Genscher und die Botschaftsflüchtlinge: 25 Jahre später in Prag

Foto: ČTK

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag stand am Dienstag im Zeichen des Erinnerns an 1989. Am 30. September des Jahres hatte der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vom Balkon der diplomatischen Vertretung verkündet, dass die Ausreise von mehreren Tausend Flüchtlingen aus der DDR nach Westdeutschland möglich sei. Genau 25 Jahre später trafen rund 150 damalige Flüchtlinge, aber auch Politiker von damals und heute zu einer gemeinsamen Feier in Prag zusammen.

Botschaftsflüchtlinge 1989  (Foto: YouTube)
So emotional wie im Spätsommer 1989 war die Atmosphäre in der deutschen Botschaft am Dienstag dieser Woche nicht mehr. Dennoch bewegte das Zusammentreffen ein Vierteljahrhundert später alle Beteiligten von damals. Marion Enders war vor 25 Jahren aus Suhl in Thüringen nach Prag gefahren. Heute lebt sie in Heilbronn:

„Ich komme nach 25 Jahren das erste Mal wieder hierher. Ich bin damals, im Jahr 1989, mit dem ersten Zug in die Freiheit gefahren. Es ist für mich sehr bewegend, und es ist für mich eine Gelegenheit, mich bei Ihren Landsleuten zu bedanken. Ich kannte Prag nicht. Ich kam auf dem Bahnhof an und wusste nicht wohin. Ich habe einen Taxifahrer angesprochen und habe gemerkt, dass er Angst hatte. Er sagte Nein und schloss die Tür wieder ab. Ich hatte noch mehr Angst und habe den nächsten Taxifahrer gefragt. Er hat mich sehr zweifelnd angesehen und gefragt, wo ich hinmöchte, und dann hat er gesagt: OK. Und dafür möchte ich mich von Herzen bedanken.“

Hans-Dietrich Genscher  (Foto: ČTK)
Dankeswörter waren bei der Feier oft zu hören. Sie waren an die Helfer von damals gerichtet, aber vor allem an den einstigen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. Über die Ereignisse vom September 1989 sagte der FDP-Politiker:

„Es war die glücklichste Stunde meines politischen Lebens. Und es war eine Stunde großer Dankbarkeit, nach meinem eigenen Weg, der mich auch aus der DDR weggeführt hatte, nun hier sagen zu können: Auch für Euch ist der Weg frei! Das ist unvergesslich.“

Frank-Walter Steinmeier  (links). Foto: ČTK
Bei der Feier zugegen war auch der amtierende Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier:

„Ich bin berührt, dass ich hier an diesem Ort stehen darf, 25 Jahre später, an dem viele Menschen in ihrem unstillbaren Wunsch nach Freiheit buchstäblich Hürden und Zäune überwunden haben und hier Zuflucht gefunden haben.“

Der tschechische Außenminister Lubomír Zaorálek hob die Bedeutung der Ereignisse in der Botschaft für die tschechische Gesellschaft hervor:

Lubomír Zaorálek  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wir haben das mit Bestürzung gesehen. Die Bürger waren in Ost-Deutschland so verzweifelt, dass sie bereit waren, alles stehen und liegen zu lassen, um flüchten zu können. Es war ein Zeugnis dafür, dass man in unserem realen Sozialismus nicht leben kann. Auch für die Tschechoslowakei bedeutete dies ein großes Versprechen, dass möglicherweise auch hierzulande die Fesseln gesprengt und wir frei sein würden.“

Bei einer Zeitzeugendebatte ordnete Hans-Dietrich Genscher die Ereignisse in einen breiteren Rahmen der europäischen Einigung ein:

Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag  (Foto: ČTK)
„Hier in Prag haben die Menschen, die Prager, gehofft, dass das mit der Botschaft klappt. Denn sie wussten, wenn die Tore der Botschaft aufgehen, dann wird sich auch in der Tschechoslowakei etwas tun. Das heißt, nach dieser blutigen europäischen Geschichte von Bruderkriegen und Weltkriegen haben wir plötzlich einen Zeitpunkt erlebt, an dem sich die Völker Europas in ihren Hoffnungen und ihren Wünschen, aber auch in ihren Sorgen so nahe standen wie niemals zuvor in ihrer Geschichte. Damals ist Europa in einem gewissen freiheitlichen Sinne neu geboren worden. Das sage ich an die Adresse derjenigen, die überall in unseren Mitgliedsstaaten an der europäischen Einigung herummäkeln, anstatt zu erkennen, dass es die Zukunft für die Völker Europas nur gemeinsam geben kann.“