Film um Film: Karlsbader Festival-Splitter

Zum 42. Mal bereits lockt in diesen Tagen das Karlsbader Filmfestival Kinoliebhaber und Filmemacher in den westböhmischen Weltkurort. Das kleinste der so genannten A-Festivals mit internationalem Renommee zeichnet sich vor allem durch seine familiäre Atmosphäre aus - großes Kino zum Anfassen. Thomas Kirschner war für Radio Prag in Karlovy Vary / Karlsbad und hat sich umgeschaut, was sich auf und neben der Leinwand so tut.

Karlsbad
Karlsbad - eigentlich ein verschlafenes Kleinstädtchen an der Eger mit behäbigen Straßencafes und ältlichen Herrschaften, die an den Sprudelkolonnaden ihr Heilwasser aus den typischen Schnabeltassen trinken - ein Kurort eben. Einmal im Jahr aber gibt es ein anderes Karlsbad: In jedem Sommer wird die Stadt für eine Woche zum Nabel der Kinowelt, und das bereits seit 42 Jahren. Tausende Gäste, Filmplakate in der ganzen Stadt und Partys bis ins Morgengrauen und vor allem Kino von früh bis spät:

"Karlovy Vary ist das größte Filmfestival in Mittel- und Osteuropa. Hierher kommen Filmverleiher und Produzenten aus der ganzen Welt, und es gibt Gelegenheit, sich das anzusehen, was weltweit im Kino passiert, und das ist wirklich wichtig",

so Festival-Geschäftsführer Krystof Mucha. Weit mehr als 200 Filme werden an den neun Festivaltagen in insgesamt 13 Kinos und Vorführsälen gezeigt. Zu sehen gibt es das aktuelle Kinoschaffen weltweit, von Armenien bis Neuseeland, aber auch Retrospektiven und Klassiker. Mehr als 95.000 Karten wurden in den ersten sechs Festivaltagen bereits verkauft; über 8000 Kinofans haben sich gleich einen mehrtägigen Festivalpass besorgt. So auch diese beiden Schülerinnen aus Cesky Krumlov, die die erste Sommerferienwoche im Kino verbringen:

Jan Sverak  (Foto: CTK)
"Ich mag Kino und hier möchte ich ein paar Filme sehen, die ich sonst nirgendwo sehen kann. Hier kann man sich für wenig Geld einen Haufen Filme anschauen, die ganze Woche lang! Und dann gibt es noch eine Menge anderer Dinge: die Atmosphäre, die Konzerte und das alles."

"Vor allem sind hier eine Menge Leute, und es macht einfach Spaß, hier zu sein. Die Filme verbinden die Menschen hier, das mag ich."

Das bestätigt gegenüber Radio Prag auch Oskar-Regisseur Jan Sverak, der 1996 mit dem Film "Kolja" für den größten internationalen Erfolg des tschechischen Kinos der letzten Jahre gesorgt hat:

"Das Karlsbader Festival ist vor allem schön, weil man jedes Jahr dahin fahren und die Atmosphäre erleben kann - man muss nicht darauf warten, irgendwohin eingeladen zu werden. Das Festival hat eine wunderbare Stimmung dadurch, dass es in diesem kleinen Kur-Städtchen stattfindet. Alles ist ganz nah und intim, und zugleich sind jede Menge Leute da, viele Stars und schöne Filme - das ist einfach ein intensives Erlebnis."

Ein intensives Erlebnis wird das Festival in diesem Jahr für Regisseur Jan Sverak ganz bestimmt - der 42-Jährige streitet mit um den Hauptpreis des Festivals, den Kristallglobus. Und auch in den anderen Wettbewerbskategorien sind tschechische Filme vertreten, weiß Festival-Geschäftsfüher Krystof Mucha:

"Im Hauptwettbewerb läuft von Jan Sverak der Film ´Vratne lahve´- ´Leergut´, in der Wettbewerbs-Reihe ´ Von Westen ostwärts´, die auf das mitteleuropäische Kino fokussiert ist, tritt ´Pravidla lzi´ - ´Die Regeln des Lügens´ von Robert Sedlacek an. Außerdem gibt es noch zwei tschechische Filme im Dokumentarfilm-Wettbewerb."

