„Fühle mich in keiner Weise als Deutscher“ - Philosoph und Hochschullehrer Nikolaus Lobkowicz

Nikolaus Lobkowicz (Foto: Barbora Kmentová)

Er ist eine der Persönlichkeiten, die in den tschechisch-deutschen Beziehungen des auslaufenden Jahres im Vordergrund standen: Nikolaus Lobkowicz oder, auf Tschechisch, Mikuláš Lobkowicz wurde im Herbst vom tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg mit dem Preis „Gratias Agit“ geehrt. Der Philosoph, Politologe und Hochschullehrer mit adligem Stammbaum ist amerikanischer Staatsbürger, lebt seit den 60er Jahren in Deutschland, wurde aber in Prag geboren. Viele Jahre leitete er die Maximilian-Universität München und die Katholische Universität Eichstädt. Im Folgenden ein Porträt von Nikolaus Lobkowicz.

Nikolaus Lobkowicz  (Foto: Barbora Kmentová)
Die Familie Lobkowicz ist eines der ältesten und bedeutendsten Adelsgeschlechter in Böhmen. Ihr Stammbaum reicht bis ins Mittelalter zurück. Nikolaus Lobkowicz wurde 1931 in Prag als Nachfahre dieses alten Fürstengeschlechts geboren, macht aber von den ererbten Titeln keinen Gebrauch mehr. Er ging auf ein Gymnasium in seiner Heimatstadt an der Moldau, bis seine Familie wegen der Machtergreifung der Kommunisten 1948 ihre Heimat verlassen musste.

„Ich habe zunächst in der Schweiz mein Abitur gemacht. Anschließend habe ich in der Schweiz, in Fribourg studiert, und zwei Jahre nach meinem Doktorat, das war im Jahr 1958 oder 1959, bin ich nach Amerika gegangen, wo ich zehn Jahre geblieben bin. Danach bin ich an die Münchner Universität gegangen“, erzählt er.

Ursprünglich hatte Nikolaus Lobkowicz damit geliebäugelt, Jesuit zu werden. Doch dann entdeckte er seine Vorliebe für die Philosophie und noch in der Schweiz promovierte er über Martin Heidegger. Außerdem gründete er eine Familie.

University of Notre Dame  (Foto: Derek Jensen)
Doch auch weiter stand er der Theologie sehr nahe. So führte ihn in den Vereinigten Staaten der Weg an die katholische University of Notre Dame in Indianapolis. Die schönste Zeit seines Lebens, wie er einmal gesagt hat. Auch die offene Art wissenschaftliche Diskussionen unter Kollegen zu führen, sagten ihm mehr zu als die Eigenbrötlerei an deutschen Universitäten. Der Exil-Tscheche ohne staatliche Zugehörigkeit nahm deswegen sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Nikolaus Lobkowicz glaubte, er werde sich in den USA niederlassen, bis er aber dennoch Ende der 60er Jahre einem Ruf an die Universität in München folgte. In der bayerischen Landeshauptstadt übernahm er den Lehrstuhl für politische Theorie und Philosophie.

Starnberger See  (Foto: Michael Knall)
„Seither habe ich in Deutschland gelebt, zunächst in München und jetzt am Starnberger See. Aber ich fühle mich in keiner Weise als Deutscher (lacht). Ich habe einen tschechischen und einen amerikanischen Pass. Und die Tatsache, dass ich kein Deutscher bin, gibt mir auch die Freiheit selbständig zu denken in Deutschland.“

Zu Deutschland hat Nikolaus Lobkowicz eine eher pragmatische Beziehung, scheint es. Was verbindet er mit diesem Land, in dem er Zuflucht gefunden hat? Er sucht nach den richtigen Worten:

Nikolaus Lobkowicz
„Sagen wir so: Ich habe Deutschland noch erlebt zu einer Zeit, als die Hauptsorge war, ehemalige Nazis aus den Positionen zu vertreiben. Deutschland ist ein ganz normaler, wirtschaftlich erfolgreicher Rechtsstaat in der Mitte Europas geworden. Was mir besonders am Herzen liegt, wüsste ich gar nicht. Aber ich fühle mich, nachdem ich so lange dort lebe, auch in Deutschland zu Hause.“

Seine Heimat, die verortet der Wissenschaftler indes anderswo:

