift dieses Programm nicht und wahrscheinlich auch kein anderes Programm.“
David Gaydečka und seine Mitstreiter sprechen den Bemühungen der Minister für Kultur wie auch für Industrie und Handel indes ihre Anerkennung aus und versuchen, in gemeinsamen Verhandlungen eine Verbesserung der Bedingungen zu erreichen. Davon erhoffen sie sich vor allem, schnelle und klare Aussagen darüber, wie diese im nächsten Jahr aussehen werden. Ohne konkrete Zusagen könnte das kommende Jahr für Veranstaltungen wie das Metronome Festival sehr schwer werden. Seinen Optimismus will sich Gaydečka nicht gänzlich nehmen lassen:
„Wir können noch gar nicht zusagen, ob es im nächsten Jahr stattfindet oder nicht. Sonst müssten wir es eventuell wieder absagen. Aber es ist geplant. Wir hoffen, dass wir jetzt im September oder Oktober zumindest bestätigen können, dass nächstes Jahr wieder alles normal abläuft. Wenn wir der Regierung und den Medien glauben können, ein wenig optimistisch sind und uns nicht weiter gegenseitig Angst machen, dann werden sich die Menschen vielleicht auch wieder Eintrittskarten im Vorfeld kaufen, vielleicht als Weihnachtsgeschenk, und sich auf das Festival freuen.“
Das größte Hindernis für die Arbeit in der Kulturbranche ist und bleibt die Unsicherheit.