Hotel Termal
Tschechische Elemente hat auch der Film des deutschen Regisseurs Michael Schorr "Schröders wunderbare Welt". In einem gigantischen Projekt soll in einer Braunkohlengrube im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien ein tropischer Freizeitpark entstehen:

"Noch mag es ein Dreckloch sein. Aber was ich hier sehe, ist das zukünftige Tropenparadies - der Lagunenzauber!",

so der jugendliche Visionär Schröder, der nicht nur einen Investor, sondern vor allem auch die Menschen vor Ort überzeugen muss. Ein gemeinsam gekochter Riesenknödel soll die drei Nationen zusammenbringen. Klar, dass das Projekt wegen Engstirnigkeit und Rivalität auf allen Seiten der Grenzen bald aus den Gleisen zu laufen droht. Hat den Zuschauern der deutsch-tschechisch-polnische Tropenmix gefallen?

"Ja, ganz bestimmt. Ich glaube der Film, hat die Mentalitäten der drei Nationen gut getroffen, und auch die kulturellen Unterschiede sind gut und witzig aufgespießt worden."

"Das war ein ganz interessanter Eintopf - ziemlich seltsam, und ich meine, das verbindende Hauptelement war nicht der Riesenknödel, sondern das Bier."

Bier, das fließt auch rund um die Festivalzentrale im Karlsbader Hotel Thermal reichlich. Petr Hajn von der Brünner Produktionsgesellschaft direct film darf sich allerdings nur ausnahmsweise ein Glas erlauben: Er begleitet das Festival mit der Kamera. Die Aufgabe: Neun Festival-Tage in einem Zehn-Minuten-Film zusammenfassen. Spannend für ihn: wie aus dem ziemlich angegrauten Hotel Thermal für eine Woche ein lebendiges Kino-Raumschiff wird:

"Für mich sind die Änderungen des Festival-Hotels besonders: Zwei drei Tage vorher werden hier wegen dem Festival überall Plakate und Tafel aufgehängt - normalerweise ist das ein ganz normales Siebziger-Jahre-Hotel."

Die Karlsbader Melange aus Staub und Charme macht auch für den Dokumentarfilmer Hajn den Reiz des Festivals aus:

"Die Leute, die sind sich sehr nah hier - auch die Megastars kann man hier ganz normal treffen."

Es sei denn, man ist mit ihnen verabredet - so wie Petr Hajn zum Interview mit Festival-Stargast Renee Zellweger:

"Aus Prag kommt gerade ein Truck mit Licht- und Soundequipment, aber seit zehn Minuten weiß ich, dass unser Interview gar nicht sicher ist. Das ist die Realität - spannende Festivalatmosphäre."

Ganz andere Festivalatmosphäre herrscht derweil im historischen Karlsbader Stadttheater. Hier steht eine besondere deutsch-tschechisches Filmpremiere an. Vladimir Opela, Direktor des Nationalen Filmarchivs, präsentiert Fritz Langs Zweiteiler "Die Spinnen":

Festivalteilnehmer  (Foto: CTK)
"Das ist ein Film, der die Abenteuerstreifen der 20er Jahre vorwegnimmt: Exotik, die Kolonialära, Geheimnisse und ähnliches."

Der Film steht für ein Stück deutsch-tschechischer Kinogeschichte, denn die Originalkopien haben sich nur in Tschechien erhalten. Das Filmarchiv kann nun erstmals die aufwendig rekonstruierte Fassung des Streifens präsentieren - die älteste Premiere des Festivals, so Vladimir Opela:

"Das ist ganz sicher! Der Film von Fitz Lang ist aus dem Jahr 1919 - ich bin sicher, dass uns da niemand übertrifft. Das Nationale Filmarchiv beteiligt sich schon seit zehn Jahren an dem Festival. Wir haben dem Festival einige gerade restaurierte Werke angeboten, und in diesem Jahr zeigen wir ´Die Spinnen´ - ein Film, der noch nie zuvor in die Ursprungsfassung von Regisseur Fritz Lang zurückversetzt worden ist - auch in Deutschland nicht."

Bleibt eigentlich nur die Frage: Wie kann man das eigentlich körperlich schaffen: Neun Tage Kino aus aller Welt von morgens bis abends, und daneben noch Konzerte und Partys?

"Naja, man kann es überleben. Zum Beispiel, wenn man dann ein paar Wochen keinen Film mehr anschaut, dann geht's. Das ist ein bisschen ungewöhnlich so, aber schön",

meinen unsere Festival-Teilnehmerinnen aus Cesky Krumlov. Das beste Festival-Rezept gegen Kino-Erschöpfung, das hat aber dieser junge Mann:

"Man muss einfach den nächsten Film anschauen, der holt einem aus dem Loch wieder raus."