Gespräche mit Zeitzeugen: Begleitprogramm der Zwangsarbeit-Ausstellung auf der Prager Burg
Auf der Prager Burg im Schloss Belvedere ist derzeit die Ausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“ zu sehen. Parallel dazu gibt es im September und im Oktober ein Begleitprogramm, das vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, der Gesellschaft Živá paměť und der Stiftung Forum 2000 organisiert wird.
„Entweder waren sie als Zivilarbeiter in Deutschland eingesetzt, oder sie wurden inhaftiert und im Rahmen von Konzentrationslagern zu Zwangsarbeit herangezogen“, erklärt der Geschäftsführer des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, Tomáš Jelínek.
Eine der Zeitzeuginnen, die an diesem Abend geladen sind, ist Jarmila Pláteníková. Die 90-jährige Tschechin engagierte sich als junges Mädchen im Widerstand gegen das NS-Regime, später erhielt sie einen Appell für Zwangsarbeit in Deutschland. Über Umwege kam sie in die schlesische Stadt Sackisch, heute Zakrze in Polen. Im Jahr 1943 war sie dort zunächst in einem Lager für Zwangsarbeiter, „Barackenstadt“ genannt, interniert.„In dieser Barackenstadt gab es eine Fabrik, dort wurden Motoren für die VDM-Luftfahrtwerke in Frankfurt am Main produziert. Wir haben also für eine Fabrik in Frankfurt am Main gearbeitet, waren aber selbst in Polen.“
In dem Lager für Zwangsarbeiter waren die Zustände zunächst noch akzeptabel - zumindest verglichen mit dem, was Jarmila Pláteníková später erlebte. Denn die Gestapo suchte sie immer noch wegen ihrer Tätigkeit im tschechischen Widerstand:„Aber plötzlich kam die Gestapo. Sie haben mich identifiziert und abgeführt. Die Barackenstadt, das waren nämlich nur Baracken, eine große Anlage mitten im Wald. Diese Anlage war in der Hälfte geteilt: In der einen Hälfte waren normale Arbeiter untergebracht, dort waren wir. Die andere Hälfte war aber ein Gefangenlager, also eigentlich ein Konzentrationslager.“
Das Konzentrationslager in Sackisch war ein Nebenlager des KZs Groß-Rosen. Dort sperrten die Gestapo-Leute Jarmila Pláteníková ein. Sie war jetzt von den Zwangsarbeitern im anderen Teil des Lagers getrennt; manchmal warfen diese ihr Brot über den Zaun des Gefangenenlagers. Jarmila Pláteníková erinnert sich an ihre Zeit im Lager:„Dort war es schlecht, wie in allen Konzentrationslagern. Aber dort waren nicht nur Tschechen, wie ich vorher gehört hatte. Dort waren Tschechen, Italiener, Franzosen und Polen – sogar Deutsche. Und die Deutschen wurden nicht weniger geschlagen als wir. Die wurden gleich behandelt. Das muss ich schon sagen. Und der Deutsche, der dort als Leiter eingesetzt wurde, das war Doktor Bitter. Daran erinnere ich mich noch. Das war wirklich ein feiner alter Herr, er hat niemanden bevorzugt. Alle wurden gleich behandelt. Und ich habe ihm gesagt: ,Herr Doktor, wieso sind Sie nett zu mir? Ich bin doch eine Tschechin.‘ Da hat er geantwortet: ,Ich bin gerecht‘ und er hat gesagt: ,Nach dem Krieg zeigst du mir Prag.‘ Da habe ich gesagt: ,Das mache ich, Herr Doktor, und zwar gerne.‘“
Als die Front immer näher rückte, wurden die Gefangenen in einen Zug gepfercht und nach Prag gebracht. Dort musste Jarmila Pláteníková drei Tage lang im berüchtigten Pankrác-Gefängnis bleiben. Weil dort nicht genug Platz für die zahlreichen Gefangenen war, schickten die Gestapo-Leute sie anschließend in ihre Heimatstadt Benešov. Unter Gestapo-Aufsicht war sie wieder Zwangsarbeiterin in einer Fabrik, durfte aber bei ihren Eltern wohnen. Nach dem Krieg heiratete Jarmila Pláteníková, bekam zwei Kinder und arbeitete als Buchhalterin für die Firma Chemapol.Wie die anderen geladenen Gäste lauscht auch Jarmila Pláteníková aufmerksam der Diskussion im Souterrain des Schlosses Belvedere. Das Thema ist „Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus nach 1945“. Eingeladen sind drei Experten – der deutsche Historiker Constantin Goschler, Günter Saathoff, Vorstand der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ und der tschechische Diplomat Jiří Šitler, momentan Botschafter Tschechiens in Rumänien und ehemals Verhandlungsleiter der Tschechischen Republik in Entschädigungsfragen.
Das Thema bietet tatsächlich reichlich Stoff für eine Diskussion. Die Entschädigung der Zwangsarbeiter kam zunächst nur schleppend voran. Erst im Jahr 2000 wurde die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ gegründet, die einmalige Entschädigungszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter verteilte. Bemessen wurden die Zahlungen nach Haftort und Haftbedingungen, der Schwere der Zwangsarbeit und nach den Umständen der Deportation. Im Höchstfall erhielten ehemalige Zwangsarbeiter 7.670 Euro, meistens jedoch deutlich weniger. Im Jahr 2007 wurde das Projekt der Rückzahlungen abgeschlossen. Historiker Constantin Goschler sagte dazu in der Dikussionsrunde:„Wir haben jahrzehntelang einen Prozess der Entschädigung gehabt. Das war sozusagen eine symbolische Entschädigung, eine Anerkennung. Und was jetzt im Moment noch läuft, das ist eigentlich Altenpflege, das ist Caritas. Also vereinfacht gesagt: Von der Entschädigung und der Anerkennung zur Caritas, das scheint mir der deutsche Weg oder die deutsche Entwicklung zu sein. Das entspricht vielleicht auch einfach dem Zeitablauf. Wir haben jetzt fast 70 Jahre nach Kriegsende und die Bedürfnisse der Menschen, die das betrifft, haben sich natürlich auch geändert. Ich glaube in Deutschland wird hier nicht mehr sehr viel passieren. Wenn wir aber in globalen Dimensionen schauen, können wir sehen, dass es eine ganze Reihe von Entwicklungen gibt, die teils den deutschen Fall als Referenzpunkt nehmen und teils ganz unabhängig davon entstanden sind.“
Auch Jarmila Pláteníková sagt, dass das Thema Entschädigung für sie inzwischen der Vergangenheit angehört.„Ja, eine Entschädigung gab es. Aber ich denke, es wäre gut, nicht über die Entschädigung zu sprechen. Das ist schon vorbei, das ist schon weg.“
Die Diskussion an diesem Abend ist der Auftakt für das Begleitprogramm zur Ausstellung über Zwangsarbeit unter dem Nationalsozialismus, das im September und im Oktober in Prag stattfindet. Tomáš Jelínek zum Angebot: