Frauen im Widerstand: Junge Menschen aus Tschechien, Deutschland und Polen forschen gemeinsam

Research Camp Prague

Frauen im Widerstand gegen das NS-Regime – zu diesem Thema gibt es noch viel Neues zu erforschen, und das vor allem grenzübergreifend. Dies ist die Ausgangsposition beim Projekt „Women in Resistance“ (Frauen im Widerstand), das beim Bildungswerk Sachsen der Deutschen Gesellschaft e.V. läuft und für das gerade ein öffentlicher Essaywettbewerb ausgeschrieben ist. Etwa 30 junge Menschen aus Deutschland, Tschechien und Polen haben sich dazu im April und Mai zu drei Recherche-Camps in den beteiligten Ländern getroffen. Radio Prag International durfte beim Abschlussseminar in Prag dabei sein.

„Sie waren fähig, ihr Leben für jemand anderen oder für die Meinung eines anderen einzusetzen, weil sie glaubten, das Richtige zu tun.“

So formuliert die 18-jährige Veronika aus Mladá Boleslav / Jungbunzlau, was sie an jenen Frauen so interessant findet, die gegen den Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben. Über solche Biografien haben Veronika und knapp 30 weitere junge Menschen aus Deutschland, Tschechien und Polen in den letzten Wochen eine Menge Neues erfahren – in drei Recherche-Camps nämlich, die im Rahmen des Projektes „Women in Resistance“ in den drei Ländern durchgeführt wurden.

Adéla und Veronika | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

Der Untertitel des Projektes lautet „Female Stories Unheard“ (Ungehörte weibliche Geschichten). Erdacht hat es das Bildungswerk Sachsen, das bei der Durchführung mit der Stiftung Kreisauer Kreis im polnischen Krzyżowa sowie mit der Bildungsorganisation Antikomplex in Prag zusammenarbeitet. Annkathrin Pohl ist die Projektkoordinatorin:

„Über Widerstand im Nationalsozialismus wurde schon viel geredet – aber eben nicht über die Frauenperspektive. Genau das wollen wir mit unserem Projekt ändern. Auch Frauen haben Gegenwehr geleistet – vielleicht nicht die militärische, die man wohl eher mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus verbindet, sondern im Hintergrund. Sei es durch Flugblätter oder Spionage, sei es durch das Verstecken von Menschen oder ihre Versorgung mit Essen. Das sind alles Handlungen des Widerstandes, die erst mit der Zeit überhaupt Aufmerksamkeit bekommen haben und erforscht werden. Man sieht in Veranstaltungen und solchen Projekten wie diesem, dass die Frauenperspektive in der Geschichte – nicht nur bezogen auf den Widerstand – immer mehr Reichweite bekommt und ihr endlich der Platz und die Bedeutung zugemessen werden, die sie meiner Meinung nach verdient.“

Das sieht auch die 25-jährige Kike so. Sie studiert Interkulturelle Kommunikation in Chemnitz:

Kike | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

„Ich interessiere mich generell für Leerstellen – also für Dinge, die unterrepräsentiert sind. Wir sprechen ja viel über den Nationalsozialismus, auch im Geschichtsunterricht, aber ich habe mich schon länger nicht mehr damit beschäftigt. Außerdem habe ich großes Interesse daran, Menschen kennenzulernen, die nicht in meiner Bubble sind. Deswegen fand ich es spannend, dass dies ein trinationales Projekt ist.“

Die meisten der Teilnehmenden waren Studenten. Das habe sie etwas überrascht, berichtet Veronika. Sie habe das Projekt von ihrer Lehrerin empfohlen bekommen und sei davon ausgegangen, dass es sich eher an Abiturienten richte. Aber in den Gesprächen mit den etwas älteren Teilnehmenden habe sie gleich auch ihr Englisch verbessern können, wirft die Schülerin ein. Und sie hätten Lücken im Lehrplan auffüllen können, ergänzt die gleichaltrige Adéla aus der Gegend um Olomouc / Olmütz:

„In der Schule erfahren wir nicht besonders viel über Frauen. Sie werden ziemlich tabuisiert. Darum war das Projekt eine sehr angenehme Art, etwas Neues in Geschichte zu lernen und dann sogar noch über Frauen.“

Erinnerungskultur in der Kritik

Bisher waren Frauen auch nicht unbedingt das Hauptthema in der Arbeit von Antikomplex. Die NGO befasse sich allgemein mit der Erinnerung an die traumatischen Ereignisse im 20. Jahrhundert, erläutert die Leiterin Tereza Štěpková. Und speziell gehe es da um die Beziehungen der Mehrheit zu den Minderheiten in Tschechien beziehungsweise der Tschechoslowakei. Das Projekt „Women in Resistance“, bei dem Antikomplex als Partner mitwirkt, habe auch für ihre Organisation neue Herausforderungen gebracht, sagt Štěpková:

Tereza Štěpková | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

„Für uns ist sehr interessant, die Rolle der Frauen als Minderheit zu betrachten, also ihre Sicht auf den Zweiten Weltkrieg und seine Ereignisse. In anderen Projekten hat sich schon gezeigt, dass die weibliche Perspektive auf diese traumatischen Erlebnisse anders ist, als wir üblicherweise in den Lehrbüchern lesen. Sie eröffnet neue Fragestellungen. Gemeinsam mit den jungen Teilnehmenden sehen wir auch am Beispiel des NS-Widerstandes, dass er sehr viele Ebenen hat. Was bedeutete es, eine Frau zu sein während des Zweiten Weltkriegs und gleichzeitig Mitglied oder Helferin bei Widerstandsaktivitäten? Dabei gibt es nicht nur eine Sicht oder eine einheitliche Geschichte.“

Für Kike ist an dem Thema etwa der Aspekt der Pflegearbeit interessant, die Frauen im Hintergrund leisteten. Widerstandskämpfer seien ja meist Männer gewesen, begründet die Studentin. Und sie hätten kaum diese Aktivitäten ausführen können, wenn sie nicht von Frauen unterstützt worden wären. Und die bis heute bekannten Akteure seien in ihrer sozial-ökonomischen Stellung privilegiert gewesen, fährt Kike fort. Dem gegenüber wisse man kaum von Menschen aus niedrigeren Gesellschaftsschichten…

Bewertung der Recherche-Camps | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

„Aber auch solche Menschen waren mutig und haben Dinge getan, die gar nicht erinnert werden. Dass man sich Gefahren ausgesetzt hat und dadurch bekannt wurde – da muss man schon von Anfang an in einer relativ hohen Position gewesen sein. Deswegen sollte vielleicht stärker die Perspektive von Intersektionalität beachtet werden, was Widerstandsgruppen angeht.“

Privilegiert waren vor allem die Mitglieder des Kreisauer Kreises. Mit ihnen hat sich die trinationale Projektgruppe in ihrem zweiten Recherche-Camp beschäftigt. Nach dem Auftakttreffen im April in Görlitz kam man nämlich einen Monat später wieder in Krzyżowa zusammen. Der 19-jährige Nikolai stammt zwar aus der Nähe von Berlin, macht in der polnischen Stadt und der Gedenkstätte des Kreisauer Kreises aber gerade ein mehrmonatiges Volontariat. An den Gruppenaufenthalt dort erinnert er sich so:

„Da gab es viel Kritik aus der Gruppe, dass es zu wenig um den polnischen Widerstand ging. Denn es handelt sich zwar um einen Ort in Polen, aber es wird an den Kreisauer Kreis erinnert, der eine deutsche Widerstandsgruppe war. Und es ging zu wenig um Frauen, so die Kritik. Zudem wurde dort viel über Erinnerungskultur debattiert. Es kamen Stimmen auf, ob man als Deutsche den Polen ein Narrativ des Widerstands aufdrängt, das so gar nicht stimmt. Das fand ich interessant. Aber die meisten neuen Informationen für mich gab es hier in Prag. Leider gab es nur anderthalb Tage Programm. Ich wusste wenig über den tschechischen Widerstand. Jetzt weiß ich viel mehr, und ich würde gern noch mehr erfahren.“

Nikolai  (re) und seine Arbeitsgruppe mit dem Denkmalentwurf | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

So hat Nikolai im dritten und letzten Recherche-Camp zum ersten Mal von Milada Horáková gehört. Die Rechtswissenschaftlerin und Politikerin aus Prag war während des Zweiten Weltkriegs im antifaschistischen Widerstand tätig. Nach Kriegsende und der Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei wurde sie zur unerwünschten Person und in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Dazu Nikolai:

Milada Horáková | Foto: Archiv des Nationalen Filmarchivs

„Mich hat sofort sehr fasziniert, dass die prominenteste Person des tschechischen Widerstands eine Frau ist. Das kenne ich aus Deutschland oder Polen nicht und auch aus keinem anderen europäischen Land. Hinzu kommt ihre Geschichte sowohl im Nationalsozialismus als auch im Kommunismus. Wir hatten viele Gespräche über das Thema. Dabei kam die Rede auch auf die Plakate, die es hier zum Jahrestag ihres Todes gab, mit dem Schriftzug ‚Ermordet von Kommunisten‘. Wir haben diskutiert, ob das überhaupt zutrifft.“

Milada Horáková,  von Kommunisten ermordet | Foto: Martin Vaniš,  Radio Prague International

Tereza Štěpková und ihr Team von Antikomplex haben für das Programm Besuche in der Jiřina-Šiklová-Bibliothek für Gender Studies und im Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren organisiert. Dabei sei es vor allem um hierzulande geachtete Widerstandskämpferinnen wie eben Horáková oder auch Milena Jesenská und Františka Plamíková gegangen…

Františka Plamínková | Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

„Aber wirklich interessant sind eigentlich Frauen, deren Namen nicht so bekannt sind. Dazu gehört etwa Hilda Bondyová. Als Angehörige einer jüdischen Familie musste sie ihr Fahrrad abgeben. Sie überließ es einer Freundin, und über einen weiteren Besitzer wurde das Rad zu jenem, das Jozef Gabčík beim Attentat auf Reinhard Heydrich benutzte. Den NS-Verwaltern gelang es aber herauszufinden, wem das Rad ursprünglich gehörte, und darum wurde Hilda in die Kleine Festung Theresienstadt verbracht.“

Ein 60-Meter-Denkmal für Milada Horáková

Den jungen Gästen aus Deutschland und Polen waren jedoch so ziemlich alle Namen tschechischer Widerstandskämpferinnen zuvor unbekannt. Anhand der neuen Erkenntnisse über Milada Horáková erstellten Nikolai und seine Arbeitsgruppe beim Abschlussseminar in Prag einen Entwurf für ein Denkmal:

Abschluss des Recherche-Camps in Prag | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

„Ich habe nur zwei Denkmäler für sie auf Fotos gesehen. Eines zeigt sie weinend mit dem Kopf nach unten gebeugt. Die Haare hängen herunter, und man sieht ihr Gesicht gar nicht so richtig. Was ich jetzt über sie erfahren habe, ergibt eigentlich ein ganz anderes Bild. Danach war sie nicht primär Opfer, sondern eine Kämpferin im aktiven Widerstand. Wir haben also geschaut, welche verschiedenen Denkmäler es gibt. Dabei wurde auch die 60 Meter hohe Stalin-Statue erwähnt, die es einst in Prag gab. Also haben wir uns gedacht: Wie wäre es mit 60 Metern von Milada Horáková?“

Auf jeden Fall solle sie nicht mehr als Opfer dargestellt werden, findet Nikolai. Diskussionen wie diese fand auch Kike wichtig:

„Von den Inhalten her hat mir in Prag gefallen, dass es noch einmal richtig stark um diese Erinnerungskultur ging, also um die Konstruktion von Erinnerung und ihre Funktion. Warum wird etwas repräsentiert? Wie wird das instrumentalisiert? Oder was legitimiert das? Das hätte ich schon in Kreisau gebraucht. Da kamen wir zu der Feststellung, dass der Kreisauer Kreis so ein bisschen vergleichbar mit einem Greenwashing ist. Dort wurde so ein riesiges Ressort eingerichtet – ich habe es verglichen mit einem Mallorca für Deutsche aus der Oberschicht, die ganz gebildet irgendwohin fahren, wo es wunderschöne Natur gibt, dieses Hotel und die Versorgung.“

Bewertung der Recherche-Camps | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

Das Konzept, junge Menschen aus den drei Nachbarländern zusammenzubringen und sie intensiv in ein Thema eintauchen zu lassen, funktioniert offenbar gut. Nicht nur Teilnehmerin Kike lobte die Gruppendynamik – sie hätten selbst nach dem offiziellen Programm nicht aufgehört zu diskutieren, berichtet die Studentin. So sei etwa auch beim Essen noch über das Erlebte gesprochen worden. Und Projektleiterin Annkathrin Pohl ist ebenfalls vollauf zufrieden:

„Diese Gruppe hat mich begeistert. Wenn man solch ein Projekt macht, weiß man ja immer nicht, wie die Teilnehmenden sein werden: Haben sie Lust auf Diskussionen, oder möchten sie lieber Input bekommen? Diese Gruppe war von Anfang an Feuer und Flamme für dieses Thema und wollte sich wirklich engagieren. Wir haben sehr viel Feedback bekommen und unser Bestes gegeben, es umzusetzen. Natürlich waren Leute dabei, die ein bisschen mehr geredet haben als andere, und manche waren eher im Hintergrund. Aber im Großen und Ganzen habe ich von jedem mitbekommen, dass er oder sie etwas von diesem Projekt mitgenommen und vor allem den Austausch genossen hat. Diese Projekte sind unter anderem ja dafür da, den interkulturellen Austausch zu fördern.“

Bewertung der Recherche-Camps | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

Und auch Tereza Štěpková meint, dass mit Beendigung des letzten Recherche-Camps das Thema Frauen im NS-Widerstand für die jungen Teilnehmenden keineswegs abgeschlossen sein sollte. In der Gruppe sei vielmehr eine große Offenheit für neue Perspektiven zu spüren gewesen:

„Die Interaktion und die unterschiedliche Art zu denken eröffnen wirklich große Möglichkeiten. Oft sagen wir, dass die Fragen wichtiger sind als die Antworten. Und darum hoffe ich, dass die jungen Leute von diesem Treffen mit vielen Fragen im Kopf abreisen, denen sie weiter nachgehen werden.“

Eine Gelegenheit dazu ist der nun laufende Essaywettbewerb im Rahmen des Projektes „Women in Resistance“, dessen Schirmherrschaft der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer übernommen hat. Noch bis 19. August kann jeder zwischen 18 und 29 Jahren, der in Tschechien, Deutschland oder Polen lebt, sein Papier einreichen. Eine vorherige Teilnahme an den Recherche-Camps ist dabei nicht verpflichtend.

Am Essaywettbewerb können auch Menschen mit anderer Staatsbürgerschaft teilnehmen, ausschlaggebend ist nur der Wohnort. Der erste Preis ist mit 600 Euro dotiert. Alle Teilnahmebedingungen finden sich unter https://www.women-in-resistance.eu/essay-contest.