"Go East" - Auf den Spuren mittel- und osteuropäischer Transformationsprozesse

Foto: Europäische Kommission

Ehemalige Stipendiaten, Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen und Experten für Osteuropa hatte der Deutsche Akademische Austausch Dienst - kurz DAAD - Ende Januar zu einem gemeinsamen Wochenende nach Berlin eingeladen. Unter dem Motto "Go East" konnten die rund 250 Teilnehmer ihre Erfahrungen in den so genannten Transformationsländern austauschen. Auch die EU-Osterweiterung war wichtiges Thema. Für unsere Sendereihe Forum Gesellschaft hat sich Daniel Satra in Berlin umgehört.

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Der EU-Beitritt steht vor der Tür. Die so genannten Transformationsländer haben das ehemalige planwirtschaftliche Modell oft meilenweit hinter sich gelassen und in den vergangenen 15 Jahren eine schier unvorstellbare Menge kleiner und großer Veränderungen durchlebt: Heute sind die mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsländer Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien und die baltischen Republiken dem westlichen Modell einer kapitalistischen Konsum-, Medien- und Dienstleistungsgesellschaft näher als je zuvor. Auch in Weißrussland, der Ukraine und Russland haben Transformationsprozesse tiefe Furchen durch die Gesellschaften gezogen. Was sich getan hat auf dem Weg dieser vielschichtigen Metamorphose? Antworten auf diese Frage haben junge Wissenschaftler und Studenten aus Deutschland während ihrer Aufenthalte in den jeweiligen Ländern Europas zusammengetragen. Allein die Tschechische Republik haben seit Mitte der 90er Jahre 253 DAAD-Stipendiaten besucht: Sei es für einen Jahresaufenthalt zum Studieren, einen Sprachkurs oder im Rahmen eines Kurzstipendiums zum Materialsammeln für eine Dissertation oder eine Examensarbeit.

Elzbieta Sobótka, Generalkonsulin der Republik Polen in Köln, hat selbst Erfahrungen mit der Förderung des DAAD gesammelt. Zweimal konnte die Juristin in den 90er Jahren in Deutschland mit einem Stipendium forschen, an den Universitäten Konstanz und Bonn. Heute schlägt sie in ihrem Amt Brücken zwischen Polen und Deutschland, zwischen Ost und West. Doch so recht, mag sich Sobótka nicht auf diese Unterscheidung einlassen. Viel zu ähnlich seien die geschichtlichen Erfahrungen im europäischen Raum.

"Europa verstanden als Kulturraum definiert sich durch seine Werte. Und welche Werte sind mit der Universität verbunden? Mit Krakau, mit Heidelberg, mit Prag und mit Budapest. Nicht Gewalt, sondern Wissen, Verstand und Argumente. Das sind unsere Wurzeln. Auch der Dialog, auch Verhandlungen. Das sind unsere Ideen aus unserem Raum, und die haben Tragfähigkeit bis heute."

Bürgergesellschaft, Demokratie und Solidarität, allesamt europäische Werte, so Sobótka weiter. Doch das gemeinsame Ideenfundament sei eine Sache, die Verbindung über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus eine andere. Hier kommen für die Polin Stipendiaten ins Spiel. "Sie sind die Kulturdolmetscher, die Multiplikatoren", so Sobótka, das sei ihre Hauptrolle, die sie im Ausland oder zurück in der Heimat übernehmen.

Die Rolle der Stipendiaten als Kulturdolmetscher geht weit über den kulturellen Kontext hinaus. Das zumindest sagt Wirtschaftswissenschaftler Paul-Dieter Kluge, der in seiner Arbeitsgruppe "Business Go East" die Potentiale wirtschaftlicher Beziehungen mit Transformationsländern aufbereitete. Ein wichtiges Ergebnis der Diskussion:

"Wenn wir im so genannten Osten erfolgreich sein wollen, dann müssen wir uns mit den Ländern, mit der Kultur, mit den Menschen, mit den Denkweisen identifizieren. Dann sie viele Probleme leichter zu lösen, obwohl wir diese natürlich nicht verniedlichen wollen."

Die Frage, warum den Transformationsländern der EU-Beitrittsrunde im Mai nur noch verhaltenes wirtschaftliches und wirtschaftswissenschaftliches Interesse entgegengebracht wird, lässt sich laut Kluge einfach beantworten:

"Es war vor allen Dingen eine Diskussion über Erfahrungen in Russland, mit kleinen Seitensprüngen nach Polen und Tschechien. Das mag man als zum Beispiel als Pole bedauern, aber die Beitrittsländer sind im Prinzip schon weitgehend integriert. Und die paar Monate bis zum Beitritt spielen keine große Rolle mehr."

Ganz andere als wirtschaftliche Fragen hat sich die Arbeitsgruppe der DAAD-Lektorin Silke Klein gestellt. Sprache, Volk, Staat - was sind und was waren die identitätsstiftenden Merkmale in Transformationszeiten? Und wie werden solche Identitäten im Westen wahrgenommen. Silke Klein hat ein Beispiel:

"Wenn man das Beispiel Tschechien nimmt, dann sagt man oft: Die Tschechen trinken gern Bier, und sie sind im Fußball ganz gut. Aber ist dieses Bisschen, das ich über das Land weiß, nicht vielleicht schon ein Vorurteil. Oder ist dieses Stereotypenwissen eine Art von Desinteresse? Oder kann dieses Nicht-Wissen auch einen unbeschwerten Umgang mit dem Land ermöglichen? Wenn man also überhaupt nichts weiß, noch völlig offen ist für Impulse, die dann aus dem Land und aus der eigenen Erfahrung dort hervorgehen. Hier sehen wir auf jeden Fall, dass es notwendig ist vor allem in der Kulturvermittlung etwas mehr zu tun, nicht nur im Bereich Sprache also."

Aus den Umwälzungsprozessen der osteuropäischen Gesellschaften für die eigenen Gesellschaften Ideen entwickeln; von der Transformation im Osten lernen, und Transformation als Gedankenexperiment in der deutschen Gesellschaft zulassen. Das empfiehlt Helmut Blumbach, beim DAAD zuständig für Osteuropa und die Gemeinschaft der unabhängigen Staaten. Nicht nur Mittler sein zwischen nationalstaatlichen Ökonomien, oder zwischen Wissenschaft und Forschung in Ost und West, sondern Beobachter der sozialen Prozesse in Deutschland. Blumbach zieht einen Vergleich:

"Ich frage Sie: Wo sind eigentlich die Transformationsländer? Sind wir nicht vielleicht hier in Deutschland ein Transformationsland? Und wir sollten - außer, dass wir über die Zumutungen ächzen, die das mit sich bringt - vielleicht auch von unseren Nachbarn lernen, wie man Transformationsprozesse mit etwas mehr Zuversicht und etwas mehr Zukunftsorientierung absolvieren kann."

Yvonne Svoboda ist pädagogische Mitarbeiterin im Bereich außerschulischer Jugendarbeit. Die ehemalige Stipendiatin hat uns gesagt, was sie zum DAAD-Treffen in Berlin gelockt hat:

"Ich hab zwei Semester in Prag studiert und wollte einfach noch einmal einen Kontakt zum DAAD haben und mich darüber austauschen, was er macht und was ich jetzt mache."

Und Yvonne Svoboda hat noch ein weiteres Anliegen nach Berlin mitgebracht - sowie einige kritische Anmerkungen:

"Dazu kommt, dass ich denke, dass Tschechien immer unterrepräsentiert ist bei solchen Veranstaltungen. Auch hier kam es immer nur so in manchen Aspekten zu Sprache. Es gab auch relativ wenig Diskussionsmöglichkeiten, das fand ich nicht so gut."

Arthur Tetzlaff studiert in Hamburg Slawistik. Neben einem einjährigen DAAD-Studienstipendium für die Universität Tartu in Estland hat der Student auch Auslandserfahrungen in der Tschechischen Republik gesammelt - beim Prager Goetheinstitut und während eines Sprachkurses an der Sommerschule an der Prager Karlsuniversität. Auch ihm fehlten die tschechischen Themen in Berlin.

"Zur Tschechischen Republik kam in meiner Arbeitsgruppe wirklich sehr wenig. Was jedoch angesprochen wurde, - und das betrifft auch Tschechien - das ist das Problem mit Identitäten und Minderheiten. Erst haben wir über Ungarn und Rumänien gesprochen, doch die Problematik ist sicherlich in Tschechien ähnlich, wenn auch vielleicht nicht so stark ausgeprägt."

Weniger Überblick als vielmehr Einblicke konnte die DAAD-Zusammenkunft liefern. Osteuropa und seine Transformationen in vielen Facetten, wenn auch nicht in ganzer Breite. Und noch etwas spielte an diesem Wochenende in der deutschen Hauptstadt eine Rolle: Wo die einen wissenschaftlichen Austausch suchten, waren andere ganz einfach nur auf Jobsuche. In der Hoffnung Kontakte zu knüpfen waren sie zur Veranstaltung gekommen. Denn auch Ex-Stipendiaten des DAAD mit Osteuropaerfahrung stehen heute vor den verschlossenen Türen eines deutschen Arbeitsmarktes.