„In einer Weise ist Prag ständig meine Heimat. Ich kenne jede Ecke - und die Jugend, die man irgendwo verlebt, ist am meisten die Heimat. Also in einer Weise ist Prag für mich die Heimat, obwohl ich hier keine Wohnung habe und hier nur zweimal oder dreimal im Jahr bin. Aber nachdem ich auch noch fließend Tschechisch spreche, fühle ich mich hier völlig zu Hause.“

Ludwig-Maximilian-Universität  (Foto: Gryffindor)
Doch die Karriereleiter ist Nikolaus Lobkowicz in Deutschland emporgestiegen. In großen Schritten führte ihn diese bis an die Spitze der Ludwig-Maximilian-Universität, die er als Rektor von 1976 bis 1982 leitete. Danach war er Präsident der Katholischen Universität Eichstätt. Er übernahm aber auch viele weitere Ämter und Funktionen, zum Beispiel als Mitglied des Zentralkomitees Deutscher Katholiken oder als Vizepräsident der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Salzburg.

All die Jahre hat er eines indes nicht probiert: zurück in seine ehemalige Heimat zu fahren, als die damalige Tschechoslowakei noch kommunistisch beherrscht war. Nicht einmal während der Reformbewegung des Prager Frühlings habe er das versucht, gesteht er:

„Ich bin nie zurückgekommen, weil ich immer Angst hatte. Ich erinnere mich an einen Fall, da habe ich irgendwo einen Vortrag gehalten. Es war, glaube ich, in Jugoslawien. Und als wir über Prag waren, hieß es, wir müssten leider landen, weil irgendeine Panne ist. Und ich dachte mir: Auwei, jetzt landen wir in Prag und die holen mich aus dem Flugzeug heraus! Nein, ich habe immer Beziehungen gehabt hierher und habe auch Verwandte gehabt, die hier sind. Ich bin dazwischen aber nie in das Land gekommen. Ich habe es auch gar nicht versucht, weil ich durch meine verschiedenen Veröffentlichungen zu bekannt war. Und ich wusste, dass ich sofort irgendwo in einer Schublade verschwinden würde.“

1989
Erst nach der Wende von 1989 eröffnete sich die Möglichkeit der Rückkehr. Es war praktisch nach einem halben Jahrhundert, und Nikolaus Lobkowicz kann sich an die Umstände noch heute sehr genau erinnern:

„Es war bewegend: Ich musste einen Vortrag halten an der Karlsuniversität, der verbunden war mit einer Ehrung. Und ich hatte viele Jahre hindurch nicht mehr Tschechisch gesprochen, musste den Vortrag aber auf Tschechisch halten. Anschließend gab es eine Diskussion. Und da erlebte ich etwas ganz Seltsames, dass Wörter, von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass ich sie kenne, sozusagen aus meinem Unterbewusstsein plötzlich auftauchten und mir wieder präsent waren. Seither habe ich öfter Tschechisch geschrieben. Ich habe einen tschechischen Dichter übersetzt, es war mir also immer irgendwo präsent. Leider ist es mir aber nicht gelungen, meiner Familie die Sprache beizubringen – wir haben immer Deutsch gesprochen.“

Preis „Gratias Agit“  (Foto: Barbora Kmentová)
Nikolaus Lobkowicz wird als konservativer Katholik bezeichnet. Das Wort schmeckt ihm allerdings wenig, konservativ werde im Deutschen meist mit nationalistisch assoziiert und genau das sei er nicht, sagt er. Aber seine religiöse Überzeugung hat ihn im Jahr 2002 noch einmal eine wichtige Aufgabe eingebracht. Als die katholisch-theologische Fakultät der Prager Karlsuniversität in eine Krisensituation geraten war, übernahm er die Leitung und rettete den Bestand der Fakultät. Auch diese Tat hat Nikolaus Lobkowicz nun im Oktober den Preis „Gratias Agit“ eingebracht, den der tschechische Außenminister verleiht:

Gratias Agit 2011: Karel Schwarzenberg und Nikolaus Lobkowicz  (Foto: Barbora Kmentová)
„Es ist natürlich ein Preis für das, was ich für Böhmen und für die Tschechoslowakische Republik getan habe, als Wissenschaftler und durch verschiedene Veranstaltungen, meine Betreuung der theologischen Fakultät und so weiter. Es ist der Ausdruck des Dankes für dies, was ich für dieses Land getan habe.“