Geschichten von der Schattenseite der Welt
Es sind keine angenehmen Bilder, die seit Mitte dieser Woche auf dem Altstädter Ring zu sehen sind: Zerstörte Häuser, schwer verletzte Menschen, Leichen, auf der Strasse oder am Wegesrand. Es sind genau die Bilder, bei denen man wegschaut, wenn sie abends in den Fernsehnachrichten gezeigt werden. Trotzdem strömten die Besucher zur Eröffnung der Fotoausstellung "Stories", "Geschichten", in großen Scharen herbei. Denn die Bilder, die da im Altstädter Rathaus zu sehen sind, stammen von Jan Sibik, dem derzeit wohl erfolgreichsten Pressefotografen der Tschechischen Republik. Anneke Hudalla hat sich bei der Vernissage umgesehen.
Wie oft Jan Sibik diese Fragen wohl schon beantwortet hat: Wie haben Sie das gemacht? Wie konnten Sie genau diese Situation fotografieren? Typische Fragen eines Foto-Laien. Jan Sibik beantwortet sie gerne noch einmal. Umgeben von einer Besuchertraube geht er von Bild zu Bild und erzahlt wie das war, damals, als er genau diese Szene fotografiert hat.
"Manchmal ist es einfach nur Glück", sagt er. Doch Glück ist ein seltsames Wort für das, was Sibik in den letzten 20 Jahren erlebt hat. Über 200 Reportagereisen hat der 43jährige, magere Mann mit den halblangen, blonden Locken in dieser Zeit unternommen. Reisen meist auf die Schattenseite der Welt. Sibik hat den Fall der Berliner Mauer fotografiert, Kindersoldaten in Liberia, AIDS-Kranke in der Ukraine und den Alltag im scheinbar undurchdringlichen Nordkorea. Und herausgekommen sind dabei Bilder von schlichter Klarheit und großer Kraft.
"Es kommt nicht darauf an, was man fotografiert, sondern wie man es fotografiert", sagt Sibik. "Ich befolge eigentlich nur eine einzige, einfache Regel: Wenn die Menschen nicht wollen, dass ich sie fotografiere, dann tue ich das auch nicht. Und ein gutes Foto entsteht, wenn man es schafft, Information, Spannung, Emotionen und Ästhetik in einem Bild zu vereinigen. Je besser das gelingt, desto eher wird das Bild das jeweils gezeigte Ereignis überdauern."
Tatsächlich könnte man manche Bilder der Ausstellung eher für Ölgemälde als für Fotos halten. Denn Sibiks ganz großes Talent besteht im überraschenden Umgang mit Licht und Farben. Trotzdem sind es vor allem die Themen der Bilder, die auch die meisten Besucher der Vernissage unweigerlich in den Bann ziehen. "Ich war als Ärztin drei Wochen in Kenia und ich finde es sehr wichtig, dass diese Bilder hier gezeigt werden, damit die Leute erfahren, was in der Welt los ist - viele Leute wissen das nämlich nicht", sagt Ludmila Rypova. "Ich denke, Sibik macht diese Bilder, weil er daran glaubt, den Menschen damit zu helfen, weil er weiß, dass diese Arbeit einen Sinn hat. Dass die Bilder auch noch schön sind, ist dabei, denke ich, zweitrangig", meint Petr Stepan.Jan Sibik hat mit seinen Bildern nicht nur zahlreiche Preise im In- und Ausland gewonnen. Er hat seine Popularität auch dazu genutzt, um Spenden für die Menschen zu sammeln, die er zuvor fotografiert hatte. 30 000 Euro sind so zum Beispiel zur Unterstützung von AIDS-Kranken in Odessa zusammengekommen, die Sibik, wie er selber sagt, besonders am Herzen liegen. "Als Person zeichnet sich Jan Sibik vor allem dadurch aus, dass er einfache Wahrheiten ablehnt", beschreibt der Filmregisseur Jan Hrebejk seine Erfahrungen mit dem berühmten Fotografen. "Und er ist einfach ein aufrechter Mensch."